Obwohl Bergsteiger Olaf Rieck oft in großen Höhen und damit kalten Regionen unterwegs ist, liebt er es eigentlich warm. „Die grandiosen Regionen auf unserem Planeten sind aber da, wo es kalt ist. Das ist Pech für mich.” Foto: André Kempner

Leipzig. Silvester 2015: Olaf Rieck und sein Team fahren mit dem Kajak durch Feuerland. „Wir waren wochenlang völlig allein in einer der grandiosesten Ur-Naturen, die unser Planet noch zu bieten hat“, erinnert sich der Abenteurer. Sein Ziel: der Gipfel des 1400 Meter hohen Monte Sarmiento – ein Koloss aus Eis. „Unfassbar schön, aber extrem schwer zu besteigen.” Erst eine Seilschaft hat es bis dato auf den Gipfel geschafft. Olaf Rieck wagt den Versuch. Doch 50 Meter vor dem Ziel müssen die Bergsteiger umkehren. „Das Risiko, nicht mehr runterzukommen, wurde einfach zu groß“, sagt er. „Alles in mir hat sich gesträubt, weiter zu klettern.“

Die Geschichte des Leipziger Extrembergsteigers Olaf Rieck ist eine des Scheiterns. Erfolg und Misserfolg einer Expedition liegen jedes Mal nah beieinander. Da ist auf der einen Seite Riecks unbedingter Wille, einen Berg zu bezwingen und auf der anderen Seite die vielen Umstände, die dafür stimmen müssen. Olaf Rieck ist 58 Jahre alt, drahtige Statur, wettergegerbte Haut, ein Outdoor-Typ. Seit 24 Jahren klettert der Leipziger auf die höchsten Berge der Welt.

Zwei erfolglose Expeditionen zum Gipfel

Dass ihm das Schicksal auf dem Weg nach oben gewogen sein muss, hat ihn die Erfahrung gelehrt. Zwei Mal versuchte er erfolglos den Hidden Peak, einen Achttausender im Himalaya-Gebirge, zu besteigen. Das Wetter war zu schlecht, die Gefahr von Lawinen zu groß. Versuch Nummer drei klappte 2019 schließlich. „Und das war keineswegs sicher.“ Riecks Credo lautet: „Lieber einmal mehr umkehren als einmal zu wenig.“ Der Ex-tremsportler, sagt, er versucht alle Risiken „so weit wie möglich auszuschalten“. Doch das gelinge nicht immer. Wer auf einen Achttausender klettert, muss durch zerklüftete Gletscher laufen, vorbei an Eistürmen, die plötzlich umkippen können und metertiefen Gletscherspalten, in die man rutschen kann. Olaf Rieck versucht, in solchen Gefahrenzonen nur kurze Zeit zu verbringen. In heiklen Situationen wägt der Profi die Fakten ab, hört außerdem auf sein Bauchgefühl und entscheidet dann, ob es weitergeht. Er findet: „Das Leben ist zu schön, um an einem Berg zu sterben.“ Und doch ist es die Gefahr, die ihn jedes Mal aufs Neue anzieht. „Nirgendwo spürt man, wie schön das Leben ist, als in einer Gefahrensituation, in der man Angst hat und dann die Kontrolle zurückgewinnt.”

Man muss wissen: Olaf Rieck ist im Himalaya stets ohne Lastenträger und ohne Sauerstoff unterwegs. Letzteres funktioniert nur, weil der Bergsteiger seinen Körper langsam an die Höhe und den geringen Sauerstoffgehalt gewöhnt. „Die Herausforderung ist, dass man sich überwindet, auch noch in der Todeszone weiterzulaufen, bis man den Gipfel erreicht hat.“ Dies sei ohne körperliche Schäden möglich, wenn man sich intensiv genug darauf vorbereitet hat. „Alles andere ist Selbstbetrug“, findet er.

Ohne Sonnenbrille geht nichts: Olaf Rieck an der Gipfeleiswand des Bergs Shivling in Indien 2017. Foto: privat

Drei Achttausender hat Olaf Rieck in seinem Leben erfolgreich bestiegen, er leitete über 50 Expeditionen in der Nepal-Region und verbrachte zusammengerechnet fünf Jahre im Himalaya. Während viele seiner ehemaligen Kletterpartner irgendwann Frau, Kind und „einen Wohlstandsbauch“ bekamen und mit dem Klettern aufhörten, ließ Rieck seine Leidenschaft nie los. Lebensgefährtinnen kamen und gingen nach einer Weile wieder, sagt er. Es ist nicht leicht, mit jemandem zusammen zu leben, der jedes Jahr Monate auf abenteuerlichen Trips im Ausland verbringt und sein gesamtes Geld in diese Expeditionen steckt. Rieck sagt mit seinem Beruf „bleibst du arm wie eine Kirchenmaus”. Trotz mancher finanziellen Sorge: Man kann sagen, Olaf Rieck lebt seinen Traum. Dabei wäre dieser um ein Haar geplatzt, bevor er richtig beginnen sollte. Ein Blick zurück: Der spätere Bergsteiger wächst in der sachsen-anhaltischen Lutherstadt Wittenberg auf. Er besucht die Karl-Marx-Oberschule und hat den Traum Tierarzt zu werden. Nach dem Schulabschluss geht er eineinhalb Jahre lang zur Armee und bekommt 1985 den begehrten Studienplatz in Veterinärmedizin in Leipzig. In dieser Zeit entdeckt er auch seine Liebe zum Bergsteigen. „Das ist wie mit einer schönen Frau, in die man sich verliebt und gar nicht sagen kann, warum.“

1988 nimmt er an einem Studentenaustausch nach Mittelasien teil. Die Kommilitonen besuchen unter anderem ein Berglager in Taschkent in Usbekistan. „Da hab ich das erste Mal in meinem Leben richtig große Berge gesehen – und war verliebt.“ 1989 ist er ein zweites Mal dort und besteigt einen Fünftausender. „Ich war damals vollkommen geflasht“, sagt er rückblickend. Die beiden Reisen lassen ihn nie wieder los. „Das war der Start meiner Karriere.“

Zu viele Tierärzte und nicht genug Jobs

Mit der Wiedervereinigung 1990 hat Rieck sein Staatsexamen in der Tasche und das Problem, dass es plötzlich viel zu viele Tierärzte in der ehemaligen DDR gibt. Aus der Not heraus nimmt er eine wissenschaftliche Stelle an der Uni Leipzig an, im Bereich der Anatomie, schreibt 1993 seine Doktorarbeit und hätte von da an den Weg zum Professor einschlagen können. Doch für Rieck steht damals fest: „Bis an mein Lebensende werde ich nicht zwischen Hörsaal und Präpariersaal hin- und herpendeln.“ Deshalb kündigt er seinen Job und will künftig als Tierarzt arbeiten – und sich vorher noch ein paar Reiseträume erfüllen. 1998 steht das erste große Projekt an: die Besteigung des 8188 Meter hohen Cho Oyu in Tibet, dem sechsthöchsten Berg der Erde. Fünf Monate bevor es losgeht, stürzt Rieck beim Klettern ab („ein dummer kleiner Fehler“) und zertrümmert sich dabei die linke Ferse. Er erinnert sich noch an den Chefarzt der Leipziger Uniklinik, der bei der Visite vor seinem Bett stand und ihm erklärt, dass er das mit der Expedition nun vergessen könne. Wer weiß, ob er überhaupt wieder richtig laufen kann. „Das fand ich sehr unsensibel“, sagt er rückblickend. Doch Rieck ist eine Kämpfernatur. Er gibt nicht auf. Neun Schrauben stecken nun in seinem linken Fuß, er macht intensive Physiotherapie – und schafft es fünf Monate später tatsächlich, den Cho Oyu zu besteigen. Ein Riesenerfolg.

Im Anschluss hält er Vorträge über sein Abenteuer und verdient sogar Geld damit. Anfang der 2000er steckt das Internet noch in den Kinderschuhen. „Damals kamen die Leute noch in Scharen.“ Der Job als Tierarzt rückt in den Hintergrund. Rieck versucht von nun an, seinen Lebensunterhalt mit dem Bergsteigen zu bestreiten. Und er sagt etwas scherzhaft: „Dieser Versuch dauert immer noch an.“ Seit 24 Jahren ist er als professioneller Bergsteiger unterwegs, organisiert inzwischen Touren für Kunden, bietet Seminare für Führungskräfte an und hat einen eigenen Online-Shop. „Es ging bergauf“, sagt er und ergänzt: „Dann kam Corona und alles brach weg.“

Im April 2020 war Olaf Rieck in Nepal unterwegs und der internationale Flughafen in Kathmandu hatte bereits geschlossen. Dank guter Kontakte und der Hilfe der deutschen Botschaft wurden Rieck und sein Team nach Deutschland ausgeflogen. Während der vergangenen drei Jahre hielt sich der Profi-Bergsteiger mit kleineren Expeditionen über Wasser, organisierte Klettertouren in Spanien, gab Kurse in den Alpen oder in der sächsischen Schweiz. „Die Leute hatten ein riesengroßes Bedürfnis, rauszukommen.“ Daran habe sich bis heute nicht viel geändert. Seine geführten Reisen nach Nepal sind derzeit stark nachgefragt.

Olaf Riecks Ziel ist es, nach und nach die schönsten Berge der Welt zu besteigen. Von der Liste streichen kann er bisher den Laila Peak in Pakistan, den Shivling im indischen Teil des Himalaya sowie den Alpamayo in Peru – der aktuell als schönster Berg der Welt gilt. Olaf Rieck ist eben auch ein Getriebener seiner eigenen Ziele. „Ich sehe den Berg und will da rauf.” Obwohl sie ihm oft Probleme bereiten, sieht der Kletterer die Berge als Freunde an. „Ein Berg ist für mich eine Persönlichkeit.” Auch Demut spiele beim Aufstieg eine Rolle. „Ich habe großen Respekt vor diesen gewaltigen Felsgestalten.”

Um auch weiterhin fit genug für kommende Expeditionen zu sein, hat sich der Leipziger ein strenges Sportprogramm verordnet – sieben Tage die Woche. Vor allem Ausdauertraining wie Radfahren und Langlauf seien wichtig, um seine Kondition aufrecht zu erhalten. Auch wenn er mit seinen 58 Jahren „inzwischen das ein oder andere Zipperlein”, habe. Wann immer es möglich ist, geht Rieck draußen klettern – vor allem im Erzgebirge oder in der Sächsischen Schweiz. In der Halle trainiere er nur im Notfall. „Zu staubig, zu laut.” Übrigens: Wenn Rieck anderweitig abschalten will, liest oder hört er sehr gern Gedichte von Rainer Maria Rilke. Im März steht die nächste geführte Reise nach Nepal an. Eine eigene Expedition hat Rieck erst für 2024 geplant, nach Pakistan, zu welchem Berg, sei noch offen. Fest steht für ihn nur: „So lange ich einen Fuß vor den anderen setzen kann, werde ich auf Berge steigen.“ Gina Apitz

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