Verleger Steffen Sell und Buchautor Jürgen Müller (l.) bei letzten Absprachen vor der Drucklegung. Foto: Ralf Miehle

Altenburg. Der Autor Jürgen Müller hat in den zurückliegenden Jahren Bekanntheit erlangt durch eine Vielzahl an Beiträgen zur Segelfluggeschichte und zum Modellflug in der Region. Jetzt aber macht der 79-Jährige mit einem ganz anderen Thema von sich reden: mit einer Buch-Neuerscheinung, die ein bislang offensichtlich noch gar nicht beachtetes Kapitel Altenburger Industrie- und Militärgeschichte mitten im Herzen der Skatstadt beleuchtet: Er widmet sich unter dem Titel „Von der Remise des Herzogs zum geheimen Forschungslabor“ dem Werdegang eines Gebäudekomplexes am Schlosspark und stellt die Frage: „Was geschah von 1959 bis 1979 am Altenburger Marstall?“.

„Man glaubt, als Altenburger über die Geschichte seiner Heimatstadt doch recht viel zu wissen. Heimatliteratur gibt es mittlerweile schließlich reichlich“, sagt Verleger Steffen Sell. Noch immer bringen Ausgrabungen, so wie erst jüngst wieder geschehen auf einer neuen Baustelle in Bahnhofsnähe, neue Erkenntnisse zur Frühzeit der Stadt hervor. Scherben oder gar Skelettteile werden freigelegt und geborgen und man hält ein Stück Geschichte in den Händen.

Anders sehe es jedoch mit Gebäuden aus, die längst verschwunden sind und Heimatinteressierten nichts Bemerkenswertes hinterlassen haben. „Leider sind auch in den letzten Jahrzehnten erhaltenswürdige Gebäude, die Geschichte geschrieben haben, aus nicht nachvollziehbaren Gründen aus dem Stadtbild verschwunden“, bedauert Steffen Sell. Doch eines dieser Gebäude soll nun in besagtem neuen Buch aus dem Sell Heimat-Verlag sein großes Geheimnis preisgeben.

Autor Jürgen Müller offenbart nach über 40 Jahren Fakten, Erlebnisse und Erfahrungen, die sein Leben begleitet und geprägt haben. Denn nur eine Handvoll Altenburger wissen, da sind sich Müller und Sell einig, was tatsächlich zwischen 1959 und 1979 am Altenburger Marstall geschehen ist – genauer gesagt im ehemaligen Herzoglichen Remisengebäude, das der Herzog ursprünglich unter anderem zur Unterbringung seiner Kutschen und Wagen nutzte.

Dieses Randgebäude des Marstalls fand in keiner Publikation in den letzten Jahrzehnten Erwähnung, auch sei das Gebäude auf keiner Ansichtskarte aus längst vergangenen Zeiten abgebildet, merkt Steffen Sell an. Und Jürgen Müller erzählt: „Später war das Ablichten dieses Areal durch die Anwohner strengstens durch die Staatssicherheit untersagt worden“. Aber warum? Jürgen Müller, selbst zeitweise Mitarbeiter an diesem Ort, erhellt die Tatsachen: „Nachdem von 1949 bis 1968 das Deutsche Amt für Material- und Warenprüfung (DAMW) das Gebäude nutzte, etablierte sich dort bis 1979 eines der geheimsten Forschungsinstitute der damaligen DDR. Entgegen des Warschauer Vertrages fanden in der DDR – speziell auch in Altenburg im Militärtechnischen Institut (MTI) – Forschungen mit chemischen Kampfstoffen statt. Die zur Forschung verwendeten Substanzen wurden im Keller in einem besonders gesicherten Raum gelagert. Eigens dafür wurde 1951 ein zweigeschossiges Laborgebäude im Anschluss an das Remisengebäude errichtet. Später kam noch ein Flachbau, das sogenannte ’Technikum’ dahinter dazu“, schreibt der Autor in seinem Buch. Die Einheimischen hätten zudem nicht schlecht gestaunt, als ab 1975 eine Mauer mit Stacheldraht um das Gebäude herum errichtet worden sei. „Es erfolgte eine strengere Bewachung, kein Firmenschild verriet, was sich hinter der Mauer abspielte“, so der Autor.

Jürgen Müller, wie gesagt, damals selbst Mitarbeiter des Forschungsinstituts, hat die Erinnerungen an seine dortige Tätigkeit in dreijähriger Arbeit niedergeschrieben. Es war ihm ein Anliegen, dass dieses so unbekannte Kapitel Altenburger Heimatgeschichte durch dieses Werk für die Nachwelt erhalten bleibt. Denn mit Genehmigung der Denkmalschutzbehörde seien die teils erhaltenswürdigen Gebäude 2001/02 zurückgebaut worden.

Mehr soll jedoch an dieser Stelle nicht verraten werden. Wer mehr erfahren möchte, derjenige sei auf die 64-seitige Publikation empfohlen, die Steffen Sell mit reichlichem Bildmaterial und Geschichtsfakten bereichert hat. Zum Denkmaltag am 13. September wird das Buch im Rahmen der Kreativmesse im Prinzenpalais des Altenburger Schlosses vom Verlag und Autor präsentiert. Jürgen Müller wird dort von 10 bis 11 Uhr und noch einmal von 14 bis 15 Uhr anwesend sein und für Autogramme, Fragen und Hinweise zur Verfügung stehen.

Erhältlich ist das Buch auch im Heimat-Verlag Altenburg, der seinen Sitz am Steinweg 12/13 hat. Auch der Buchhandel hat die Publikation in seinem Angebot. Die ISBN lautet 978-3-938777-41-1.

Der Autor: Zur Person

Jürgen Müller, Jahrgang 1941, begann 1955 eine Lehre als Werkzeugmacher bei der Textima Altenburg. Nach dem Abschluss seiner Ausbildung fand er 1957 Arbeit im Werkzeugbau, im April 1959 trat der am Luftfahrtwesen stark Interessierte freiwillig in die Nationale Volksarmee der DDR ein – und wurde dort als Flugzeugmechaniker eingesetzt. Nach dem Ende der Dienstzeit war er dann im Musterbau der Textima tätig.

1969 schloss Jürgen Müller mit Erfolg ein Abendstudium zum Techniker/Ingenieur Maschinenbau an der Ingenieurschule Zwickau ab. Zum 1. Mai des Jahres 1964 wechselte er zum Deutschen Amt für Material- und Warenprüfung in der DDR (DAMW) Altenburg als Werkstattmeister und später als Entwicklungsingenieur und war dort maßgeblich mit der Entwicklung und dem Bau von Prüfvorrichtungen beschäftigt. 1968 erfolgte die Umbenennung der Einrichtung in NVA-Dienststelle Altenburg. Ab diesem Zeitpunkt nun war Jürgen Müller Zivilangestellter der NVA, die Sicherheitsbestimmungen verschärften sich: „Monatlich erfolgte eine Belehrung über Sicherheit und Geheimhaltung“, erinnert sich der Buchautor.

1975 wurde er offiziell als Zivilangestellter der NVA in das neu gegründete Militärtechnische Institut (MIT) mit Sitz in Königs Wusterhausen übernommen. Ab Januar 1979 wurde die Altenburger Dienststelle geschlossen, Jürgen Müller war in der Folge mit dem Abtransport von Prüfgeräten nach Königs Wusterhausen beschäftigt, am 30. Mai 1979 gingen in der Altenburger Einrichtung endgültig die Lichter aus und der damals 37-jährige Jürgen Müller begann ab Juni 1979 eine Tätigkeit als Betriebsingenieur an der Ingenieurschule für Papier- und Verpackungstechnik. Hierbei war er unter anderem mit der Einrichtung der ehemaligen Institutsräume zu Unterrichtsräumen, Labors und als Wohnheim für 30 Studenten beschäftigt.

1995/1996 absolvierte der Ingenieur noch einmal ein Zusatzstudium, um sich als Sicherheitsfachkraft ausbilden zu lassen, aber bereits 1996 war das Ende der Ingenieurschule für Papier- und Verpackungstechnik sowie der Remise des Marstalls besiegelt. Bis zu seinem Renteneintritt im Jahr 2001 war Jürgen Müller als Mitarbeiter des Jugendwohnheimes des Landkreises Altenburger Land tätig.

Ab 2002 widmete sich der seit Jugendjahren vom Flugwesen so umfassend Faszinierte den Nachforschungen zum Modell- und Segelflug im Altenburger Land in der Zeit zwischen 1933 und 1945 und veröffentlichte dazu zahlreiche Beiträge in regionalen Zeitungen, organisierte zudem immer wieder öffentliche Veranstaltungen zu diesem Thema. Eine letzte, die weitreichende Forschungsarbeit zu einem Teilbereich dieser Untersuchungen abschließende Zusammenkunft soll es am 10. Oktober ab 14 Uhr im Saal der Gartenanlage Ost in Altenburg geben, wo sich Interessierte und Segelflieger des ehemaligen Segelflugplatzes Lohberg zusammenfinden wollen. „Nach zehn erfolgreichen Treffen der Segelflieger geht damit dann eine Ära zu Ende“, zeigt sich Jürgen Müller mit Blick auf diesen Termin auch ein wenig wehmütig, freut sich aber zugleich auf dieses Beisammensein. Jürgen Müller ist darüber hinaus aktiver Modellflieger im Modellsportclub (MSC) Altenburger Land.

„Ich habe 32 Jahre meiner Lebensarbeitszeit im Gebäude der ehemaligen Marstall-Remise gearbeitet. Dabei wurde mir zweimal die unangenehme Aufgabe zuteil, als Letzter das Licht auszuschalten – 1979 und 1996“, notierte der Autor in seinem jetzt erscheinenden Buch und ergänzt: „Durch meine langjährige Tätigkeit im DAMW und bei der NVA war es mir möglich, einige Zusammenhänge zur Historie des ehemaligen Forschungsinstitutsgebäudes zusammenzutragen und für die Nachwelt zu sichern.“

So geschehen in jenem Buch, das zum Denkmaltag am Sonntag, dem 13. September, nunmehr erstmals erhältlich sein wird. Ralf Miehle

 

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