In Warneckes Werkstatt wird von der Karosse über die Sitze bis zur kleinsten Schraube alles selbst gemacht.

Leipzig. Auf den ersten Blick könnten sie auch in einem Museum stehen: Die beiden Tempo-Dreiräder, Baujahr 1929. Stolz präsentiert Immo Warnecke seine Lastenfahrzeuge, die auf dem Firmengelände in einem Extra-Raum stehen. Und dann kommt die Überraschung: Ein Knopfdruck und schon lüftet sich ein Teil der Karosse – zum Vorschein kommen eine Reihe Biergläser und ein Zapfhahn. Dreirad Nummer eins hat Warnecke zum rollenden Biertresen umgebaut, Nummer zwei zu einem Grill. Zum Einsatz kommen beide bei Firmenfeiern, die der Geschäftsführer von IW Classics von Zeit zu Zeit organisiert. Solange sowas möglich war, jedenfalls.
Für die Freunde alter Karossen ist der Firmensitz in der Leipziger Oststraße ein Eldorado: Wo man hinschaut, stehen Schmuckstücke von historischem Wert. Viele haben Kunden zur Restaurierung hergebracht. Manche gehören dem Chef selbst, sind Ausstellungsstücke und werden nur selten bewegt.

Immo Warnecke, 58 Jahre alt, ist ein echter Oldtimer-Fan. Schon zu DDR-Zeiten hegte er einen motorisierten Traum: Wie toll wäre es, einen F8 als Cabrio zu besitzen? „Der wäre für meine Familie damals ideal gewesen.“ Heute steht so ein Gefährt in seinem Autohaus plus Werkstatt in Reudnitz. Genau da, wo er mit 20 Mitarbeitern altes Blech wieder flott macht.
Zu den besonderen Schmuckstücken gehört ein Opel aus den 1920er-Jahren. „Ein seltenes Exemplar, der hat Patina“, sagt Warnecke. Auffällig ist die antike Richtungsanzeige, die auf der Fahrerseite herausragt. Immerhin schon elektrisch, ein Vorläufer des Blinkers. 25 000 bis 30 000 Euro kostet der Oldie. „Schwer zu verkaufen“, konstatiert Warnecke. „Das Auto bremst wie ein toter Hund beißt.“ Für die junge Generation seien solche alten Karossen „völlig uninteressant“, weiß der Chef.

„Ein Auto muss ins Herz gehen.“

Bei dem nebenstehenden 107er-Mercedes,Baujahr 1988, sieht das schon anders aus. Auch sein erster richtiger Oldtimer war so ein Modell. Doch Warneckes Herz schlägt für das ganze Portfolio, egal, ob älter oder jünger. Hauptsache Qualität und Pflege stimmen. „Ein Auto muss ins Herz gehen.“

Wofür sich der Oldiefreund jahrelang nicht erwärmen konnte, ist der Trabi. Nach der Wende wurden die Rennpappen aus der DDR massenhaft verschrottet. „Niemand wollte sowas fahren“, erinnert sich Warnecke. Inzwischen hat sich das geändert. Der Trabant kehrt zurück auf die Straßen im Osten, er ist inzwischen Kult und dabei im Vergleich günstiger als viele andere Oldtimer. 5000 bis 9000 Euro müsse man für einen in gutem Zustand inzwischen zahlen, sagt Warnecke. Ein besonderes Exemplar bewahrt der Firmenchef unter Glas auf: Ein Neuwagen, der noch im Juni 1990 vom Band rollte. Er fuhr gerade mal 19 Kilometer über das Werksgelände in Zwickau – wurde nicht mehr zugelassen.

Wie der Trabi steht auch der Wartburg bei DDR-Autofreunden heute wieder hoch im Kurs. In einem eigenen Glaskasten steht das dunkelgrüne Modell 353W, Baujahr 1978. Die obligatorische Klorolle mit Rüschendeko auf der hinteren Ablage darf natürlich nicht fehlen. Der Wartburg stammt von einem Fahrlehrer aus Tschechien. Immo Warnecke dreht mit dem 50 PS-starken Gefährt gern ein paar Runden. „Er fährt sich sehr komfortabel, gut gefedert.“
Die Corona-Pandemie hat seinem Geschäftszweig nicht geschadet, erzählt der Chef. Es gebe zwar weniger Ausfahrten und dadurch weniger Reparaturen. Dafür wollen aber mehr Leute alte Autos restaurieren lassen. Dass die Branche sich so gut entwickelt, daran hatte Warnecke anfangs seine Zweifel. 1990 machte sich der zweifache Familienvater selbstständig mit einer Speditionsdienstleistungsfirma in Engelsdorf, die er bis heute betreibt.

Acht Jahre später packte ihn die Leidenschaft für die Oldies. Warnecke kaufte sich ein Tempo-Dreirad, einen „Schrotthaufen“ von vor dem Zweiten Weltkrieg. Er tüftelte in seiner heimischen Garage an den Bausätzen. Nach einem halben Jahr rollte das Lastenfahrzeug durch Leipzig. „Ich war total stolz, als das Ding dann gefahren ist“, erinnert er sich. Bei der ersten Oldtimerausfahrt tuckerte er mit maximal 50 Kilometern pro Stunde durchs Muldental, alle anderen Oldtimer überholten ihn. „Ich war immer das letzte Auto.“ Die Konsequenz: Es musste ein schnelleres Gefährt her, am besten ein Mercedes. „Der Stern, das war das, was in der DDR ganz oben stand“, sagt Warnecke. Die Marke ist beliebt unter Oldtimer-Fans. Es gibt noch viele Ersatzteile und Reparaturleitfäden. Sein 107er-Cabrio kaufte er von einem türkischen Händler aus Berlin, Baujahr 1976, Achtzylindermotor, „wunderschöner Motorenklang“.

„Unser Anspruch ist, es so originalgetreu wie möglich wiederherzustellen.“

Immo Warnecke fest, dass eine Infrastruktur für Oldtimer-Freunde im Osten und vor allem in Leipzig fehlte. Es gab kaum Werkstätten, eine Marktlücke tat sich auf. Anfangs restaurierte der Firmenchef nur alte Karossen von Mercedes. Bald kamen andere Marken hinzu. 2007 wechselte er an den Standort an die Oststraße auf ein größeres Gelände. „Ich hatte damals mächtig Bedenken, ob das alles so funktioniert und finanziell zu stemmen ist.“ Die Sorgen zerstreuten sich.

Inzwischen hat seine Firma alle möglichen Gewerke unter einem Dach: Karosseriebau, Elektrik, Sattlerei, Stellmacherei. „Unser Anspruch ist, es so originalgetreu wie möglich wiederherzustellen“, sagt Warnecke. Seinen Kunden empfiehlt er, das Auto so zu restaurieren, „wie es damals vom Band gefallen sein könnte“.

Dieses Credo gilt jedenfalls für seine eigenen Projekte, an denen er jeden Winter in der Garage tüftelt. „Ich bin Perfektionist.“ Kompromisse seien nicht sein Ding. Woran der Reiz der alten Karossen liege? „Die Formen, die Qualität, die Möglichkeit, selbst etwas daran zu tun“, antwortet Warnecke. Von manchen Exemplaren lässt aber selbst der Meister die Hand: Das Schmuckstück von 1929, das im Originalzustand in seiner Firma steht, ist so ein Fall. Der Besitzer hat den Mercedes Typ Stuttgart im Zweiten Weltkrieg in einem Kohlehaufen vor der Wehrmacht versteckt. Danach war er nie mehr im Einsatz, fährt aber noch. „Diese kleinen Risse und Mängel“, deutet Warnecke auf das Gefährt. Genau sie machen den Charme aus. „Das dürfen Sie gar nicht restaurieren.“

Ursprünglich sollte der Oldtimer sogar groß rauskommen. Bei den Dreharbeiten zur ARD-Serie Babylon Berlin sollte ein Schauspieler ihn fahren, allerdings draußen und im Winter. Warnecke überlegte noch einmal und lehnte dann ab: „Das kann ich dem Auto doch nicht antun.“ Gina Apitz

https://www.iw-classic.com/

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