Ein leckerer Kaffee darf bei Jessica Wahls auch beim sonntäglichen Frühstück nicht fehlen. Foto: Andreas Neustadt

Leipzig. Gemütlich in einem Café einen Kaffee trinken, mit Freunden treffen oder einfach auf der heimischen Couch entspannen. Einfach mal die Ruhe genießen. Beim Gedanken daran fühlt sich Jessica Wahls sichtlich wohl. Seit acht Jahren wohnt die gebürtige Hessin gemeinsam mit ihrer Tochter Cheyenne in Leipzig – und sie hat noch keinen einzigen Tag bereut. „Als ich damals in Leipzig reingefahren bin, hab ich sofort gefühlt: ‚hier bin ich richtig‘“, schwärmt sie: „Und obwohl ich schon so lange hier wohne, hab ich noch längst nicht alles gesehen. Ich wollte schon immer mal eine große Stadtrundfahrt machen, um die Stadt noch besser kennenzulernen.“

Zu Beginn der 2000er-Jahre war für Jessica Wahls an Ruhe und Entspannung nicht zu denken. Kein Wunder: da mischte sie als Teil der No Angels, die mit mehr als fünf Millionen verkauften Platten und gleich vier Nummer-1-Hits in den deutschen Singlecharts eine der erfolgreichsten Girlgroups Europas war, die weltweite Musikszene auf. Damals gehörten Shows auf riesigen Bühnen, Tausende kreischende Fans und der Gang auf den roten Teppichen dieser Welt zur täglichen Realität. Songs wie „Daylight in your Eyes“, „There Must Be an Angel“ oder „Something About Us“ durften auf keiner Party fehlen. Und Jessy war mit Anfang 20 mittendrin in diesem Trubel. „Das war eine unglaublich spannende Zeit mit vielen Hammer-Momenten“, erinnert sie sich unter anderem an ein Treffen mit dem ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton, Besuche bei den Hot-Spots-Awards und beim Formal-1-Grand-Prix in Monaco und den ersten Auftritt „bei ‚The Dome’ vor „unheimlich vielen Zuschauern.“ Ein Erlebnis, an das Jessica Wahls allerdings eher mit Grausen zurückdenkt, war die Teilnahme der Band am Eurovision Song Contest 2008 in Belgrad. „Das war für mich die Hölle. Ich lag fünf Tage lang krank im Hotelzimmer in Quarantäne und konnte nur zum Auftritt auf der Bühne stehen. Ich war sogar beim Militärarzt“, erinnert sich Jessy. Mit der Single „Disappear“ reichte es in der Belgrad-Arena im Finale nur zu Platz 25. Die öffentliche Kritik war entsprechend groß. „Auch für die Band insgesamt war die Teilnahme nicht gut. Nachdem der Auftritt schiefgelaufen war, ist unglaublich viel Kritik auf uns eingeprasselt. Aber wir waren definitiv nicht so schlecht, wie es geschrieben wurde.“

Angefangen hat alles im Jahr 2000, als sie in der ersten Staffel der Musik-Castingshow „Popstars“ auf RTL II zu den fünf Auserwählten No Angels gehörte. Mehr als 4.500 junge Frauen ab 18 Jahren hatten sich für einen der fünf begehrten Plätze beworben. „Ich habe von dem Casting in Frankfurt im Fernsehen erfahren. Ich wusste damals aber nicht einmal, wofür dort eigentlich gecastet wurde“, blickt sie schmunzelnd zurück. In ihrer Kindheit und Jugend in der hessischen Provinz hatte sie bereits einiges an musikalischer Erfahrung gesammelt. „Als ich zehn oder 12 Jahre alt war, gab es das TV-Format ‚Mini Stars‘. Da hab ich mal mit einer Freundin mitgemacht. Außerdem war ich im Chor und in der Musikschule. Mit 18 Jahren hab ich in einer Garagen-Blues-Band gesungen“, erinnert sie sich. Gesangsunterricht habe sie damals allerdings nie genommen – und das aus einem eher pragmatischen Grund, wie sie schmunzelnd erzählt: „Ich hab damals nebenbei in der Werbefirma meiner Mutter gearbeitet und ein bisschen Geld verdient. Das wollte ich nicht für langweilige Dinge wie Gesangsunterricht ausgeben.“ Eigentlich war sie zum Zeitpunkt des Castings mitten in der Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau und wegen einer Erkältung krankgeschrieben. „Deshalb kam die Teilnahme an diesem Casting für mich eigentlich gar nicht infrage. Aber meine Mutter und meine Freundin haben so lange auf mich eingeredet, bis ich dann doch nach Frankfurt gefahren bin.“ Und das mit Erfolg. In zwei Runden schaffte sie zunächst den Sprung zum einwöchigen Workshop der besten 32 auf Mallorca unter der Leitung von Detlef D! Soost. „Das war für mich schon ein toller Erfolg. Und ganz zufällig fiel mein Urlaub damals genau in die Zeit des Workshops“, erinnert sie sich. Auch „auf Malle“ konnte die damals 23-jährige Jessy die kritische Jury überzeugen.

Im November 2000 stand fest, dass Jessica Wahls tatsächlich zu den No Angels gehört. „Spätestens nach dem Workshop habe ich gemerkt, dass es ernst wurde. Dann habe ich es durchgezogen“, erinnert sie sich und zog „zusammen mit den anderen Mädels in das Band-Haus in München“. Von da an gab es keine ruhige Minute mehr: erste Single, erstes Album, 1. Tour und dazwischen jede Menge gemeinsame Proben und PR-Termine. Statt in die heimischen vier Wände ging es jeden Tag in eine andere Stadt und ein anderes Hotel. „Das war für uns alle wahnsinnig intensiv. Wir waren ja überhaupt nicht darauf vorbereitet, weil wir ins kalte Wasser geschmissen wurden. Für uns Mädels war das Schicksal. Wir haben jeden Tag hart gearbeitet. Diese Zeit hat uns alle sehr schnell reifen lassen. Das Musikbusiness ist ziemlich hart, da sind viele Menschen auf ihren eigenen Vorteil aus, weil es um eine Menge Geld geht. Und wenn es ums Geld geht, merkt man auch ganz schnell, wer seine Freunde sind“, erzählt sie und zieht gleichzeitig eine Parallele zwischen den Castingshow damals und heute: „Aus meiner Sicht war eine Castingshow früher ehrlicher und experimenteller als heute. Heute ist das Ganze deutlich mehr Show.“ Das sei auch der Grund gewesen, warum die No Angels so erfolgreich waren – auch über die deutschen Landesgrenzen hinaus. „Wir waren damals einfach ‚DIE’ Band. Wir waren die erste Casting-Band in Deutschland und sind praktisch schuld, dass es alle anderen Castingshows gab bzw. immer noch gibt. Aber wir haben uns immer geweigert, uns als Retorte zu sehen. Wir haben nur die Songs gesungen, hinter denen wir selbst zu 100 Prozent gestanden haben. Deshalb war es für die Fans auch einfacher, sich mit uns zu identifizieren. Von sechs bis 60 waren alle Altersgruppen vertreten – wie bei Helene Fischer.“

Nach zwei überaus intensiven Jahren machte Jessica Wahls eine Pause – aus gutem Grund. Sie war schwanger. 2003 brachte sie Tochter Cheyenne zur Welt. Ende des Jahres lösten sich die No Angels auf, um 2007 als Quartett ein erfolgreiches Comeback hinzulegen. Nach dem fünften Studioalbum und einer Akustik-Tour durch Deutschland war das Kapitel „No Angels“ im Jahr 2014 endgültig beendet. Und was ist geblieben aus der „No-Angels-Zeit“, deren Start sich in diesem Jahr zum 20. Mal jährt? Bei der Antwort auf diese Frage muss sie nicht lange überlegen. „Unglaublich viele prägende Erinnerungen und Freundinnen fürs Leben. Wir Mädels werden das Jubiläum für uns bestimmt ein bisschen feiern.“

Auch heute noch erlebt Jessica Wahls immer mal wieder, dass sich die No Angels nicht nur einen festen Platz in der Musikgeschichte, sondern auch in den Herzen ihrer Fans ersungen haben – und das nicht nur, weil sie seit acht Jahren in der Musikredaktion bei MDR Jump in Halle/Saale arbeitet. Wegen dieser beruflichen Chance zog es Jessy 2012 nach Leipzig. „Manchmal treff ich beim Einkaufen Leute, die mich jetzt noch erkennen. Vor einigen Wochen war ich zum Beispiel bei Freunden in Berlin. Da ist ein No-Angels-Fan an uns vorbeigelaufen. Als er mich erkannt hat, hatte er Tränen in den Augen, weil er so glücklich war, mich einmal persönlich zu treffen. Wir sind ins Gespräch gekommen und haben natürlich auch ein Foto gemacht. Solche Begegnungen sind wirklich rührend“, berichtet sie mit einem Lächeln. Und auch sie selbst mag die Musik der No Angels nach wie vor: „Ich freue mich immer, wenn in der Disko unsere Songs gespielt werden. Da geht es natürlich sofort auf die Tanzfläche.“ Und auch in der Musikszene – selbst im Hip-Hop- oder Rap-Bereich – spricht man noch heute voller Respekt von den No Angels. „Weil wir einfach gute Musik gemacht haben“, sagt sie selbstbewusst. Heute ist Jessica Wahls nur noch selten als Musikerin aktiv. Ab und an ein Jingle bei MDR Jump, in der Weihnachtszeit ein paar Weihnachtslieder – ansonsten beschränken sich ihre musikalischen Aktivitäten derzeit eher auf das Musikhören. „Außer Schlager höre ich alles – von den Red Hot Chili Peppers und Coldplay über Beyonce bis hin zu richtigem Gangsterrap. Vor allem die 1990er, R’n’B und Hip-Hop sind mein Ding.“

Neben der Musik haben es Jessica Wahls vor allem Tiere angetan. Dank der drei Katzen ist im Hause Wahls immer tierisch was los. Vor einigen Tagen hat Jessy außerdem mit Reitunterricht begonnen und sich damit einen lang gehegten Traum erfüllt. Außerdem liebt sie es, im Park spazieren zu gehen und abends durch die Innenstadt zu schlendern.

„Ich mag die Bar-Kultur in Leipzig. Außerdem geh ich im Sommer gern ins Open-Air-Kino am Scheibenholz“, erklärt sie. In den Sonntag startet Jessica Wahls meist ganz entspannt – mit einem ausgiebigen Frühstück, zu dem sie je nach Laune auch gern mal ein paar leckere Pancakes bäckt.

Ansonsten sieht der letzte Tag der Woche etwas anders aus als in anderen Haushalten. „Sonntag machen wir meist den Hausputz und gehen einkaufen – zum Beispiel im Hauptbahnhof. Dafür machen wir samstags nichts, außer uns zu entspannen. Der Samstag ist sozusagen unser Sonntag.“ Andreas Neustadt

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