Sie haben die Idee des Mitmalfilms in der neuen Heimat Leipzig entwickelt: Uli Seis und Alice von Gwinner. Foto: Jens Wagner
Sie haben die Idee des Mitmalfilms in der neuen Heimat Leipzig entwickelt: Uli Seis und Alice von Gwinner. Foto: Jens Wagner

Leipzig. Große Visionen sind erlaubt – und Alice von Gwinner und Uli Seis haben wirklich einen ziemlich großen Traum. „Wir würden uns wirklich wünschen, wenn es zu jedem neuen Trickfilm, der veröffentlicht wird, auch mal einen Mitmalfilm geben würde“, überlegen die Beiden: „Es wäre Klasse, wenn sich das Konzept der Mitmachens noch weiter verbreiten würde.“ Moment, Mitmalfilm? So etwas gibt es? Na klar – und die beiden Wahl-Leipziger sind quasi die Erfinder des Prinzips …

… und konnten damit schon ordentlich für Aufsehen sorgen: Beim Internationalen Trickfilmfestival Stuttgart räumten Alice von Gwinner und Uli Seis mit ihrer Idee des Mitmachens und Mitmalens den Trickstar Business Award ab, bei der Werkschau 2021 von „Kreatives Sachsen“ waren sie ebenfalls dabei. Weil dieses Konzept doch zu verlockend ist: Warum nicht mal all jene, die Spaß am Trickfilm haben, reinholen in diesen kreativen Prozess? Ihnen den Stift quasi in die Hand geben und damit die Chance eröffnen, eine ganz eigene Version eines Trickfilms zu schaffen? Und damit irgendwie auch jene Leidenschaft für das Zeichnen, für Kunst und für Kreativität weitergeben, die Alice von Gwinner und Uli Seis seit Jahrzehnten antreibt?

„Ich hab schon als Schüler Zeichentrickfilme gemacht“, erzählt Uli Seis – in dem Duo zuständig für Regie, Animation und Charakter-Design: „Ich habe gern gezeichnet, ich mochte Street Art und war obendrein stets an dem Konzept Kurzfilme interessiert.“ Das Warum lag auf der Hand: „Man kann im Trickfilm eine glaubhafte Welt erschaffen, der man sich beim Zusehen nicht entziehen kann. Wie bei einer Hollywood-Produktion – es gibt einen richtigen Sog und dies alles macht man nur mit dem Stift.“ Es geht – wohlgemerkt! – hier um eine Zeit, in der Digitalisierung noch so eine Art Zukunftsvision war; eine Zeit, in der Uli Seis wirklich noch jedes einzelne Bild selbst gezeichnet hat. Und das Ergebnis oft tagelang mit der Kamera aufgenommen hatte. Eine Zeit, die übrigens gerade einmal 20 Jahre her ist …

Keine rein digitale Spielerei

Andererseits mag er diese Erfahrungen nicht missen. Auf gar keinen Fall – weshalb auch die Mitmalfilme so sind, wie sie sind. Keine rein digitale Spielerei – obwohl es natürlich eine App gibt, um aus den Zeichnungen letztlich auch wirklich einen Film zu machen – „jeder Strich, jeder Pixel ist tatsächlich von Menschenhand gemacht“, erklärt Alice von Gwinner – die ihrerseits als Autorin für die Stories und das Layout im Malbuch verantwortlich zeichnet: „Es geht um die Kunst. Wir wollen Kindern das Künstlerische zeigen, das Gezeichnete, das Selbstgemachte.“ Und so wurde aus der Idee eine Kombination aus Malbuch und App: In „Claude Momäh und die große Leinwand“ (so heißt das erste Mitmalbuch der Beiden) zum Beispiel warten jene Geschichten aus der Feder der Beiden darauf, von kreativer Hand mit ganz neuen Farben und Hintergründen ausgestattet zu werden – via App wird dann daraus ein Trickfilm mit individuellem Anstrich.

Auf diese Mitmach-Idee sind Alice von Gwinner und Uli Seis eher zufällig gestoßen – weil sie als Filmemacher für eine Band ein Video drehten, in der es eben um das Mitmalen ging. Ein echter Aha-Effekt, der umtriebige Tätigkeit auslöste. Die schnell mündeten in Workshops mit bemerkenswerten Ergebnissen. „Kinder können das ja richtig gut – das Zeichnen von Landschaften auch mal auf eine Art und Weise, auf die man als Erwachsener nicht gekommen wäre. Mit verrückten Farben und ganz viel Fantasie“, erzählt Uli Seis und Alice von Gwinner ergänzt: „Da haben wir in den Workshops schon ganz viele Überraschungen erlebt.“ Dann ging es auch Schlag auf Schlag: 2019 konnte die App zur Animation der handgemalten Bilder an den Start gehen, im Oktober letzten Jahres folgte das erste Malbuch. Und die Beiden haben noch eine Menge im Block – zwei weitere Bücher sollen folgen, auch wieder geprägt von diesem ganz eigenen Humor, der bereits „Claude Momäh und die große Leinwand“ ausgezeichnet.

Für die Idee der Kombination aus Mitmalen und Filmmachen gab es beim Internationalen Trickfilmfestival in Stuttgart sogar einen Preis. Foto: Reiner Pfisterer
Für die Idee der Kombination aus Mitmalen und Filmmachen gab es beim Internationalen Trickfilmfestival in Stuttgart sogar einen Preis. Foto: Reiner Pfisterer

„Es geht um Kunst“, dies sagt Alice von Gwinner ganz bewusst. Weil da in diesen Ideen, in diesen Geschichten eben auch viele Reminiszenzen drinstecken – an wen das Schaf Claude Momäh erinnern soll, liegt ebenso auf der Hand wie bei der Street-Art-Ratte Ranksy und auch beim Elefanten Tattoo-Ed muss man nicht lange überlegen, um auf das Vorbild Ed Hardy zu kommen. Was auch einiges aussagt über die Vielschichtigkeit der hier gelebten Kunst-Definition und auch wiederum eine Tür zum Mitmachen öffnet. „Es gibt kein richtig oder falsch“, sagt Uli Seis mit tiefer Überzeugung: „Diese Kategorien sind doch in der Kunst schon seit 100 Jahren obsolet geworden.“ Und er ergänzt: „Wirklich ein Künstler zu sein heißt es so zu machen, wie man es will.“

Auch Erwachsene werden an Malstifte gelockt

Gleichzeitig waren und sind Alice von Gwinner und Uli Seis sehr sorgsam, sehr sorgfältig. „Es war für uns bei den Mitmalfilmen immer der Anspruch, dass es hochwertige Filme sein sollen. Mit einer entsprechenden Dramaturgie, mit Musik und einem Abspann“, erklärte die Autorin: „Die Begegnung auf Augenhöhe war stets die Grundlage für das Konzept.“ Was offenbar nicht nur in der vornehmlich avisierten Zielgruppe der Mädchen und Jungen im Alter von vier bis sieben Jahren bestens ankommt, sondern auch mal die Erwachsenen an die Malstifte lockt – dies haben die Beiden bei den Workshops nicht nur einmal erlebt.

Was die Idee der Mitmalfilme irgendwie auch schon wieder in eine ganz neue Dimension hebt – klar sind sie ein perfektes Vehikel, um die Fantasie und die Kreativität bei Kindern anzuregen. „Inzwischen beschäftigen wir uns durchaus mit der Vorstellung, solche Mitmalfilme auch für Erwachsene aufzulegen“, überlegt Alice von Gwinner: „Vielleicht könnte man da ja mit jenen Kolleginnen und Kollegen in Europa zusammenarbeiten, die ihrerseits künstlerische Trickfilme machen.“ Wie schon gesagt – große Visionen dürfen gern sein. Weil es die Erfolge sind, die den Beiden recht geben – auch was diesen Traum betrifft, große Trickfilme im Kinoformat gewissermaßen mit Mitmalfilmen zu erweitern. „Klar würden wir auch gern andere Geschichten integrieren“, und Alice von Gwinner berichtet, dass es da schon bei dem ein oder anderen Filmproduzenten Interesse geben würde …

„Es geht um Kunst“, es ist dieser Satz, der einiges erklärt. Der den Antrieb von Alice von Gwinner und Uli Seis wohl am besten auf den Punkt bringt. „Das beste Mittel, um Kindern das Künstlerische nahezubringen, ist, sie selbst malen und zeichnen zu lassen“, erklärt Uli Seis. Und Alice von Gewinner ergänzt: „Für Mädchen und Jungen ist es schon etwas Besonderes, wenn sie selbst ein Bild in einem Trickfilm entstehen lassen können. Deshalb haben wir auch bewusst auf eine Vereinfachung gesetzt: Die Kinder können jenen Hintergrund frei selbst gestalten, in dem sich die Bilder dann bewegen.“ Und da entsteht Spannendes, wissen sie längst aus eigener Erfahrung – diese Momente, in denen sich eine eigentlich wohlbekannte Geschichte in der Atmosphäre komplett wandelt. Nur, weil da auf einmal ein anderer Hintergrund da ist.

Kunst als gemeinschaftliches Erlebnis

Ganz zum Schluss sucht Uli Seis diese Faszination am Selbstmalen – die ihn eben auch nicht loslässt seit den Tagen als Schulkind – zu erklären. „Das ist der Clou an der Idee eines Mitmalfilms: Kinder können selbst erleben, wie eine eigene Welt entstehen kann. Sie haben selbst diesen Aha-Effekt: Da habe ich etwas gemalt und aus diesem einen Bild heraus entwickelt sich eine Welt, in der wirklich alles passieren kann.“ Und nach einer kleinen Pause ergänzt er mit einem Lächeln: „Auf einmal schaut man dann das eigene Kunstwerk mit ganz anderen Augen an.“ Wobei ein Punkt nicht zu unterschätzen ist – Stichwort Workshops, die ja schon einige Male erwähnt wurden: Es ist nicht zuletzt ein gemeinschaftliches Erlebnis, das die Beiden vermitteln wollen.

„Es geht um etwas Reales. Um das gemeinsame Malen auf echtem Papier“, erklärt Alice von Gwinner: „Beim Filmemachen – und wir sind ja Filmemacher – steht das Gemeinsame, die Teamarbeit ohnehin immer im Vordergrund. Was für mich auch in allererster Linie der Grund war, warum ich beim Film hängengeblieben bin.“ Deshalb lebt die Hoffnung, bald wieder bitten zu können an einen gemeinsamen Maltisch. Und auch aus diesem Grund die Uneigennützigkeit, mit denen sie erklären: „Es wäre schön, wenn sich dieses Konzept noch weiter entwickelt – in den Kitas und Schulen, in Zusammenarbeit mit Betreuern und Lehrern.“ Dann sagt die Autorin mit einem Lächeln: „Da geben wir auch gern unser Know-how weiter. Wäre ein schönes Ding.“

Alle Informationen rund um die Mitmalfilme und -bücher von Alice von Gwinner und Uli Seis unter www.mitmalfilm.de

Jens Wagner