Gymnasiallehrerin Maren Reichert ist auch Projektleiterin und Wissenschaftlerin.
Gymnasiallehrerin Maren Reichert ist auch Projektleiterin und Wissenschaftlerin.

Sie ist Lehrerin, Wissenschaftlerin und Projektleiterin – genau genommen übt ­Maren Reichert drei Jobs gleichzeitig aus. Wie sie das schafft? Die 55-Jährige lächelt und zuckt leicht die Schultern. „Ich bin zeitlich wirklich sehr gut ausgelastet”, sagt sie dann diplomatisch. Dass Reichert alle Tätigkeiten unter einen Hut bekommt, hat viel mit ihrem Engagement zu tun – für Studierende, für Schulen, für die Wissenschaft.

Ihre Kerntätigkeit ist die Projektleitung „Praxis im Lehramtsstudium“, die am Zentrum für Lehrer:innenbildung und Schulforschung an der Uni in Leipzig angesiedelt ist. Reichert lädt zum Gespräch in ein kleines Büro in der Prager Straße, in dem eine mit Postkarten und Flyern vollgestopfte Pinnwand die Blicke auf sich zieht. Hier verbringt sie einen Großteil des Tages, koordiniert ein Team aus drei wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen. Reichert wirbt Drittmittel ein, verwaltet Personal und Budget, evaluiert Projekte und betreibt wissenschaftliche Begleitforschung.

Koordinatorin des Start-Trainings

Aktuell liegen drei Projekte in ihrem Bereich – unter anderem das so genannte Start-Training. Die Idee dahinter: „Studierende gehen an die Schule und unterstützen dort Lehrkräfte sowie Kinder und Jugendliche.” Das Projekt wurde 2014 ins Leben gerufen, „um Kindern einen guten Start in der neuen Phase ihrer schulischen Bildung zu ermöglichen”. Die Studierenden unterrichten dabei in der Regel ein halbes Jahr lang in einer Klasse – und fördern die Kinder meist spielerisch.

575 angehende Lehrerinnen und Lehrer nutzen das Angebot in diesem Schuljahr – und bekommen auf diese Weise zusätzliche Praxiserfahrung. „Die Studierenden merken, dass ihre Arbeit dort etwas bewegt”, sagt Reichert. Und: Die Tätigkeit wird honoriert, ist also eine zusätzliche Einnahmequelle. Die Schulen profitieren ebenfalls von der zusätzlichen Unterstützung durch die Studierenden. „Sie bekommen hochmotivierte junge Leute, die mit einem ganz anderen Input da reingehen”, betont Reichert. „Jede Person mehr im Raum ist ein Gewinn.”

Praxis im Lehramtsstudium

Doch wie verhält es sich allgemein mit dem Praxisanteil im Lehramtsstudium? An der Uni Leipzig haben Studierende fünf Pflichtpraktika, die aufeinander aufbauen. An anderen Hochschulen gibt es ein komplettes Praxissemester. Werden die Studierenden ausreichend auf ihre Rolle als Lehrer oder Lehrerin vorbereitet? Maren Reichert antwortet, aus wissenschaftlicher Sicht könne man diese Frage nicht genau beantworten.

Will den Bezug zur Praxis behalten: Vier Stunden pro Woche unter- richtet Maren Reichert am Leibnizgymnasium in Leipzig. Foto: Christian Modla
Will den Bezug zur Praxis behalten: Vier Stunden pro Woche unter-
richtet Maren Reichert am Leibnizgymnasium in Leipzig.
Foto: Christian Modla

Außerdem gebe es ja das Referendariat, „wo die angehenden Lehrkräfte wirklich die Bildungspraxis von A bis Z erfahren sollen”. Fest steht: Viele Studierende fühlen sich zu wenig vorbereitet auf den Beruf, beklagen, dass die Praxis zu kurz kommt. In einigen Fällen ist sogar von einem „Praxisschock“ die Rede. Am Ende, sagt Reichert, liege es in der Hand jedes einzelnen, was er oder sie aus dem Studium macht. Und: Die Qualität sei entscheidender als die Quantität.

Unterricht an Leipziger Gymnasium

Maren Reichert muss es wissen. Sie kennt den Alltag am Gymnasium. Vier Stunden pro Woche unterrichtet sie an der Leipziger Leibnizschule Geschichte. „Das ist der Versuch, sich nicht ganz aus dem schulischen Kontext zu entfernen.” Sie will wissen, was die Kolleginnen und Kollegen an den Schulen bewegt, welche Probleme sie täglich bewältigen. „Ich kenne aktuelle problematische Situationen an Schulen und weiß, wo Menschen an die Grenzen ihrer zeitlichen Ressourcen gebracht werden”, sagt sie.

Die Arbeit als Lehrerin ist – neben der wissenschaftlichen Forschung – auch ein Herzensprojekt der Wahlleipzigerin. „Ich genieße Situationen, in denen man merkt, jetzt sind alle am selben Gegenstand. Es entsteht im Raum dann eine positive Spannung, weil wir alle nachdenken.”

„Es ist zunehmend eine schwierigere Aufgabe für mich, diese beiden Welten zu vereinbaren.”

Doch Reichert gibt gleichzeitig zu, dass die Arbeit am Zentrum für Lehrer:innenbildung und die Rolle als Lehrerin zwei sehr unterschiedliche Schubladen seien. Wenn sie montags an einem wissenschaftlichen Essay schreibt, dienstags aber in der 9. Klasse Geschichte unterrichtet, müsse sie zum einen ihren Wortschatz anpassen und sich zum anderen gedanklich auf die jungen Leute einlassen. „Es ist zunehmend eine schwierigere Aufgabe für mich, diese beiden Welten zu vereinbaren.”

In der Welt Nummer eins – die der Lehrerin – bewegt sich ­Maren Reichert schon seit Jahrzehnten. Die gebürtige Potsdamerin kam in den 80er-Jahren zum Studium in die Messestadt. „Ich fühle mich nach wie vor ein bisschen als Preußin im sächsischen Leipzig.” Ursprünglich wollte sie Außenwirtschaft studieren. Doch zu DDR-Zeiten wurden in dem Studiengang keine Frauen mehr zugelassen, sagt sie. So kam als zweite Wahl das Lehramt in Frage.

Lehrkraft an deutschen Auslandsschulen

Nach ihrem Studienabschluss arbeitete sie einige Jahre an einem Gymnasium und wechselte dann als Lehrkraft an deutsche Schulen in Prag, Alexandria und Jerusalem. Sie merkte: Das Kollegium an den Auslandsschulen war flexibel und sehr engagiert. „Viele Kollegen sind dort mit mehr Offenheit an bestimmte Problemfelder herangegangen”, sagt sie. „Die wollten was.”

2009 kehrte sie nach Leipzig zurück und bekam eine Art Kulturschock. Reichert empfand die Schulen hierzulande als provinziell. „Ich hatte zu tun, mich wieder in Deutschland zurecht zu finden und mich in Sachsen einzuleben.” Nicht alle, aber einige Kolleginnen und Kollegen schauten nur ungern über den sprichwörtlichen Tellerrand und waren mit ihrem Posten von Grund auf zufrieden. Mehr aber auch nicht. Gravierende Unterschiede gab es auch in der Ausstattung, sagt sie. Die deutschen Auslandsschulen waren auf einem ganz anderen Stand, was Equipment, Technik und Gebäudesubstanz anging.

Reichert wünschte sich nach einigen Jahren eine erneute ­Horizonterweiterung – und fand diese schließlich im universitären Umfeld. Von 2014 bis 2018 arbeitete sie am Institut für Bildungswissenschaften der Uni Leipzig, war dort bereits für das Start-Training zuständig und wechselte dann an das Zentrum für Lehrer:innenbildung. „Dort wurde aus dem sehr kleinen Projekt das deutschlandweit größte Projekt, das Schülerinnen und Schüler durch Lehramtsstudierende systematisch fördert.“

Reisen ist ihre große Leidenschaft

Reichert hat drei erwachsene Kinder und ein Enkelkind. Ihre große Tochter ist in ihre Fußstapfen getreten und ebenfalls Lehrerin geworden. Der Sohn arbeitet als Jurist und die jüngste Tochter studiert internationales Management – verwirklicht den damaligen Traum ihrer Mutter. „Das Fernweh“, sagt Maren Reichert, „ist mir wohl schon in die Wiege gelegt worden”.

Wann immer sie im stressigen Alltag Zeit findet, gönnt sie sich diese Pausen und reist quer durch die Welt, etwa durch Asien oder Mittel- und Südamerika. Am liebsten ist sie dann mit ihrem Rucksack unterwegs, übernachtet in Hostels und reist mit öffentlichen Bussen und Bahnen. Für ihre weiteren Leidenschaften – die Literatur, Theater und Konzerte – findet Reichert allerdings seit Jahren kaum Zeit. Ihre drei Jobs fordern eben doch ihren Tribut. Gina Apitz

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