Sie hat gerade ihr Debüt
Sie hat gerade ihr Debüt "Enarchy" veröffentlicht: Die (Wahl-)Leipzigerin Maria Die Ruhe. Foto: Kristina Kast

Ach – die Leidenschaft, die Leiden schafft. So etwas kennt Maria Die Ruhe nur zu gut: Es ist die Musik, die sie antreibt und dies manchmal bis an die Grenze der Möglichkeiten. Oder darüber hinaus wie im Jahr 2023, um endlich die eigene Platte „Enarchy“ vorlegen zu können. Die elektronische Musik, um ganz genau zu sein: „Und dieses Musikmachen muss man wirklich wollen. Dafür muss man brennen. Denn eines kann ich klar sagen: Wirtschaftlich gesehen bin ich ziemlich oft schon im prekären Bereich unterwegs.“

DJane und vor allem Multiinstrumentalistin, Livemusikerin, Sängerin und Produzentin – man kommt schon ins Staunen, wenn man sich einmal näher mit Maria die Ruhe beschäftigt. Damit, was sie kann und was sie macht. Voller Lust und Leidenschaft. „Inzwischen versuche ich so viel wie möglich Freude und Humor in die Sache reinzustecken“, erzählt sie und ergänzt: „Früher bin ich oft überarbeitet bei Live-Auftritten am Start gewesen.

Und das ist völlig falsch.“ Denn genau für diese Momente lebt sie, für die Konzerte, die tatsächlich als Live-Auftritte funktionieren – was im elektronischen Kontext nun auch nicht unbedingt alltäglich ist. „Ich spiele ja live Instrumente und singe live dazu“, erzählt sie.

Das Live-Comeback 2023

Umso schwerer wiegt die Zeit, in der Maria die Ruhe genau dies nicht konnte, das Livespielen vor Publikum. Manchmal scheint sie in dieser Zeit so unendlich weit weg, die Corona-Pandemie – im Gespräch mit der Musikerin sind sie aber plötzlich wieder direkt und unmittelbar da, die schier endlosen Lockdown-Momente.

Summer Inspiration am Großstolpener See 2017: Maria Ruhe, Künstlername "Die Ruhe", verbreitet alles andere als Stille, verbindet elektronische Musik mit Gesang, alles live. Foto: Marco Gahrig
Summer Inspiration am Großstolpener See 2017: Maria Ruhe, Künstlername „Die Ruhe“, verbreitet alles andere als Stille, verbindet elektronische Musik mit Gesang, alles live. Foto: Marco Gahrig

„Im letzten Jahr hatte ich zum ersten Mal wieder im richtigen Maßstab live gespielt“, erzählt sie. Und davon, wie viel ihr diese Live-Konzerte gegeben hatten – etwa die Auftritte im estnischen Tallinn, vor „wachen, kundigen und lustigen Menschen. Dies war wirklich ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte“.

Was aber wiederum eines zeigt: Der Puls elektronischer Musik ist international. Grenzüberschreitend. „Diese Musik hat die Welt erobert“, sagt Maria die Ruhe mit einem Lächeln. Was einer derart vielseitigen und -schichtigen Musikern eben auch neue Räume eröffnet über die bekannten Clubkultur-Möglichkeiten hinaus. Eigentlich sei es eher ein Festival-Setting, mit dem sie am liebsten auf der Bühne steht und dementsprechend oft findet man ihren Namen auch auf den Line-up-Listen von Fusion und Co. „Ist schon auch eine Herausforderung für die Leute“, sagt sie mit einem Lächeln.

Scharfe Kehrtwendungen

Liegt wahrscheinlich daran, dass der Weg von der gebürtigen Thüringerin in die Clubs dieser Welt alles andere als geradlinig war. Ganz im Gegenteil, der hatte ein paar ganz schön scharfe Kehrtwendungen. Eigentlich, sagt sie, sei sie mal ein klassisches Indie-Kid mit einer gewissen Punk- und Pop-Schlagseite gewesen: „Die Club-Kultur habe ich überhaupt erst in Berlin kennengelernt. Und ehrlich – da musste ich mich auch erst mal reinfinden.“

Ach ja – vom Musikmachen war da noch lange nicht die Rede, vom Auf-Der-Bühne-Stehen aber schon: „Nach der Schule bin ich ziemlich ohne Plan nach Berlin gegangen und habe erst einmal Schauspiel studiert. Aber für Schauspiel bin ich viel zu introvertiert.“

„Die Club-Kultur habe ich überhaupt erst in Berlin kennengelernt. Und ehrlich – da musste ich mich auch erst mal reinfinden.“

Was aber nun wiederum nicht bedeutet, dass diese Studienerfahrungen verschenkt waren. „Schauspiel war nicht so cool, aber ich habe immer gesungen“, bis zu jener Nacht, in der sie auf eine Frau traf, die ihr Leben verändern sollte. Mit intensiven Gesangsunterricht und der neuen Rückkopplung zur Musik, die eigentlich von klein auf das Leben von Maria die Ruhe mitbestimmte. Die nächsten Stationen: Das Jazzgesangsstudium in Saarbrücken. Das Eintauchen in den Jazz mit all seiner Farbigkeit von Improvisationen, Big Band und Free Jazz. Aber auch die Flucht vor dieser leblos wirkenden Vielschichtigkeit ins kalifornische San Francisco: „Das hat mich sehr geprägt, ich habe dort zum Beispiel zum Songwriting geforscht.“

„Ich mache es selbst“

Die Weichen zur elektronischen Musik sind damit gestellt. Die Themen sind ebenfalls gefunden: Es geht um „body positivity“ und „gender equality“, um die positive Einstellung zum eigenen Körper und die Gleichberechtigung über alle denkbaren (Geschlechter-)Grenzen hinweg. Und weil Maria die Ruhe passend zu den Ideen und Visionen auch das Know-how, stürzt sie sich rein in die Arbeit.

„Nach meiner Rückkehr aus Kalifornien habe ich drei Jahre lang an der Bar in der naTo gearbeitet. Und Musik aufgenommen. Irgendwann hat mir dann ein Freund die entscheidende Frage gestellt: Was willst Du jetzt damit machen? Darüber habe ich nachgedacht und entschieden: Ich mache die Dinge selbst.“

Mit aller Konsequenz: Mit Reduced To The Roots hebt Maria die Ruhe im Jahr 2020 das eigene Label aus der Taufe. Und irgendwann wächst die Idee, aus den Einzeltracks mal ein Album zu formen. „Geplant war daran zunächst garnix“, überlegt sie: „Aber das mit der Platte ist ein bisschen wie die Überlegung: Ich will in meinem Leben mal ein Buch schreiben.“ Ohne echtes Konzept, aber mit viel Elan macht sie sich daran, „Enarchy“ zusammenzustellen, die insgesamt 15 Stücke aufzunehmen und zu produzieren.

Dinge sind auf der Strecke geblieben

Eine Zeit, auf die sie manchmal schon auch ein wenig kritisch zurückblickt. „Sicher, ich habe bei der Arbeit am Album viel gelernt – auch über mich selbst“, sagt sie nüchtern: „Und ich bin da über meine Grenzen hinaus gegangen. Ehrlich gesagt: So etwas will ich eigentlich nicht noch einmal machen.“ Weil manche Dinge auf der Strecke geblieben sind – persönlich, aber auch künstlerisch. Maria die Ruhe denkt darüber nach, ob sie eigentlich immer noch eine echte Sängerin ist – weil hin und wieder die Leichtigkeit fehlt, um mit der Stimme „über die Musik zu fliegen“.

Denn auch daraus macht sie keinen Hehl: Es sind die kleinen und wunderbaren, manchmal aber auch überlebensgroßen Momente des erfüllenden Glücks, um die es geht bei ihrer Idee von elektronischer Musik, die zwischen allen Stühlen angefangen von Jazz bis Clubkultur sitzt. Bei der es nicht allein um die euphorisierende Abfahrt geht, sondern auch um die cineastischen Momente und die Irritationen, die dann auftreten, wenn „die Melodien kommen, die eigentlich nicht wirklich in den Kontext passen“.

Was dann wiederum perfekt zum Albumtitel „Enarchy“ passt, in dem ja nicht ganz grundlos auch das Wort „Anarchy“, also Anarchie drinsteckt. Gelesen als Freiheit: „Es geht mir um eben diese innere Freiheit, um den Spaß an Musik und auch um jene Freiheit, meine Musik selbst produzieren zu können. Klar stecken da auch anarchistische Gedanken drin: Ich stehe am DJ-Pult und spiele Sachen, die nicht den üblichen Soundvorgaben entsprechen.“

Entschädigung für die Leidenschaft

Diese Augenblicke sind die Entschädigung für die Leidenschaft, die Leiden schafft. Dafür, dass Maria die Ruhe seit inzwischen gut 15 Jahren gute 70 Wochenstunden an ihrer Musik arbeitet. Getrieben von sich selbst, „auch wenn ich nicht perfektionistisch bin, dafür aber höchst idealistisch. Das ist anders, aber eigentlich auch nicht besser“, sagt sie mit einem Lächeln. Und schiebt die Wortgruppe „betriebswirtschaftlicher Totalschaden“ hinterher, als die Sprache au Karrieren gerade auch im elektronischen Musikbereich im Allgemeinen und die eigene Karriere im Besonderen geht.

Andererseits ist die Leidenschaft ja auch 2024 immer noch da – auch über ein Jahr nach „Enarchy“. Die Themen übrigens auch („Wenn ich mich ums Booking kümmere, sind 95 Prozent aller E-Mail-Adressen nach wie vor männlich.“). Und es gibt nach wie vor eine Menge zu probieren in Sachen Musik: Am liebsten würde Maria die Ruhe möglichst viele Kollaborationen angehen. Und gleichzeitig die Stücke weiter reduzieren: „Meine Musik ist mir eigentlich immer noch zu voll: Nun geht es darum, den wesentlichen Kern zu finden, den ich eben nicht wegnehmen darf.“

Obendrein hat Maria die Ruhe schon auch ein paar Dinge auf der berühmten Haben-Seite: „Ich habe mir ein schönes Studio aufgebaut. Und genug Musik für ein drei Stunden langes Live-Set.“ Dann sagt sie mit einem Lächeln: „Das alles habe ich quasi aus dem Nichts und aus mir selbst heraus geschaffen. Außerdem gilt bei mir eines: Sicherheit ist eine gute Sache, aber andererseits ist mir die Abwechslung im Leben auch ganz wichtig.“ Jens Wagner

Infos: www.mariadieruhe.com

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