Leipzig. Ne ne, Schubladen sind nicht das Ding von Marco Damghani. Die mag er nicht – mehr noch, der Autor und Regisseur wehrt sich mit Händen und Füßen, in eine solche einsortiert zu werden. Deshalb gab es vor seiner ersten Auftragsarbeit für das Schauspiel Leipzig eine unmissverständliche Ansage: „Kein Stück über das Thema Migration!“ Dabei hatte er gerade eben mit einem solchen Stück – mit dem Überraschungserfolg „Die Leiden des jungen Azzlack“ – für überregionales Aufsehen gesorgt.

Auf keinen Fall das Naheliegende tun! Oder das, was man halt immer so macht! Das könnte beinahe so etwas wie das Lebensmotto von Marco Damghani sein, ein paar Anhaltspunkte finden sich da schon. Zum Beispiel der Schritt ans Theater und dies trotz einer gewichtigen Tatsache: „Meine Familie, aber auch meine Freunde hatten mit Theater nix zu tun.“ Oder der Punkt, dass der gebürtige Hamburger nach wie vor dem HSV die Treue hält, „mein Urgroßvater, vielleicht war es auch der Ururgroßvater, hat beim HSV gespielt. Und in jener Zeit, in der ich mit ins Stadion gegangen bin, war Mehdi Mahdavikia beim HSV am Start“. Er war eine Identifikationsfigur für den Jungen mit der hamburgischen Mutter und dem iranischen Vater, na klar. Und dann fällt noch dieser bemerkenswerte Satz: „Ich möchte lieber ein guter Mensch sein als ein guter Regisseur.“ Wow, das muss man erst mal sacken lassen.

Zuneigung zum Schauspiel

Aber der 30-Jährige weiß dies schon zu erklären, zu begründen und zu ergründen. Wenn er spricht über Teamarbeit auf Augenhöhe beispielsweise oder vom (Leistungs-)Druck bei einer Inszenierung, den man nur zu gern weitergibt an andere Menschen. „Klar, diese Momente habe ich auch schon gehabt“, überlegt er und ergänzt: „Aber ich will nicht der Typ sein, der andere Leute volllöffelt.“ Viel lieber denkt Marco Damghani über das Miteinander nach, über dieses Uhrwerk Theater, das ohne Bühnenbild und ohne Kostüme eben auch nicht funktionieren kann. Und über seine tiefe Zuneigung zum Schauspiel im Allgemeinen und die individuellen Fähigkeiten von Schauspielerinnen und Schauspielern im Besonderen: „Ich bin immer gern ins Theater gegangen, um Schauspiel zu sehen. Wobei ich an der Schule zwar Theater gespielt habe, aber nie selbst Schauspieler werden wollte.“ Der berühmte Kick kam erst später, beim Hospitieren in Hamburg, in Mannheim oder Heidelberg. Und dies auch nicht auf, sondern neben, hinter, vor der Bühne …

Eine Zeit, die er nicht missen möchte – ganz real vorhandene materielle Nöte hin oder her. Weil es da unfassbar viel zu lernen galt: „Ich wusste einst ja nicht mal, dass es einen gehörigen Unterschied gibt zwischen privaten Theatern und staatlichen Häusern – beispielsweise. Deshalb war es erst einmal am wichtigsten, diese ganzen Abläufe in einem Theater kennenzulernen – wobei ich festhalten darf, das Universum Theater immer noch nicht komplett kapiert zu haben.“ Was ihm aber andererseits vielleicht auch gar nicht so wichtig ist – immerhin betont Marco Damghani eines: „Für mich ist es elementar, dass ich mich nicht ausschließlich in diesem Theaterkosmos aufhalte. Dies fände ich ehrlich gesagt langweilig.“

Ein spannender Ansatz

Aus dieser Mischung durchaus bemerkenswerter Einstellungen und Einschätzungen – auch des eigenen Selbst – ergibt sich (folgerichtig) ein spannender Ansatz des Theatermachens: Sehr naturalistisch, manchmal schmerzhaft nah dran am ganz normalen Alltag und immer getragen vom „Wir-Gedanken“. Ohne Schauspielerinnen und Schauspieler, diese Meinung vertritt der Regisseur und Autor mit großer Ernsthaftigkeit, sei seine ganze Arbeit faktisch nichts. „Sie stehen bei mir immer im Mittelpunkt. Nicht das Bühnenbild oder die Regie.“ Und nach einer kleinen Pause ergänzt er: „Klar, am Ende muss ich als Regisseur schon auch Ansagen machen. Aber ich gehe mal fest davon aus, dass jede Person, mit der ich bei einem Stück zusammenarbeite, auf ihrem Gebiet besser ist als ich.“

Aus dieser Einstellung erwächst die Fähigkeit des Zuhörens, des Zulassens. Und da hat er sich auch seine ganz eigene Methode entwickelt. Den Startschuss mit dieser einen, wichtigen Frage: „Was willst Du mal im Theater machen?“ Diese Frage stellt er den Schauspielerinnen und Schauspielern, erhofft, erwartet und bekommt seine Antwort und „meistens landet das dann auch in dem Stück. Auch in der aktuellen Inszenierung zum Beispiel“. Womit der Bogen geschlagen ist zu „Anouk & Adofa“, seinem ersten Auftragswerk am Leipziger Schauspiel, das vor einer Hand voll Tagen die Premiere feierte. Und das – ganz ausdrücklich – kein Stück zum Thema Migration ist – sondern die Höhen und Tiefen des Zwischenmenschlichen ausleuchtet.

Geschrieben ist das Stück übrigens von Marco Damghani selbst. „Nein, das Ganze war absolut keine Last – ich hatte ja auch komplett freie Hand. Und natürlich hatte ich beim Schreiben das Stück als Inszenierung schon mitgedacht, was wohl mit meiner Arbeitsweise zusammenhängt. Mir sind die Geschichten wichtig, die Figuren“, erklärt er und ergänzt: „Auf der Bühne baue ich keine Bilder, sondern Geschichten.“ Die Tatsache, dass er nun gerade in Leipzig seine Chance bekommen hat, dies ganz real umzusetzen, hat schon etwas ausgelöst in seinem Leben. So eine Art Ankommen möglicherweise.

Eigentlich könnte man bei einem Blick in die Biografie von Marco Damghani schon den Eindruck einer gewissen Rastlosigkeit bekommen. Wobei er mit einem Lächeln ein wenig widerspricht: „Ich hatte schon immer einen echten Sturkopf: Wenn ich etwas will, dann mache ich das auch. Und irgendwann hatte ich mir nun mal vorgenommen: Ich werde Regisseur.“ Was ihn beispielsweise nach „Down Under“ führte, nach Sydney an das National Institute Of Dramatic Arts. Eine sehr bewusste Entscheidung, weil er mal wieder den entsprechenden Kick bekam in Berlin, beim Austausch mit australischen Schauspielern: „Da habe ich echt Blut geleckt – weil mich dieser beinharte Realismus im australischen Theater so interessiert hat. Außerdem gab es als ähnliche Alternativen nur noch Hochschulen in Norwegen oder Schweden. Und ich wollte auf gar keinen Fall dorthin, wo es noch kälter ist als in Deutschland.“

Mitgebracht hat er jede Menge Know-how – auch in Dingen abseits der Theaterbühne. Kameraführung beispielsweise, was sich als echter Segen erweisen sollte. In jenem Moment, an dem „Die Leiden des jungen Azzlack“ inszeniert wurde, quasi als Improvisation mit dem (Schauspieler-)Freund Eidin Jalali und dann in Pandemiezeiten auch noch als digitales Stück. Zunächst. Doch Marco Damghani wusste um die Kniffe und (Inszenierungs-)Optionen, die ein Stream bieten kann – mal von der Reichweite ganz abgesehen. „Natürlich hätten wir nicht damit gerechnet, dass dies so eine Dynamik entwickelt. Klar, wir hatten den Vorteil der Reichweite durch den Stream – aber ich denke, dass dieser Moment der Live-Premiere auf der Bühne dem Stück noch einmal neues Leben eingehaucht hatte.“

Ein Stück als Türöffner

Es waren diese Erfolgserlebnisse, noch viel mehr die Möglichkeiten, die aus Leipzig tatsächlich ein neues Zuhause gemacht haben. „Die Stadt tut nicht so, als wäre sie etwas, was sie nicht ist“, sagt Marco Damghani mit einem Lächeln. Und er erzählt davon, welche Türen ein Stück wie „Die Leiden des jungen Azzlack“ geöffnet hat, „in der Community“ und meint damit – ja, Menschen wie er selbst. Mit Migrationshintergrund, wie man oft sagt. Und ja, das spielt schon eine Rolle in seinem Leben – die eingangs erwähnte Ablehnung von den (künstlerischen) Schubladen hin oder her: Marco Damghani engagiert sich beispielsweise im Verein Stabiler Rücken, der sich für die Belange von „BIPoc“ (ein Begriff aus dem anglo-amerikanischen Raum – black, indigenous and people of colour) sowie Jüdinnen und Juden im Theater- und Filmbereich einsetzt. „Viele waren schon überrascht, dass so etwas in einem deutschen Theater möglich ist“, erzählt der Autor und Regisseur. Wobei sich erneut das digitale Format im Stream als echter Vorteil erwies: Die berühmte „Türschwelle“ war einfach nicht so hoch …

„Das ist es zu 100 Prozent: Ich möchte Theater für Leute machen, die eigentlich nicht ins Theater gehen“, formuliert er seinen künstlerischen – nun ja – Auftrag. Doch, geht schon, dieses Wort, schließlich spricht Marco Damghani ohne Umschweife von der Verantwortung, die man habe gegenüber dem Publikum. Und auch von dem Feuer, das weitergegeben werden sollte, „weil ich diese Darstellungsform einfach so mag. Man macht Theater schließlich nicht der Preise wegen“. Und dann kommt er ins Erzählen, berichtet über Menschen, die aus dem Stück „Die Leiden des jungen Azzlack“ (ach ja, wer in dem Titel eine gewisse Goethe-Referenz zu entdecken glaubt, darf sie gern behalten – zumindest freut sich Marco Damghani geradezu diebisch über „Easter Eggs“, also (pop-)kulturelle Verweise und Zitate, die sich immer in seinen Stücken finden) für sich Kraft oder auch nur das Gefühl des Verstanden-Werdens geschöpft haben. Allein dafür habe es sich gelohnt. Und den vor ein paar Jahren noch lebendigen Drang zu höchster Perfektion hat er auch abgestreift zugunsten der Kollektiv-Erfahrung. „Eines habe ich gelernt: Wenn ich meine Schauspielerinnen und Schauspieler einbinde und mitnehme, haben sie viel größere Lust, sich in das Stück reinzuhängen. Dann wird es emphatisch, dann wird es authentisch.“ Nach einer Weile ergänzt er mit Blick auf „Anouk & Adofa“: „Ich habe aus dem Stück das gemacht, was ich machen wollte. Das macht mich glücklich. Und alles, was jetzt noch kommt, ist ein Bonus.“

Mehr Fussball wagen!

Bleibt nur noch das Thema Fußball. Oder besser gesagt zum einen das Thema Fußball in Leipzig, da denkt er mal über einen Besuch in Leutzsch bei Chemie nach, und zum anderen das Thema Fußball im Theater – da gebe es weniger Stücke als man denke. Was wiederum ein Ansporn sein könnte, ja, das räumt Marco Damghani gern ein: „Ehrlich? Da denke ich tatsächlich häufiger nach. Allerdings brauche ich Reibungsfläche, vor allem systemische Reibungsfläche. Und dazu bietet der Fußball diese quasi schon religiöse Komponente, dieses Warten auf die Erlösung durch ein Tor.“ Los wird er den Fußball im Allgemeinen und den HSV im Besonderen sowieso nicht mehr – was die bekannte These bestätigt, nach der man sich als Fan nicht einen Verein sucht, sondern der Verein sucht sich einen als Fan. „Ich gucke nach wie vor jedes Spiel vom HSV – auch wenn ich mir in der letzten Zeit schon manchmal wünsche, ich könnte das sein lassen.“ Spricht’s, lächelt und greift nach den Handschuhen mit der – na klar! – Raute vom Hamburger Sportverein. Jens Wagner

Das Stück „Anouk & Adofa“ von Marco Damghani wird am 30. Dezember sowie am 12., 20. und 29. Januar in der Diskothek/Schauspiel Leipzig gezeigt. www.schauspiel-leipzig.de

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