Die Eilenburger Kantorin Lena Ruddies an der Orgel in der Nikolaikirche. Foto: Wolfgang Sens.
Die Eilenburger Kantorin Lena Ruddies an der Orgel in der Nikolaikirche. Foto: Wolfgang Sens.

Was macht eigentlich eine Kantorin? Diese Frage hört Lena Ruddies oft. Auch ihre Tochter werde in der Schule häufig danach gefragt. „Viele können sich unter diesem Begriff nichts Genaueres vorstellen. Wenn ich das Wort Kirchenmusikerin nenne, wird mein Beruf dagegen schon verständlicher“, sagt die 51-Jährige.

Lena Ruddies arbeitet seit 2004 als Kantorin in der Eilenburger Martin-Rinckart-Kirchgemeinde. Als solche ist sie für „alle musikalischen Dinge verantwortlich, die innerhalb der Kirche stattfinden“. Das bedeutet im Speziellen: „Ich gestalte und ­begleite musikalisch den Gottesdienst – entweder an der Orgel oder mit meinen Gruppen. Ich untermale musikalisch verschiedene kirchliche Feste und Feierlichkeiten, wie zum Beispiel Taufe, Hochzeit oder Beerdigung. Ich gebe zudem Orgelkonzerte und betreue verschiedene Gesangs- und Instrumentalgruppen“, zählt Lena Ruddies auf.

Später Berufswunsch

Dass sie diesen Berufsweg einmal einschlagen würde, hat sich bei ihr erst spät entwickelt. „Damit bin ich keine typische Kantorin, die beginnt nämlich bereits im Kindesalter sich dafür zu begeistern“, meint die gebürtige Wedemärkerin. „Ich hatte zwar Klavierunterricht, bin auch getauft und habe am ­Religionsunterricht teilgenommen – aber Musik war für mich nur ein Hobby.“

Sie begann 1993 in Hannover Jura zu studieren, merkte aber schnell, das ist nichts für sie. „Dann stellte ich mir die Sinnfrage: Was will ich? Dazu hielt ich auch Rücksprache mit unserem örtlichen Kantor, der mir den Weg der Kirchenmusik eröffnete.“ Doch so ganz überzeugt war sie noch nicht. Daher begann sie zunächst eine nebenamtliche kirchenmusikalische Ausbildung.

Kantorin Lena Ruddies probt mit ihren Kindern das aktuelle Musical „Randolfo“. Foto: Wolfgang Sens
Kantorin Lena Ruddies probt mit ihren Kindern das aktuelle Musical „Randolfo“. Foto: Wolfgang Sens

„Aber nach einem Jahr hat es mir so viel Spaß gemacht, dass ich auf die nächsthöhere kirchenmusikalische Ausbildung umschwenkte, um hauptberufliche diese Tätigkeit ausüben zu können.“ Anschließend studierte die Deutsch-Schwedin (ihre Mutter stammt aus Mora in Dalarna) Kirchenmusik und Schulmusik in Dresden, Lübeck und Halle (Saale). Mit viel Fleiß und Begeisterung, wie sie sagt, konnte sie ihre späte Berufung ausgleichen.

Was ihr besonders viel Spaß macht, sei die Musik an sich und die Möglichkeit, sich intensiv damit zu beschäftigen. Im Nachhinein habe auch der christliche Glaube eine wichtige Rolle gespielt. „Für mich war immer klar, es gibt nicht nur das, was wir sehen. Da ist noch mehr.“ Und so haben Lena Ruddies schließlich die Kombination aus Glauben und Musik und das Ganze praktisch leben zu können, überzeugt.

Kirchgemeinde wird zur Familie

Während des Studiums in Halle (Saale) lernte Lena Ruddies ihren späteren Mann kennen. Um in der Nähe zu bleiben, suchte sie im Umkreis nach einer freien Stelle als Kantorin. In Eilenburg wurde sie 2004 fündig. „Eigentlich wollte ich hier erstmal reinschnuppern und Erfahrung sammeln. Für mich persönlich war die Stelle nicht auf Dauer angelegt“, berichtet die 51-Jährige.

Doch manchmal kommt es im Leben anders, als man denkt. Die Kirchgemeinde habe sie mit solch einer Herzlichkeit aufgenommen und alle waren von Anfang an mit Feuereifer dabei. „Ich hatte das Gefühl, hier kann ich was bewegen, hier kann ich Menschen begeistern und neue Dinge aufbauen. Und je mehr ich in meine Arbeit hineinwuchs, desto weniger wollte ich wieder weg.“ Es habe sich mit der Zeit eine soziale ­Gemeinschaft entwickelt. „Wir sind wie eine große ­Familie und die lässt man nicht im Stich.“

Der Leipziger Saxophonist Frank Liebscher begleitete Kantorin Lena Ruddies in der Nikolaikirche bei einem Konzert. Foto: Stadt Eilenburg
Der Leipziger Saxophonist Frank Liebscher begleitete Kantorin Lena Ruddies in der Nikolaikirche bei einem Konzert. Foto: Stadt Eilenburg

Dennoch gab es schwierige Zeiten. „In meiner ganzen Zeit als Kantorin hatten wir in Eilenburg fünf verschiedene Pfarrer innerhalb einer kurzen Zeit. Das führte zu Unsicherheiten in der Gemeinde und machte meine Arbeit nicht immer leicht.“ Durchhalten und Dranbleiben sei die Devise gewesen – schon wegen der Gruppen, die sich entwickelten.

Rinckart-Gruppen sind Herzensprojekte

In ihrem ersten Jahr in Eilenburg hat Lena Ruddies die Kantorei Stück für Stück aufgebaut. Als erstes hat sie den Erwachsenenchor übernommen. Im zweiten Jahr kam der Kinderchor „Rinckart-Singschule“ hinzu, der seither zahlreiche Musicals und Singspiele erfolgreich aufgeführt hat und in diesem Jahr sein 20-Jähriges feiert.

Es folgten zeitgleich der Flötenkreis und das Blechbläserensemble. 2019 wurde zudem der Rinckart-Popchor aus der Taufe gehoben. Zu seinem Repertoire gehört junge, groovige, poppige Chormusik.

Aus dem Erwachsenenchor hat die Kantorin Ende des vergangenen Jahres zwei Chorgruppen gemacht, um auf die verschiedenen Bedürfnisse der Sängerinnen und Sänger besser eingehen zu können. So gibt es nun die Singgemeinschaft, die das Singen in der Gemeinschaft fördert. „Diese Gruppe möchte allen Stimmen ein Zuhause geben, auch Menschen mit Einschränkung“, betont Lena Ruddies.

Die andere neue Gruppe ist das kammermusikalische Ensemble „Vokalis“. „Hier liegt der Fokus auf Erarbeitung anspruchsvoller Chor-Literatur, die dann den Gottesdienst begleitet und auf Konzerten gesungen wird.“ Deren Mitglieder haben zumeist langjährige Singerfahrung und sind geübt.

Mit diesen sechs Gruppen sei das Limit aber dann auch erreicht. Denn etwas Zeit mit Musik möchte die Kantorin auch für sich selbst haben. Als Organistin gestaltet sie nämlich zusammen mit einem Trompeter auch Konzerte für die Eilenburger.

Der Tag einer Kantorin

Lena Ruddies sagt über sich selbst, sie sei ein Energiebündel. Da ist es nicht verwunderlich, dass ihr Arbeitsalltag weit über die normalen acht Stunden hinaus geht. Dafür könne sie sich ihren Tag selbst einteilen.

Ein typischer Montag beginnt – nachdem sie ihre Tochter in die Schule gebracht hat – mit Bürotätigkeit. „In meinen sechs Gruppen sind mehr als 80 Leute wöchentlich aktiv. Mit allen muss und will ich kommunizieren – schon wegen der Termin- und Auftrittsplanung. Außerdem bereite ich die Proben vor oder baue die Bühne für Auftritte vor. Ich halte die Website der Kantorei aktuell, schreibe für das Gemeindeblatt, kümmere mich um Fördermittel, halte Kontakt zu anderen Institutionen sowie zu Solisten von außerhalb“, beschreibt Lena Ruddies. Manchmal finden auch Sitzungen des Gemeindekirchenrates, dem sie ebenfalls angehört, oder interne Besprechungen mit den Mitarbeitenden der Gemeinde statt. „Da gibt es viel Organisatorisches zu klären.“

Wenn Zeit übrig ist, übt sie für sich an der Orgel und am Klavier. Ab 15 Uhr fährt sie zum Gemeindehaus, wo die Proben mit ihren Gruppen stattfinden. Geprobt wird dann bis abends. Über den Sommer sind obendrein die Wochenenden komplett verplant mit Auftritten jeglicher Art. „So gesehen bin ich von Berufswegen eigentlich eher eine Eventmanagerin, die viele Projekte stemmt und damit die Menschen begeistert“, sagt sie lachend.

Die Herausforderungen des Alltags

Um dieses Pensum so aufrechtzuhalten, arbeitet Lena Ruddies sehr strukturiert und organisiert. Und vor allem verlässlich. Was sie aber nicht mag, ist die intensive Zeit am Computer. „Die ist im Laufe der Jahre mehr geworden. Stattdessen würde ich viel lieber singen oder Orgel spielen“, erklärt sie. Dennoch weiß sie, dass das nun mal dazu gehört. „Der Kontakt zu Menschen ist mir wichtig. Das ist ja das Tolle an meinen Beruf, dass ich den Kontakt immer habe, egal in welcher Form. Aber manchmal ist das auch belastend.“

Und noch etwas schwingt in den letzten Worten leise mit: „In der Institution Kirche beruflich tätig zu sein, ist manchmal eine Herausforderung. Erstens, da wir in einer immer weiter zunehmend säkularisierten Welt leben. Und zweitens ist der Anteil der nicht-gläubigen Menschen nirgends so hoch ist wie im Osten Deutschlands. Zum Glück habe ich ein tolles Team an Mitarbeitern, die mich unterstützen.“

Von Routine kann bei Lena Ruddies Aufgabenvielfalt nicht die Rede sein. „Jeder Tag ist anders.“ Da Wochenenden viel musikalisch verplant sind und unter der ­Woche bis abends geprobt wird, muss die Familie mit an einen Strang ziehen. „Was sie auch tut, wofür ich sehr dankbar bin. Sonst könnte ich diesen Job so nicht ausführen“, sagt die Kantorin.

Die Energie für ihre Arbeit bekommt sie von den Menschen. „Wenn Leute gern zu den Proben kommen, macht mich das glücklich und ich habe mein Ziel erreicht. Eine vertrauensvolle Kommunikation und ein intensiver Austausch mit Kindern und Erwachsenen in meinen Gruppen macht mich froh und gibt mir Kraft“, erklärt die Kantorin. Gruppenarbeit sei immer auch Beziehungsarbeit. „Das Team um mich herum (Superintendent, Pfarrerinnen, Sekretärin, Hausmeister, Leiterin des Mehrgenerationenhaus Arche und viele mehr) begleiten meine Arbeit unterstützend, das ist sehr wichtig.“

Vielfalt in den musikalischen Formaten

Es sei auch immer eine ­Herausforderung den Nerv der Eilenburger zu treffen. „Aus Erfahrung weiß ich, dass man mit lokalansässigen Ensembles die Eilenburger dazu bewegen kann, zum Konzert zu kommen.“ Oder mit ausgefallen Auftritten, wie zum Beispiel von Alphornbläsern. Sehr gut angenommen werden auch das alljährliche Musical der Singschule oder besondere Musikformaten, wie die Orgelnacht. Auf ein Highlight dürfen sich die Eilenburger 2026 freuen: Da wird es wieder ein Weihnachtsoratorium geben. „Das führen wir in regelmäßigen Abständen als Besonderheit auf.“

Es sei auch notwendig, immer wieder auf die vielfältigen kirchenmusikalischen Aktivitäten aufmerksam zu machen. „Dafür sind wir zum Beispiel regelmäßig beim Stadtfest mit einem Auftritt dabei. Und wir überlegen uns stetig etwas Neues, um die Menschen zu fesseln: wie bei unserem 160. Geißler-Orgeljubiläum der Bergkirche. Da gibt es dieses Jahr bei jedem Konzert köstliche Orgelkekse. Mit jedem verkauften Keks wird der Geldtopf für die ­Instandhaltung des Instruments gefüllt.“ Gemeinsam mit der sogenannten „Orgelmaus“, gespielt von Susanne Ferl, versucht sie außerdem bei Orgelführungen Kinder und die ganze Familie für das Instrument Orgel zu begeistern.

Eigene Freizeit

Wenn Lena Ruddies mal Freizeit hat, dann verbringt sie diese mit der Familie. „Diese Zeit ist so kostbar und wichtig.“ Dennoch nimmt sie sich auch die Zeit für sich. „Ich nehme Trompetenunterricht. Das macht total Spaß, denn hier bin ich mal die Schülerin“, sagt sie. Und wenn dann noch Zeit übrig ist, liest sie gern, trifft Freunde, ist im Garten tätig oder macht einfach mal nichts – „das genieße ich auch mal“. Nannette Hoffmann

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