Ÿ

Von Thomas Gillmeister

Der Tod der Leipziger Tramperin Sophia (28) in diesem Sommer löste bei Ramona Starke (51) tiefe Betroffenheit aus und rief die Erinnerungen an ihre Schwester Cordula wach.

Auch sie wollte trampen, kam aber nie an. Seitdem fehlt jede Spur von der damals 22-Jährigen aus Wurzen. In wenigen Wochen ist es ein Vierteljahrhundert her, dass sie verschwand.

Wenn Ramona Starke aus dem 100-Seelen-Örtchen Kleinzschepa bei Wurzen mit ihrem Auto fährt und eine Tramperin sieht, hält die erfolgreiche Geschäftsfrau sofort an. Sie nimmt sie ein Stück mit und klärt dabei über die Gefahren auf, die am Straßenrand lauern. Dabei redet sich die Mutter von zwei Kindern und Oma von vier Enkeln schon mal in Rage, so dünnhäutig ist sie beim Thema Trampen über all die Jahre geworden.

Hunderte, Tausende Male liefen in all der quälenden Zeit Szenen vor ihrem geistigen Auge ab, wie ihre Schwester in einen fremden Wagen steigt und so eventuell in ihr Verderben. Es ist der 14. Oktober 1993: ein nasskalter Tag, polare Kaltluft kündigt sich an. Trotzdem möchte die lebenslustige Cordula mit dem wildkirschrot gefärbten Haaren am nächsten Morgen gemeinsam mit ihrem Freund Marko von Wurzen aus zu einer Familienfeier im Weimarer Land aufbrechen. „Cordula trampte gern mal, um so günstig von A nach B zu kommen“, denkt ihre Schwester zurück. „Ich hatte dabei immer ein mulmiges Gefühl und versuchte, sie davon abzuhalten.“ Auch an jenem Schicksalstag, an dem sie ihre Schwester das letzte Mal sah.

Als Ramona Starke ihr am nächsten Tag Geld für eine Zugfahrt zustecken wollte, klingelte sie vergebens an der Wohnungstür. Seit dem 15. Oktober 1993 ist die Altenpflegerin spurlos verschwunden. Als klar war, dass sie nie in Thüringen ankam, alarmierte die Familie die Polizei und die Öffentlichkeit.

Fest steht: Am Abend vor dem Verschwinden kam es zwischen der Schwangeren und ihrem Freund zu einem Streit. Er verließ daraufhin das gemeinsame Nest. Die großen Fragezeichen: Was passierte genau in jener Nacht? Ist Cordula wirklich am 15. Oktober mit ihrem olivfarbenen Rucksack allein ins rund 100 Kilometer entfernte Schmiedehausen getrampt? Wenn ja, was geschah auf der Tour? Trotz intensivster Ermittlungen konnten bis heute keine Antworten gefunden werden. Ramona Starke zahlte noch ein Jahr Miete für die Wohnung ihrer jüngeren Schwester: „Immer in der Hoffnung, dass Cordula einmal wieder vor der Tür steht.“ Das Schicksal verfolgt die Sächsin bis heute. Es vergeht kaum ein Tag, an dem sie nicht an ihre Kleine denkt. Das kostet Kraft. Das belastet den Körper. Zweimal erkrankte Ramona Starke an Krebs. Doch sie kämpft. Heute fühlt sie sich wieder fit für den Alltag und für all das, was noch kommen mag in einem der mysteriösesten Vermisstenfälle Sachsens. Je näher der Zeitpunkt Verschwindens von Cordula Keller vor 25 Jahren rückt, umso mehr Hoffnung hat die Schwester, dass jemand mit einem wichtigen Detail oder einem entscheidenden Hinweis endlich die quälende Ungewissheit beendet.

Tipp: Wer Hinweise zu Cordula Keller geben kann, melde sich bitte bei der Leipziger Polizei unter der Telefonnummer 0341 96646666.

www.leipziger-rundschau.de

 

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here