
Mittendrin im echten Leben – und dies als aufmerksame Beobachterin mit der Kamera: In diesen Situationen – langer Arbeitstag hin, Stress durch äußere Umstände her – fühlt sich Dunja Engelbrecht ganz schön wohl.
Und dies immerhin schon seit mehr als zehn Jahren: So lang ist die Wahl-Leipzigerin in der Welt unterwegs, um das echte Leben als Kamerafrau festzuhalten. Der Erfolg: In diesem Jahr wurde sie (zum inzwischen zweiten Mal übrigens!) mit dem Deutschen Kamerapreis geehrt und zwar für den Dokumentarfilm „Die Taxi-Oma – Fahrerwechsel auf Kasachisch“.
Auto vor in karger Winterlandschaft
Da fährt ein Auto vor in karger Winterlandschaft mit Hütten und Katen, eingewiesen von einem alten Mann. Im Sitzen, mit einem knappen Winken. Eine Frau im dicken Pelz – ganz sicher im gleichen Alter – steigt aus. Eine knappe Begrüßung, mit einer kleinen, aber doch liebevollen Geste. Und dem Satz des Mannes: „Geh vor, du hast doch das Geld verdient.“ Oder ganz viel Qualm. Mittendrin ein Mann mit einer Schippe, kratzend und scharrend. Gleichzeitig unwirklich und ein wenig beängstigend. Mehr Qualm, die Säule steigt bis hinauf in den Himmel.
Oder ein ganz zärtliches, intimes Bild – ein Esel und ein Mann, ganz dicht beieinander. Gesicht an Gesicht. Vertraut, das sieht man auf den ersten Blick. „Als kleiner Junge war ich für einen Esel verantwortlich und ich habe mich in ihn hineinversetzt“, erzählt der Mann aus dem Off.
Und steht dann mittendrin in einer wahren Eselherde, mit der er tatsächlich eins zu werden scheint. Es sind drei unterschiedliche Filme, drei Dokumentation aus Kasachstan, aus Polen und Montenegro. Mit unterschiedlichen Themen und Ansätzen, aber vereint durch eins – den Kamerablick von Dunja Engelbrecht …
Eine erneute Auszeichnung
„Dunja Engelbrecht findet Bilder, die mehr zeigen, als man sieht“, befindet die Jury des Deutschen Kamerapreises, als sie die Wahl-Leipzigerin in diesem Jahr erneut in der Kategorie „Doku SCREEN“ auszeichnet. Was ganz sicherlich daran liegt, dass sich die Kamerafrau so aufgehoben fühlt in dem, was sie tut – Bilder einfangen für Dokumentationen. Oder wie sie es beschreibt: „Mit einem kleinen Team mittendrin stehen im echten Leben.“
Dabei war dieser Weg hinter die (Film-/Fernseh-)Kamera so gar nicht vorgezeichnet. Wobei das Interesse an den bewegten Bildern schon immer da war – was die gebürtige Niedersächsin schließlich auch nach Sachsen führte. Genauer gesagt an die Hochschule Mittweida, um den Bachelor of Arts in Film und Fernsehen zu erreichen.
„Eines ist sicher: Die Geschichte vor Ort ist immer die bessere.“
Der eigentliche Moment der gewonnenen Leidenschaft kam aber nach dem Studium, auf der italienischen Insel Elba: Das Hydra Institut hatte ein Praktikum für die Arbeit mit der Unterwasserkamera im Angebot und Dunja Engelbrecht war sofort dabei. Ein perfektes Match gewissermaßen, wie sie im Rückblick mit einem Lächeln berichtet: „Im Anschluss kam ein Kamera-Volontariat beim Hessischen Rundfunk – zum Erlernen des Handwerks gewissermaßen.
Und ich habe auch sofort angefangen zu drehen. Für Nachrichten und Magazine.“ Gut so, findet sie – denn dabei hat sie Wichtiges gelernt. Ruhig zu bleiben zum Beispiel.
Diese Bilder, die mehr zeigen, als man sieht
Denn ohne diese Ruhe erkennt man sie nicht. Diese besonderen Momente. Diese Bilder, die mehr zeigen, als man sieht. Was auch Dunja Engelbrecht ganz ähnlich definiert. „Unterm Strich geht es bei einer Dokumentation um eines: Man muss in der Lage sein, die Situation zu erkennen, in der gebündelt ganz viel erzählt wird. Den Augenblick, der mehr bedeutet als die Summe der einzelnen Teile.“
Den sieht man nun mal nicht, wenn man nicht aufpasst – auch mit acht Stunden Kameraarbeit in Beinen und Armen (wobei sie interessanterweise auch eher die schweren Kameras bevorzugt – die eben mit dem puren Gewicht auch mehr Bildstabilität geben). Und den sieht man erst recht nicht, wenn man sich allzu sehr einschnüren lässt in ein vorgegebenes (inhaltliches) Konzept.
„Im Zweifelsfall läuft vor Ort alles ganz anders“
Denn mit den Dokus ist es wie mit den meisten Dingen im Leben. „Man überlegt sich einen Plan, wie man die ganze Sache angehen möchte. Aber im Zweifelsfall läuft es dann vor Ort doch alles ganz anders“, sagt sie mit einem Lächeln. Und ergänzt: „Man muss loslassen können – vor allem und gerade von Dingen, die man sich im Vorfeld überlegt hat. Denn eines ist sicher: Die Geschichte vor Ort ist immer die bessere.“ Weil sie real ist, authentisch und nicht ausgedacht am Schreibtisch. Dokumentation eben in seiner definierten Form.

spricht über Stress und einzigartige Momente. Foto: André Kempner
„Das hat aber auch sein Gutes: Man muss flexibel bleiben. Sich immer wieder austauschen.“ Im meist kleinen Team, aber auch mit den Menschen, deren Geschichte man erzählen will. Denn wenn es einen Trick gibt, um diese erwähnte Authentizität zu erreichen und der immer funktioniert – in der Mongolei ebenso wie in Lettland und den Julischen Alpen, um mal noch ein paar weitere Drehorte zu nennen – dann ist es dieser eine: „Das Zuhören und das Hinhören. Und das konzentrierte Arbeiten. Denn die Menschen merken schnell, wenn man echtes Interesse hat. Ja, dann ist Kamerafrau schon auch ein bisschen mehr als nur ein Job.“
„Echtes Interesse“
Was einem auch ziemlich schnell klar wird, wenn Dunja Engelbrecht ein bisschen erzählt von den Reisen mit der Kamera im Gepäck. Von den Sprachen, mit denen man sich schon beschäftigen muss – Stichwort „echtes Interesse“. „Ein interessanter Punkt“, sagt sie nachdenklich: „Es hilft in der Tat ungemein, wenn man mit der jeweiligen Sprache ein wenig klar kommt.
Natürlich läuft ganz viel über eine Kommunikation mit Händen und Füßen. Aber es ist schon wichtig, mal ein paar Anweisungen in der jeweiligen Sprache geben zu können. Und ja, bei den Drehs in Osteuropa hilft es da ungemein, dass ich Slowenisch kann.“
Ein weiterer Punkt: Genau genommen sind Drehtage purer Stress. Ein wahrer Overkill an Eindrücken der hochgradig intensiven Sorte. „Es passiert so viel an jedem Dreh-Tag. Es gibt ständig so viele neue Eindrücke. Und man muss häufig umdisponieren, weil ständig Sachen passieren“, erzählt die Kamerafrau: „Obendrein sind die Tage wirklich lang – denn manchmal passieren die Dinge oder kommen die Ideen erst, wenn man sich am Abend oder in der Nacht das gedrehte Material anschaut.“ Ja, auch dies muss man zulassen – dass manchmal der glückliche Zufall zur Seite steht.
Routinen sind kein „Kreativitäts-Killer“
Wobei dann andererseits aber auch wieder jenes gelernte Handwerk ins Spiel kommt. Die Routinen, die gern als „Kreativitäts-Killer“ dargestellt werden – die aber in der Erfahrung von Dunja Engelbrecht dann doch notwendig sind in stressigen Situationen. Also eher kein lockerer Herangehen, sondern eher knallharte Vorbereitung. Bis hin zu simplen, aber im Zweifelsfall entscheidenden Fragen: „Welche Technik muss ich überhaupt dabei haben?“
Was dann auch wiederum ein spannender Punkt ist: In den letzten zehn Jahren – und so lang ist Dunja Engelbrecht ja schon mit der Kamera in Sachen Dok-Film unterwegs – hat sich bei der Technik echt ne Menge entwickelt. Drohnen sind Standard inzwischen, beispielsweise, was wiederum Sehgewohnheiten massiv verändert hat. „Aber damit hat man gerade in technischer Hinsicht die Chance, Neues zu entdecken.“ Klingt nach einer Menge Neugier. Und auch nach einer permanenten Suche nach Inspiration.
Wo endet Inspiration – und wo beginnt die Routine?
„Natürlich schaue ich mir viele Filme an – auch Spielfilme. Um Bilder zu sehen, Bildkompositionen aufzunehmen“, überlegt die Kamerafrau und stellt eine spannende Frage: „Wo verläuft eigentlich die Grenze zwischen dem Inspiriert-Werden und den Routinen, die einem als Kamerafrau längst in Fleisch und Blut übergegangen sind?“ Eine Frage, die offen bleiben muss – weil sie dann bei jedem Dreh neu verhandelt werden muss. Auf der Suche nach den Bildern, die mehr zeigen, als man sieht.

Wurde für ihre Kameraarbeit zur Doku „Die Taxi-Oma“ ausgezeichnet: Dunja Engelbrecht bei den Dreharbeiten in Kasachstan.
Foto: MDR
Dieses Lob der Jury des Deutschen Kamerapreises öffnet auch ein wenig den Blick darauf, wie sehr die Wahl-Leipzigerin das gefunden hat, was man eine „individuelle Bildsprache“ nennt. Eine Ästhetik, die über die Funktionalität des reinen Festhaltens von Augenblicken, von Nachrichten-Momenten hinausreicht. Dass es diese Ästhetik gibt, davon ist sie überzeugt: „Wenn ich mir eine Dokumentation anschaue, dann erkenne ich schon die Arbeit einer Kollegin oder eines Kollegen. Manchmal springen einen diese Bilder geradezu an.“
Bilder, die auch voller Neugier sind
Es sind Bilder wie jene, die eingangs beschrieben sind. Intensive Bilder. Bilder, die auch voller Neugier sind. „Mein Ding ist es, in andere Länder zu gucken. Andere Kulturen kennenzulernen. Das hat mich immer angetrieben“, sagt Dunja Engelbrecht. Dass ihr Blick so oft nach Osten geht, ist zum einen dem MDR als häufigen Auftraggeber geschuldet – aber eben auch der eigenen Neugier: „Ich finde den Osten unglaublich spannend. Und ich freue mich riesig, dass ich dort diese Dokumentarfilme machen kann. Denn diese Filme zeigen eins: Die Menschen in Osteuropa haben dieselben Träume, Ängste und Wünsche wie wir. Am Ende des Tages sind viele Menschen doch sehr ähnlich. Und ich finde, dies aufzuzeigen ist eine wichtige Aufgabe von Dokus.“
Es ist beinahe wie ein Vordringen zum Kern, zur tiefen Intention, wenn sie mit großer Ernsthaftigkeit erklärt: „Es geht auch um das Aufzeigen von Lebenswirklichkeiten. Deshalb sind Dokus für mich auch eine Sache mit einem zutiefst humanistischen Ansatz.“
„Dieses Feedback ist für mich die wichtigste Motivation“
Was wiederum auf Resonanz stößt – über Preise hinaus. Die sind gut und schön, aber andere Geschichten sind der Kamerafrau spürbar wichtiger: Sie berichtet von jenem Dreh bei Darko Saveljic, dem zu Beginn erwähnten Mann in der Eselherde. „Montenegro – Der Eselretter“ heißt der Film von 2022, den Dunja Engelbrecht mit Galina Breitkreuz gedreht hat. Und davon, was dieser Film nach seiner Ausstrahlung auf Arte auslöste: „Da sind Menschen aus Deutschland und Frankreich zu diesem Gnadenhof gefahren – weil sie diese Geschichte so bewegt hat und sie helfen wollten.“ Nach einer Pause ergänzt sie: „Dieses Feedback ist für mich die wichtigste Motivation.“ Jens Wagner
Infos: www.dunja-engelbrecht.com

































