Waren ein Leben lang zusammen: die Zwillinge Anke (links) und Jutta Sommer. Foto: PICTURE POINT/Kerstin Dölitzsch

Es ist das Schlimmste, was einem eineiigen Zwilling passieren kann: Anke Sommer (79) verlor ihre Schwester, mit der sie ein Leben lang glücklich zusammen war. Danach igelte sie sich ein. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Doch langsam kämpft sie sich zurück in den Alltag. Ihre Therapie: Schlager.

Sie waren das Power-Pärchen in der Schlager-Fanszene: Anke und Jutta. Für die eineiigen Zwillinge gab es nichts Schöneres, als Konzerte zu besuchen, auf Autogrammjagd zu gehen und mit Stars zu plaudern. Mit vielen standen die selbstbewussten Senioren auf Du und Du. Dann plötzlich waren die immer gut gelaunten Schlager-Schwestern von der Bildfläche verschwunden. Befreundete Fans machten sich zunehmend Sorgen. Berechtigt. Denn nach kurzer schwerer Krankheit starb Jutta in den Armen ihrer Schwester.

Wenn ein Zwillingspaar auseinandergerissen wird, verliert der überlebende Zwilling oftmals den Boden unter den Füßen. Seelisch und finanziell. So war es auch bei Anke. „Ich fühlte mich völlig verloren und ging nicht mehr vor die Tür“, denkt die Trauernde zurück. Sie blieb in der 57 Quadratmeter kleinen Wohnung, für die sie nun mehr als die Hälfte ihrer schmalen Monatsrente an Miete allein berappen muss. Aber hier erinnert alles an die geliebte Schwester. Noch heute erwischt sich Anke dabei, wie sie ihre Jutta ruft, so, als würde sie gleich um die Ecke kommen.

Die Leere lähmte lange, machte einsam. Denn die Schwestern gehörten zu den wenigen eineiigen Zwillingen in Deutschland, die niemals getrennt waren und immer zusammen wohnten. Eine Verbindung fürs Leben. Sie war nicht geplant, sie ergab sich einfach. Zwar flirteten die lebenslustigen Schwestern gern und oft, doch der Mann für eine Ehe war nicht darunter. Und so vergingen die Jahre mit guten Zeiten, schlechten Zeiten. Auch als Anke und Jutta vor zehn Jahren an Brustkrebs erkrankt waren, kämpften sie gemeinsam gegen die Krankheit, die beide fast gleichzeitig bekommen hatten. Neben der Schulmedizin setzten sie noch auf eine Begleittherapie: Sich bloß nicht dem Schicksal ergeben und raus in die Schlagerszene.

Da Jutta viele Jahre als Veranstaltungsmanagerin gearbeitet hatte, kannte sie die Stars und Sternchen auch persönlich und pflegte bis zu ihrem Tod illustre Fan-Freundschaften. Diese sind nun das Erbe von ihr, das Anke lange Zeit nicht antreten wollte. „Allein am roten Teppich stehen? Das hätte ich mir nie vorstellen können“, meint der Zwilling. Aber kürzlich hat er sich erstmals wieder gewagt, eine Show zu besuchen. „Ich war in Berlin beim spektakulären Schlagershowmarathon zur 700. Ausgabe der beliebten Kofferradiosendung dabei“, erzählt Anke.

Und dort traf sie hinter den Kulissen viele ostdeutsche Schlagersänger: von Regina Thoss über Michael Hansen bis hin zu Hans-Jürgen Beyer. Und so manch ein Künstler freute sich, Zwilling Anke endlich wieder in der Szene zu sehen, und sprach ihr nach dem Schicksalsschlag Mut zu. „Ich glaube, Jutta wäre stolz auf mich, wenn sie mich von da oben aus sehen könnte“, ist Anke Sommer überzeugt und wischt sich dabei ein paar Tränen aus den Augen.

Thomas Gillmeister

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here