Der Sonntag beginnt für Martin Schwibs mit einem ausgiebigen Frühstück, zu dem auch ein frischer Kaffee gehört. Foto: Andreas Neustadt

Nein, aufwärmen muss sich Martin Schwibs nicht für das Interview. Stattdessen ein lockerer Spruch, und schon ist das Eis gebrochen. „Ich erwärme mich nie, auch beim Fußball nicht. da wird man nur krank. Ich geh einfach auf den Platz, nehme den Ball und schieß ihn ins Tor“, sagt er mit einem breiten Grinsen – getreu den Worten von Franz Beckenbauer, der seinen Schützlingen vor dem WM-Finale 1990 als taktische Anweisung ein „Geht’s raus und spielt’s Fußball!“ mit auf den Weg gab. Das Ergebnis ist bekannt. Zum WM-Titel reichte es für Martin Schwibs zwar nicht, dennoch erwies sich der 31-Jährige in den vergangenen Jahren als äußerst treffsicher.

Mit seiner beeindruckenden Quote wurde er zu einem der erfolgreichsten und begehrtesten Stürmer in Sachsen. Im Trikot des HFC Colditz erzielte „Schwibbel“ in den letzten sechs Jahren in 154 Liga-Spielen in der Landesklasse Nord insgesamt 202 Tore – eine Quote, mit der er sich den Beinamen „Gerd Müller der Fußball-Landesklasse“ erspielte. Fünfmal in Folge wurde er Torschützenkönig. Unvergessen sind seine 43 Tore aus der Spielzeit 2017/18. Die abgebrochene Saison 2019/20 beendete er mit 16 Toren in 16 Spielen übrigens auf Platz zwei der Torjägerliste.

Aber was macht Martin Schwibs eigentlich so erfolgreich? Auf diese Frage hat der Döbelner ein klares Erfolgsgeheimnis parat: „Ein bisschen Talent, ein bisschen Können, ein bisschen Instinkt und natürlich die vielen Vorlagen meiner Mitspieler, ohne die ich nie so viele Tore erzielen könnte. Im Endeffekt aber ist es einfach meine Tor-Geilheit! Wenn man nicht geil auf Tore ist, geht man in die Verteidigung.“ Training ist übrigens nicht so seine Sache, wie er erstaunlich offen zugibt – und auch dafür hat er natürlich die perfekte Begründung – garniert mit einem lockeren Spruch. „Ich habe oft Probleme, mich für das Training zu motivieren. Das wissen aber meine Teamkollegen auch. Im Training gebe ich nie Vollgas. Die Kraft hebe ich mir lieber fürs Spiel auf. Wenn es drauf ankommt, bin ich immer voll da.“

Nach sechs Jahren in Hausdorf war in diesem Jahr Zeit für eine „Luftveränderung“. Mit seinem durchaus überraschenden Wechsel zum Roßweiner SV schaffte es Martin Schwibs auch außerhalb der Region in die eine oder andere Zeitung. Schließlich hätte der Döbelner durchaus ein, zwei Spielklassen höher anheuern können, wählte aber die Rückkehr in seine mittelsächsische Heimat und nahm damit auch den „Abstieg“ in die Kreisoberliga in Kauf. „Nach sechs Jahren hab ich einfach etwas anderes gesucht. Auf höherklassigen Fußball hatte ich keinen Bock, ich wollte lieber in der Heimat bleiben. In der Region gibt es leider nichts anderes als Kreisoberliga“, macht „Schwibbel“ keinen Hehl aus seiner großen Heimatverbundenheit und ergänzt nach einer kurzen Pause: „Ich will unbedingt noch einmal etwas gewinnen – einen Meistertitel, einen Pokal oder beides. In Hausdorf war das Ende der Fahnenstange erreicht.“ Natürlich sei man in Hausdorf traurig gewesen. Aber er habe immer offen und ehrlich kommuniziert, dass er den Verein verlassen wolle. Alles sei sauber abgelaufen. „Aber im Fußball ist es wie im richtigen Leben: Man muss Entscheidungen treffen, diese umsetzen und dann geht’s los.“ Jetzt freut er sich „extrem auf eine geile Liga mit vielen Derbys“.

Für Martin Schwibs gehört zum Fußball mehr dazu, als nur auf dem Platz zu stehen und den Ball ins Tor zu hauen. „Im Amateurfußball ist das Zwischenmenschliche entscheidend. Wenn ich mein Hobby ausübe, will ich auch Spaß dabei haben – auf und neben dem Platz. Ich will auch mal mit den Teamkollegen über Gott und die Welt plaudern. Das ist doch der Kern des Amateurfußballs. Der Ehrgeiz, die Spiele zu gewinnen, ist natürlich trotzdem bei allen da. Die wichtigste Kreisliga-Weisheit lautet aber: Am Montag müssen wir alle wieder arbeiten gehen. Wir verdienen schließlich alle unsere Brötchen mit der Arbeit.“ Seit zwei Jahren arbeitet er als Lohnbuchhalter im Döbelner Rathaus. „Besser könnte es nicht laufen. Ich bin sehr zufrieden. Ich wollte schon immer einen Bürojob machen“, sagt er. Überhaupt fühlt er sich in seiner Heimatstadt pudelwohl. „Hier habe ich alles, was ich brauche. Es gibt tatsächlich Schlimmeres, als in Döbeln zu wohnen.“ Tore, und davon möglichst viele, hat sich Martin Schwibs natürlich auch für seinen neuen Verein vorgenommen – Spaß hin, Spaß her. Schließlich steht bei den Roßweinern die Rückkehr in die Landesklasse auf der Agenda. Dazu will „Schwibbel“ seinen Teil als Führungsspieler beitragen – auf und neben dem Platz. Keine Frage: Martin Schwibs ist in den letzten Jahren erwachsen geworden.

In seiner Jugend träumte der Torjäger den Traum vom Profifußball – und das in den schillerndsten Farben mit allem Drum und Dran. Nach seinem fußballerischen Anfängen beim Döbelner SC ging er mit 13 Jahren aufs Internat nach Riesa, um hier die Grundlagen für die anvisierte Profi-Karriere zu legen. „Da hatte ich noch ziemlich viele Flausen im Kopf und war noch ziemlich naiv. Mein Ziel war es, irgendwann mit dem Fußball Geld zu verdienen“, erinnert er sich. Mit 17 Jahren zog es ihn zum FC Sachsen Leipzig, wo er in zwei Jahren immerhin 34 Spiele in der A-Jugend-Bundesliga absolvierte und sechs Tore erzielte – unter anderem gegen den späteren Bundesliga-Torhüter Raphael Wolf (aktuell Fortuna Düsseldorf) beim 2:1-Sieg gegen den Hamburger SV. Auch mit dem späteren Nationalspieler Max Kruse (damals im Trikot von Werder Bremen) duellierte er sich in der A-Jugend-Bundesliga. Nach einem Jahr in der zweiten Mannschaft des FC Sachsen erfüllte sich die Hoffnung vom Sprung in die erste, die damals in der Regionalliga spielte, nicht.

Nach einem halben Jahr „schöpferischer Pause“ von seinem geliebten Fußball zog es ihn im Januar 2010 zurück zum Döbelner SC. Mit seiner Rückkehr zu seinen heimatlichen Wurzeln kam auch der Spaß an seinem „großen Hobby“ zurück. Nur zwei Jahre später schaffte er mit den Döbelnern den völlig überraschenden Aufstieg in die Landesliga – eine Zeit, die er noch heute als seine „tollste fußballerische Zeit“ bezeichnet. „Wir hatten damals eine richtig geile Mannschaft mit tollen Jungs. Wir haben keine müde Mark bekommen und sind überall als Dorfprinzen angekommen. Das war sensationell“, schwärmt Martin Schwibs noch heute mit leuchtenden Augen. Und wie es der Zufall wollte, führte der Spielplan den Aufsteiger gleich im ersten Spiel in den altehrwürdigen Alfred-Kunze-Sportpark nach Leipzig-Leutzsch zur BSG Chemie Leipzig – dem Nachfolgeverein des FC Sachsen. Beim Gedanken an den damaligen Saisonauftakt bekommt noch heute Gänsehaut: „Das Spiel war uns alle der absolute Höhepunkt. Da waren 1200 Zuschauer, das kannte keiner von uns. Es war brutal heiß. Chemie war klarer Favorit und hatte auch die besseren Chancen. Trotzdem haben wir zur Halbzeit 2:0 geführt. Wir wussten selbst nicht warum. In der zweiten Halbzeit hat Chemie alles nach vorn geworfen – und wir haben das 3:0 gemacht. Am Ende haben wir das Spiel 3:1 gewonnen – und ich hab zwei Tore gemacht. Das sind die Spiele, an die man sich als Fußballer immer erinnert.“

Nicht nur auf, sondern auch abseits des Platzes ließ es der talentierte Angreifer in der Vergangenheit richtig krachen – das eine oder andere persönliche Eigentor, wie das Abbrechen seiner ersten Ausbildung inklusive. „Ich war ein echtes Partymonster und habe viel Mist gemacht. Da war ich teilweise wie ferngesteuert unterwegs. Aber dazu stehe ich“, gibt er rückblickend zu. „Am Abend vor einem Spiel bin ich schon mal bis 4 Uhr in der Kneipe gewesen, hab dann auf dem Platz gestanden, meine Tore geschossen und danach hab ich weiter gefeiert. Ich war damals kein Kind von Traurigkeit, aber ich habe aus meinen Fehlern gelernt. Ich bin stolz darauf, was ich erreicht habe.“ Mit Freundin Lisa kam dann vor sechs Jahren der Wendepunkt in seinem Leben. „Sie hatte damals schon eine sechsjährige Tochter. Da hatte ich plötzlich auch Verantwortung zu tragen. Das war für mich der Punkt, an dem es klick gemacht hat“, erinnert sich Martin Schwibs, der sich selbst als „Spätblüher“ bezeichnet. Dabei ist ihm die Dankbarkeit deutlich anzusehen. Um sein Leben auch beruflich „auf die Reihe zu bekommen“, absolvierte er vor einigen Jahren eine Ausbildung zum Bürokaufmann, die ihm den Weg für seinen Job im Döbelner Rathaus ebnete. Die eine oder andere Party nimmt „Schwibbel“ natürlich trotzdem noch mit.

Auch abseits des Rasens beschäftigt sich Martin Schwibs natürlich viel mit dem Sport, der ihn bereits sein ganzes Leben lang begleitet. „Ich habe mit sechs Jahren angefangen. Es gab für mich nie etwas anderes. Fußball ist meine Leidenschaft, ich spiele noch mindestens sechs Jahre.“ Das klingt fast wie eine Drohung an die gegnerischen Abwehrspieler. Doch auch wenn er sich nur selten Bundesliga-, Champions-League und Länderspiele im Fernsehen entgehen lässt, hat der bekennende Fan von Dynamo Dresden und dem FC Bayern München eine klare Meinung zum aktuellen Profifußball in Zeiten der Corona-Krise. „Ich bin Fußballer durch und durch. Aber, dass die Fußball-Bundesliga wieder spielen durfte, während ringsherum alle um ihre Existenz gekämpft haben, ist ein Unding. Dafür habe ich kein Verständnis.“ Im Profifußball gehe es ohnehin nur noch um Kommerz, die Vereine sind nur noch Unternehmen. „Den wahren Fußball gibt es sowieso nur noch im Kreis. Das sieht zwar nicht immer gut aus, hat aber Herz.“ Der Sonntag beginnt für den selbst ernannten Langschläfer meist geruhsam. Nach einem ausgiebigen Frühstück – zu dem vor allem zwei hart gekochte  Eier und ein frischer Kaffee gehören – heißt es meist bis zum Mittag „chillen“. Wenn nicht gerade ein Fußballspiel ansteht, gehört der letzte Tag der Woche der Familie mit Freundin Lisa und deren Tochter Lea. So tankt er Kraft, um auch in der kommenden Saison Tore am Fließband erzielen zu können.  Andreas Neustadt

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