Die Rückkehr in die alte Heimat hat die gebürtige Schmöllnerin nicht bereut. Foto: Ralf Miehle

Altenburg. Seit fast neun Monaten nun steht Dominique Jahn in Diensten der Horizonte gGmbH, seit sieben Monaten leitet sie die gemeinnützige Gesellschaft, deren Struktur durch ein vielgliedriges Geflecht zur Betreuung von Menschen mit psychischen und psychiatrischen Problemen und Erkrankungen geprägt ist. Ein erstes Fazit nach diesem Dreivierteljahr fällt überaus positiv aus: „Ich fühle mich definitiv angekommen hier.“

Dabei war es in diesen Monaten über weite Strecken eine sehr komplizierte, für alle Beteiligten ungewöhnliche Zeit mit täglich neuen Herausforderungen, denn gerade auch in solch einer Einrichtung schlugen sich die Gefährdungen und damit verbunden Einschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie nieder und erzwangen immer wieder neu kurzfristige Entscheidungen und ein Höchstmaß an Flexibilität. Jetzt atmet Dominique Jahn tief durch und vor allem auf, denn endlich nun kann sie sich – nach einer gewissen Entspannung der Infektionslage – wieder inhaltlich-konzeptionellen Fragen widmen, wie sich die Horizonte gGmbH weiterentwickeln kann und sollte, um den stetig wachsenden Anforderungen auch künftig gewachsen zu sein.

Wohlwollende Willkommenskultur

Die Voraussetzungen hierfür erweisen sich als günstig, denn mittlerweile hat sich die neue Leiterin – trotz besagter Schwierigkeiten – längst in allen Bereichen genau umgesehen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennengelernt und sich einen Überblick über das Potenzial im Einzelnen wie im Gesamten verschafft. Daraus entspringt auch jenes eingangs erwähnte Angekommen-Sein. „Ich habe selten so eine herzliche und wohlwollende Willkommenskultur erlebt“, resümiert sie mit Blick auf die Begegnungen dieses letzten Dreivierteljahres. „Mir war der diakonische Gedanke wichtig, und den merkt man in der Kultur miteinander. Hier existiert dieses Miteinander, das weiß ich sehr zu schätzen, denn ich habe es auch schon anders erlebt.“

Vergleichsmöglichkeiten hierfür hat Dominique Jahn reichlich, denn auf ihrem bisherigen beruflichen Weg hat sie unterschiedlichste Stationen durchlaufen. Geboren in Schmölln erlernte sie nach dem Schulabschluss zunächst den Beruf der Kinderkrankenschwester und war also solche auch eine Zeit lang in der Pflege tätig. Aus diesen Erfahrungen heraus strebte sie danach, sich weiter zu qualifizieren und entschied sich für ein Studium der Gesundheits- und Pflegewissenschaften, das ihr nach erfolgreichem Examen den Abschluss als Diplom-Pflegewirtin bescherte.

Unterschiedlichste Stationen folgten nun, auch Leitungspositionen. „Wir waren als Familie zehn, fünfzehn Jahre deutschlandweit unterwegs, so in Düsseldorf, Minden und Baden-Württemberg“, benennt sie einige der Stationen. Als 2008 ihr Sohn geboren wird, entschließt sich Dominique Jahn mit ihrer Familie für eine Rückkehr in die alte Heimat ins Altenburger Land und zieht nach Windischleuba, wo das Trio bis heute wohnt.

Anspruchsvolles Auswahlverfahren

In den letzten zehn Jahren begleitete sie verschiedene Leitungspositionen im sozialen Bereich, zuletzt – vor ihrem Wechsel zur Horizonte gGmbH – war sie in der Eingliederungshilfe tätig. Die Arbeit von Horizonte kannte sie in all den Jahren aus ihrem jeweiligen Arbeitskontext heraus („die Träger im sozialen Umfeld kennen sich alle, arbeiten sie doch eng vernetzt miteinander“) – und als im vergangenen Jahr die Nachfolge des langjährigen Leiters, Reinhard Strecker, der in den Ruhestand ging, zu besetzen ist bewirbt sie sich und durchläuft ein eintägiges, anspruchsvolles Auswahlverfahren (Assessement) in der Lukasstiftung, die Träger der Horizonte gGmbH ist. Mit Erfolg.

Die Arbeit von rund 100 Mitarbeitern, verteilt an unterschiedlichsten Standorten in der Skatstadt, wird die 44-Jährige nun koordinieren, managen und leiten müssen, neue Akzente will sie setzen und die Zukunft in den Blick nehmen und sichern. Im September begann sie ihre Tätigkeit, arbeitete sich unter ihrem Vorgänger intensiv ein, ab November wurde ihr die eigenverantwortliche Leitung übertragen.

Die Horizonte gGmbH zeichnet sich aus durch eine fachliche Vielfalt in der gemeindepsychiatrischen Betreuung. Da wäre zum einen unter dem Dach des Hauptsitzes in der Carl-von-Ossietzkystraße 19 in Altenburg die Tagesstätte für psychisch Kranke zu nennen, in der Parkstraße befindet sich zudem eine Tagesstätte für Suchtkranke. Gleichermaßen in der ehemaligen Ohlschen Klinik an der Ecke zur Friedrich-Ebert-Straße zu finden ist der niedrigschwellig angelegte Begegnungstreff, der – gekoppelt auch mit einem Café – Menschen aus dem gesamten Landkreis mit offenen Angeboten einlädt.

Dieser Begegnungstreff aber habe unter den Coronabedingungen in besonderer Weise gelitten, schätzt unsere Gesprächspartnerin ein, denn eine Zeit lang habe er wegen der Kontaktbeschränkungen geschlossen bleiben müssen. Außerdem lebt gerade dieser Bereich vom großen Engagement von Ehrenamtlichen, die unter anderem in besagtem Café selbst Kuchen backen, der sich in früheren Zeiten als sehr beliebt erwies und oft auch außer Haus bestellt wurde. Solcherlei wieder ins Laufen zu bringen, die Ehrenamtlichen wieder zurückzuholen und neue zu gewinnen, das ist eine der aktuellen Herausforderungen.

Auswirkungen des Krieges bereits spürbar

Gleichermaßen in der Ossietzkystraße 19 hat das Büro des ambulant betreuten Wohnens für Menschen mit psychischen Erkrankungen seinen Sitz, ebenso die Soziotherapie. Dahinter verbirgt sich eine Leistung der Krankenkassen für Menschen mit psychischen und chronisch psychischen Erkrankungen, die von Fachkräften mit einer besonderen Zulassung erbracht werden.

Ebenso unter diesem Dach findet sich die Psychosoziale Beratungsstelle, die sich als niedrigschwelliger Anlaufpunkt für alle Menschen versteht, die in eine Lebenskrise geraten sind. Sei es durch Trennungen, durch Verlust oder in der Folge von Ehe- oder Paarproblemen – das Spektrum ist weit gefächert. „In der Coronazeit spielten vor allem auch Verlustängste eine große Rolle“, beschreibt Dominique Jahn einige ihrer Erfahrungen, und auch die Verunsicherung durch das gegenwärtige Kriegsgeschehen in der Ukraine werde in der Beratungsstelle deutlich.

Gerade weil dieser Bereich besonders in Pandemiezeiten gefragt war, habe man die Beratungsstelle geöffnet gelassen, dafür ein strenges Testregime entwickelt und durchgehalten. „Denn gerade diese Angebote zu schließen, das wäre in solch krisenbehafteter Zeit, wie wir sie durchlebt haben, gar nicht gegangen“, so die Horizonte-Leiterin.

In deren Verantwortungsbereich fallen des Weiteren die Suchtberatungsstelle in der Zeitzer Straße, das Marianne-Bucky-Haus als eine besondere Wohnform für 22 Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen, in der ein betreutes Wohnen und eine tagesstrukturelle Begleitung angeboten wird. Um das Angebot einer festen Tagesstruktur geht es auch in der Gärtnerei der Horizonte gGmbH in der Paditzer Straße, in der Menschen mit psychischen Erkrankungen ein Betätigungsfeld finden, die insbesondere Freiraum brauchen. Sie arbeiten hier in zwei riesigen Gewächshäusern und einem Freigelände und tragen mit ihren Produkten, die sie dort anbauen, hegen und pflegen erheblich zur (nachhaltigen) Versorgung der verschiedenen Horizonte-Einrichtungen bei.

Zum breitgefächerten Spektrum von Horizonte zählen darüber hinaus eine acht Plätze umfassende sozialtherapeutische Wohngruppe für Kinder mit seelischen Behinderungen, die aufgrund vorangegangener physisch-psychischer Belastungen oder auch nach Missbrauchsverdacht zeitweise aus ihren eigentlichen Familien herausgenommen wurden und nun über einen gewissen Zeitraum hier ein alternatives Zuhause in einer Art Ersatzfamilie finden.

Unbedingt an der Basis vor Ort sein

Der Bereich Arbeit und Zuverdienst war viele Jahre am Anger heimisch und ist nun seit geraumer Zeit in die Friedrich-Ebert-Straße umgezogen, wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die Klienten in der ehemaligen Kaufhalle seitdem deutlich verbesserte Bedingungen für die Werkstätten und die Betreuung vorfinden. Damit endet eine lange Aufzählung all dessen, was unter dem Dach der Horizonte gGmbH vereint ist.

„Gleich zu Beginn habe ich mir das alles angeschaut, war für jeweils erst mal einen Tag in jedem Bereich vor Ort“, erzählt Dominique Jahn. „Es ist mir ohnehin wichtig, direkt an der Basis zu sein, das halte ich auch weiterhin so, dass ich zu den Dienstberatungen unmittelbar in den jeweiligen Bereich gehe. Ich lebe Leitung so, dass man nur miteinander kann und entscheide Dinge nicht vom Schreibtisch aus“, umreißt sie ihr Credo.

In Klausur neue Inhalte entwickeln

Neben dieser Alltagsarbeit, die wie gesagt aufgrund der Pandemie über lange Zeit immer nur ein kurzfristiges Management von tagesaktueller Organisation sein konnte, bei der Dominique Jahn und ihr Team immer wieder eher über Hygieneplänen saßen, als dass sie über inhaltliche Weiterentwicklungen reden konnten („wir wussten nie, wie der Tag verlaufen wird“), stellt die Leiterin jetzt die analytische und konzeptionelle Arbeit in den Vordergrund. „Viele Konzeptgedanken haben viel zu lange auf Eis gelegen, jetzt heißt es, neu zu denken.“ Noch im Sommer will Dominique Jahn mit ihren Leitungskräften in eine Klausur gehen, um Ideen auszutauschen und Pläne konkret werden zu lassen. Denn eines sei klar: „Die Bedarfe werden steigen“.

Da werden mit Sicherheit die Auswirkungen der Coronazeit(en) noch deutlicher werden, in der sich Menschen nicht getraut haben, in die Öffentlichkeit zu gehen und Kontakte aufrecht zu erhalten oder gar neue zu knüpfen. Dies ist schon für Menschen, die nicht mit psychischen Problemen oder Erkrankungen zu tun haben in ihrem Alltag nicht leicht zu verkraften, wie aber sieht das erst für jene aus, die ohnehin schon einen schweren Packen mit sich herumtragen?

Der Bedarf steigt stetig

Der Bedarf, da ist sich Dominique Jahn absolut sicher, wird aber auch durch die gegenwärtige Situation nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine steigen: „Die Kriegsflüchtlinge kommen ja erst so nach und nach bei uns an. Was sich daraus entwickeln wird, wissen wir noch gar nicht, sind aber vorbereitet. Dazu haben wir uns trägerübergreifend ausgetauscht, wie man diese Betreuung angehen könnte. Auch mit der Migrationsberatung der Caritas stehen wir im Kontakt, wie wir Geflüchtete tagesstrukturell unterstützen können, beispielsweise in unserem Begegnungstreff. Da wollen wir als diakonischer Träger ein Zeichen setzen, diese Menschen nicht sich selbst allein ihren Wohnungen zu überlassen.“

Fachkräfte sind in einigen Bereichen rar

Steigen wird der Bedarf aber auch in anderen Bereichen: „Menschen mit psychischen Erkrankungen werden betagter. Notwendig wird über kurz oder lang ein ambulanter psychiatrischer Pflegedienst.“ Dies aber, und das ist nur ein Beispiel, werde auch das Thema des Fachkräftemangels noch stärker in den Fokus rücken. „In etlichen Bereichen sind wir an Fachquoten gebunden und Sozialpädagogen beispielsweise sind rar. Sie sind im Kinder- und Jugendbereich aber sehr wichtig. In der ambulanten sozialpädagogischen Familienhilfe können wir durchweg nur Fachkräfte einsetzen.“

Zukunftsherausforderungen jetzt anzugehen, darauf freut sich Dominique Jahn: „Ich bin, wie eingangs schon gesagt, definitiv angekommen hier und fühle mich wohl. Ich komme jeden Morgen gerne hierher. Und wieder zurück gekommen zu sein in den Landkreis, das war definitiv eine weise Entscheidung. Altenburg ist eine wunderbare Stadt, um gut leben und wohnen zu können. Und ich ermuntere die Altenburgerinnen und Altenburger und die Bürgerinnen und Bürger des Landkreises, unsere Angebote anzunehmen, insbesondere, wenn sie gerade in eine Lebenskrise geraten sind, und ich würde mich freuen, wenn uns noch mehr Menschen im Ehrenamt unterstützen würden. Vor allem auch jüngere Menschen. Dazu zu animieren, das habe ich mir auch auf die Fahnen geschrieben.“ Ralf Miehle

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