Stolzer Repräsentant des Pokalsiegers: Perry Bräutigam (l.) mit dem Duplikat des DFB-Pokals beim Sommerempfang Sächsischer Fußball-Verband. Foto: Christian Modla

Leipzig. 21. Mai, Berliner Olympiastadion, kurz vor 23 Uhr. Während die Spieler von RB Leipzig nach dem erfolgreichen DFB-Pokalfinale gegen den SC Freiburg ausgelassen den Pokalsieg feierten, hatte Perry Bräutigam vor fast 75000 Zuschauern seinen großen Auftritt. Im dunkelblauen Anzug, weißem Hemd mit dunkelblauer Krawatte und strahlendem Gesicht durfte er die Pokal-Trophäe für die Siegerehrung bereitstellen.

Mehr als drei Monate später schwärmt der Klubrepräsentant noch immer von diesem Moment. „Dass ich bei der dritten Finalteilnahme endlich den Pokal auf das Podest stellen konnte, damit die Jungs ihn in die Höhe recken konnten, war einmalig und für mich einfach unbeschreiblich. Als ich unsere Spieler beim Jubeln gesehen habe, habe ich mich einfach nur unheimlich für alle Menschen in unserem Verein gefreut.“ Der 59-Jährige, der im kommenden Jahr seinen 60. Geburtstag feiert, kennt RB Leipzig wie kein anderer. Der ehemalige Bundesliga-Torhüter und DDR-Nationalspieler ist schließlich der Einzige, der die noch junge Vereinsgeschichte von Anfang an nicht nur miterlebt sondern sie auch mitgeprägt hat – erst als Torwarttrainer, später als Vereinsrepräsentant.

Von Rostock ging es nach Leipzig

An die Anfänge des Vereins im Sommer 2009 kann sich Perry Bräutigam noch ganz genau erinnern. Er war damals noch Torwarttrainer beim damaligen Zweitligisten FC Hansa Rostock. „Dann rief mich der damalige RB-Präsident Andreas Sadlo an und fragte, ob ich den Verein als Torwarttrainer unterstützen möchte. Die Vision des neuen Vereins fand ich extrem spannend, das hat mich gereizt. Deshalb habe ich innerhalb weniger Sekunden gesagt: Ja, ich mach’s“, sagt er und fügt hinzu: „Außerdem bin ich in Altenburg geboren und kenne die Region. Ich hatte das Engagement von Red Bull im Sport auch schon vorher durch die Formel 1 verfolgt – hochprofessionell, mit Liebe zum Detail. Ich konnte mir schon damals gut vorstellen, dass der Verein irgendwann den Schritt in die Bundesliga schafft.“ Damals, 2009, hieß die RB-Leipzig-Realität „Oberliga“. Trotzdem will Perry Bräutigam die Anfangszeit nicht missen. Im Gegenteil. Die ersten Jahre waren unglaublich abenteuerlich. Vor allem das erste Jahr war prägend. Für mich persönlich waren das zwei Schritte zurück, um dann riesige Schritte nach vorn zu machen. Überall, wo ich bin, erfülle ich meine Aufgaben mit Herz. Jetzt schlagen zwei Bullen in meinem Herzen.“ Im Sommer 2016 schaffte der Verein den von Perry Bräutigam lange Zeit prophezeiten Aufstieg in die Bundesliga und war endgültig auf der großen Fußballbühne angekommen. Und längst gehören die Leipziger auch in der Champions League zu den Stammgästen.

Der Weg nach oben begann bei Motor Altenburg

Die Liebe zum Fußball erfasste den gebürtigen Altenburger bereits als Sechsjähriger bei der BSG Motor Altenburg. Nachdem er neben dem Fußball auch Leichtathletik, Turnen und Schwimmen ausprobiert hatte, stand für ihn schnell fest, dass das Spiel mit dem runden Lederball genau das richtige für ihn war. Schnell entschied er sich für die Torwartposition. „Ich fand’s immer cool, mich in den Dreck zu schmeißen. Meine Mutter hat zwar immer gemeckert, aber das war mir egal“, sagt er lachend. An seine Anfänge in Altenburg erinnert er sich immer noch gern. Seinen ersten Erfolg feiert er bereits als Siebenjähriger. 1970 gewann er mit dem Knaben-Team bei der Kreisspartakiade. „Wir gewannen das Finale gegen Lok Altenburg im Neunmeterschießen, ich habe drei der fünf Schüsse gehalten.“

Da Altenburg ein Leistungszentrum war, trainierte Perry Bräutigam bereits frühzeitig viermal in der Woche: Technik, Athletik, Spielformen. Mit 19 Jahren wechselte er zum FC Carl Zeiss Jena mit Trainer-Ikone Hans Meyer – gegen den Willen der DDR-Führung. Für den Wechsel aus dem Bezirk Leipzig in den Bezirk Gera nahm er sogar eine Strafe des Fußballverbands der DDR in Kauf. In Jena schaffte Perry Bräutigam den Durchbruch, absolvierte bis zur Wiedervereinigung 163 Spiele in der DDR-Oberliga und wurde hier zum Nationalspieler. Drei Länderspiele absolvierte er für die DDR-Auswahl und blieb dabei gegen Malta (4:0), Schottland (1:0) und Brasilien (3:3) sogar ohne Niederlage.

Im Gegensatz zu vielen anderen DDR-Fußball-Stars, die nach der Wende in Scharen in die alten Bundesländer wechselten, blieb Perry Bräutigam in Jena und spielte noch vier Jahre mit den Jenaern in der 2. Bundesliga. Erst nach deren Abstieg in die Regionalliga erfüllte er sich seinen Traum von der Bundesliga. Nach einem Zweitliga-Jahr beim 1. FC Nürnberg wechselte der Torhüter 1995 zum damaligen Aufsteiger FC Hansa Rostock. Endlich Bundesliga. Mit 32 Jahren.

„Es war eine Mega-Zeit, einfach einzigartig. Nach der Wiedervereinigung die Bundesliga erleben zu dürfen, war für mich ein Riesengeschenk. Ich rate allen Spielern, jeden Tag ihrer Karriere zu genießen. Es gibt schließlich auch eine Zeit nach dem Fußball. Dann bereut man jede Sekunde, die man nicht genutzt hat. Heute ist es eher selten, dass man mit 36 Jahren noch spielt“, schwärmt der ehemalige Torhüter, der im kommenden Jahr seinen 60. Geburtstag feiert. Torhüter können glücklicherweise ein paar Jahre länger auf höchstem Niveau spielen. Er selbst habe mit 39 Jahren für sich entschieden, aufzuhören. Er kann sich auch nach 20 Jahren noch ganz genau an den Moment dieser Entscheidung erinnern. Es war am 23. Februar 2002. „Während des Heimspiels gegen den VfB Stuttgart habe ich einen Elfmeter gegen Krassimir Balakov gehalten – mit 39 Jahren. Dadurch haben wir einen ganz wichtigen Punkt für den Klassenerhalt geholt. Dieser Moment war für mich entscheidend. Wenige Tage später habe ich angekündigt, dass es reicht und ich meine aktive Karriere zum Saisonende beenden werde. Das habe ich dann auch getan.“ Den Profifußball zu seiner aktiven Zeit und heute könne man kaum noch miteinander vergleichen. „Der Fußball hat sich in den vergangenen Jahren unheimlich entwickelt. Inzwischen sind alle Spieler gläsern geworden. Früher habe ich am Abend vor dem Spiel ab und zu noch einen Eisbecher mit drei Kugeln Vanilleeis gegessen, so eine Art Ritual für mich. Das geht heute natürlich nicht mehr. Der Körper ist das Kapital der Spielerinnen und Spieler, den haben sie für 12, 13 Jahre. Fußball heißt heute, auch zahlreiche Entbehrungen auf sich zu nehmen, jedenfalls mehr als zu meiner Zeit“, sagt er schmunzelnd und hat gleich noch einen Wunsch an die heutigen Nachwuchskicker: „Ich würde mir wünschen, dass sie immer mit einem Lächeln zum Training und ins Spiel gehen. Viele Spielerinnen und Spieler verkrampfen und vergessen den eigentlichen Sinn des Sports: Es ist nur ein Spiel.“

Nach seiner aktiven Karriere war er noch sieben Jahre lang Torwarttrainer bei den Rostockern – bis der Anruf von Andreas Sadlo aus Leipzig mit einer neuen Herausforderung kam. Bis 2015 trainierte Perry Bräutigam die RB-Torhüter. Später arbeitete er im Verein als Torwartscout, seit einigen Jahren ist er als Vereinsrepräsentant aktiv – eine Funktion, die er wie folgt beschreibt: „Ich bin einfach da. Wer meine Hilfe oder meine Ratschläge braucht und möchte, bekommt sie von mir. Und den Verein auf offiziellen Anlässen, bei Fantreffen, Fußballschulen usw. vertreten zu dürfen, macht mir viel Freude und mich auch unheimlich stolz. Denn ich stehe dort auch für alle Mitarbeitenden im Verein, die mit absoluter Leidenschaft die Erfolgsgeschichte jeden Tag ein bisschen weiterschreiben wollen.“ Andreas Neustadt

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