
Ein Sommerabend, dutzende Picknickdecken und tausende junge Leute. Auf der Bühne stehen an diesem Abend unter anderem die umjubelten Mitglieder der Band „Liebestrunken“. Sie sorgten kürzlich beim Parkkonzert an der Sachsenbrücke in Leipzig – gemeinsam mit dem Rapper HeXer und dem Musiker Yung Pepp – für ordentlich Stimmung.
Es war das bisher größte Konzert der jungen Drei-Mann-Band, die sich im Herbst 2023 gegründet hat. „Liebestrunken“ – das sind Sebastian Domröse (21), Damian Kauba (24) und Oliver Feeser (19). Beim Interview sitzen die drei nebeneinander auf einer Couch und sind sehr rücksichtsvoll. Jeder will dem anderen den Vortritt lassen beim Erzählen.
Was auffällt: Alle drei sind gut gelaunt. Es wird viel gelacht. Die drei können auch über sich selbst und manche ihrer Aktionen schmunzeln. So richtige Profis im Musikbusiness sind sie schließlich noch nicht. Dafür aber ist ihr Bandprojekt sehr schnell ziemlich erfolgreich geworden.

Liedermacher-Texte mit einem Beat
Wie kam es überhaupt zur Gründung der Drei-Mann-Kombo und zur Wahl des lyrisch klingenden Bandnamens „Liebestrunken“? Oliver Feeser sagt: „Das ist ein Wort, das jeder kennt und das gut zu dem Indie-Pop-Thema passt.“ Das ist die Musik, die die drei auf die Bühne und ins Internet bringen: deutsche Texte im Liedermacherstil, meistens mit einem treibenden Beat unterlegt.
Damian und Sebastian kennen sich seit fünf, sechs Jahren. Sie haben schon öfter zusammen Musik gemacht, gejammt – wie sie es nennen. Alle drei trafen sich bei Auftritten auf offenen Bühnen in Leipzig, wo jeder seine Musik präsentieren kann. „Die Szene ist hier ziemlich groß“, sagt Sebastian. „Man kann bestimmt vier-, fünfmal pro Woche zu irgendeinem Jam gehen, seine Instrumente mitbringen und dann dort Musik machen.“
Seit November 2023 sind sie als Trio unterwegs. Ihre ersten Videos bei TikTok wurden gut geklickt, hatten 20.000 Aufrufe. „Die bekamen überraschend ein bisschen Reichweite“, erzählt Sebastian von den Anfängen. Zuerst coverten die drei Songs – vor allem von der Band AnnenMayKantereit.
Im Frühling 2024 starteten sie den ersten Versuch mit eigenen Liedern. „Wir haben experimentiert, haben auch versucht, zusammen Songs zu schreiben – das hat mal mehr, mal weniger gut geklappt“, sagt Damian und lacht. Es fehlte der „kreative Workflow“.
Nachdem der erste Anlauf misslang, sollte jedes Bandmitglied für sich einen Song pro Woche schreiben. Dieses Einfach-drauflos-Schreiben sei eine gute Methode, glaubt Sebastian. „Es gibt Künstler, die sagen: Die ersten 50 Songs sind einfach schlecht“, erzählt er. Man müsse nur dranbleiben und könne das Songschreiben lernen – „so wie man auch Töpfern lernen kann“.
Am Ende kristallisierte sich heraus, dass Damians Texte das meiste Potenzial hatten, „weil sie einfach immer am besten waren und gut zu uns gepasst haben“, sagt Sebastian. „Es gibt Momente, wo ich meine eigenen Emotionen in den Texten verarbeite“, überlegt Damian. Das Schreiben sei dann eine Bewältigungsstrategie. Oft tippe er Notizen in sein Handy, setze sich dann ans Klavier. Dort entstehe der komplette Song. Auch aus Gesprächen mit Freunden kommen ihm Ideen für neue Lieder. Und Damian gibt zu: „Manche Songs sind nicht super tiefgründig.“ Dafür könne man sie gut mitsingen. „Ist auch okay“ ist so ein Titel, bei dem es um eine heimliche, enttäuschte Liebe geht. Aber auch „Von dir geträumt“ kann man gut mitschmettern. „Uns geht es in erster Linie darum, eine Atmosphäre zu schaffen und viel auszuprobieren“, ergänzt Sebastian. Noch seien die drei in einer Findungsphase. „Es ist viel Chaos“, sagt Sebastian und lacht.
Uns geht es in erster
Linie darum, eine
Atmosphäre zu
schaffen und viel
auszuprobieren.
Songs entstehen in Damians Kinderzimmer
Neue Songs nehmen sie in Damians Kinderzimmer auf, der sich dort ein Mini-Tonstudio eingerichtet hat. „Hauptsächlich sitzen wir bei mir am Computer“, sagt er. „Sebastian singt den Text ein, ich bastele an einem ersten Beat. Vieles entsteht elektronisch.“
Sebastian ist der Sänger der Band, der durch seine tiefe, sonore Stimme auffällt. Begleitet wird er von Damian am Schlagzeug und Oliver am Keyboard. Für Live-Auftritte engagieren sie noch einen Gast-Gitarristen. Für ihre Konzerte proben sie – gelegentlich. Das Thema ist etwas heikel. „Wir proben so wenig, das ist ungesund“, gibt Oliver zu. Eigentlich wollen sie sich alle zwei Wochen regelmäßig treffen – das kriegen sie aber nicht hin. „Es gab auch schon Songs, die haben wir erst beim Soundcheck ausprobiert“, sagt Damian und lächelt etwas verlegen.
Ihr erstes Konzert mit eigenem Repertoire gaben Liebestrunken im Frühling 2024 in der Leipziger Südbrause. Einige Fans in der ersten und zweiten Reihe grölten alle Texte mit. „Das ist das Schöne an Popmusik, dass man keinen schwierigen Chorus hat“, findet Sebastian. Obwohl es sie noch nicht lange gibt, hat die Band bereits eine treue Fangemeinde. „Es gibt drei Fanpages, auf denen jeden Tag Videos über uns gepostet werden“, sagt Oliver. Einer ihrer Anhänger hat sich sogar einen ihrer Songtexte auf die Haut tätowiert.
Auch bei der Internetgemeinde kommt ihre Musik auffallend gut an. „Es ist auch okay“ hatte zuletzt eine Million Aufrufe bei Spotify. „Wir haben sehr viel Glück, dass unser erster Release so gut funktioniert“, sagt Sebastian. Allein über das Streaming verdienen die drei derzeit monatlich 1500 Euro. Noch lukrativer sind Konzerte – auch wenn der Aufwand höher ist. „Wir fahren mit dem Auto meiner Mutter zur Location, haben den Kofferraum voller Instrumente, spielen den Gig und düsen um ein Uhr nachts wieder zurück“, fasst Sebastian so einen Auftritt zusammen.
Die Band spielte bisher Konzerte in Leipzig, Dresden, Hamburg, Frankfurt, Wien und Konstanz. Ab November wollen sie auf Deutschlandtour gehen. „Die Fanbindung auf TikTok und Instagram ist dafür sehr wichtig“, sagt Sebastian. Auf Instagram haben die drei 8800 Follower, auf TikTok 15.000. „Wir können darüber total viele Leute erreichen“, macht Oliver klar – vor allem viele junge Menschen, die die Musik der Band hören. „Die meisten, die uns kennen, sind unter 20“, schätzt Sebastian.
Für ihre Videos für die sozialen Medien treffen sich die drei oft im Clara-Zetkin-Park, aber auch mal auf dem Markt oder auf der Karli-Baustelle. Sie wollen sich explizit als Leipziger Band präsentieren – und einen Wiedererkennungswert für die Fans bieten.

Foto: Dirk Knofe
Bandprojekt wird fast zum Beruf
Das Bandprojekt nimmt bei ihnen immer mehr Raum ein – obwohl alle noch andere Dinge zu tun haben. Sebastian studiert International Management an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) in Leipzig. Er hat kürzlich auf sein geplantes Auslandssemester in Paris verzichtet und stattdessen ein Praktikum bei der Band absolviert. Er kümmert sich um all die organisatorischen Belange, die anfallen. Damian studiert Medientechnik an der HTWK und Oliver Jazzklavier an der Hochschule für Musik in Weimar. Er ist der einzige Profi im Team, übt drei bis vier Stunden täglich am Klavier.
Sebastian kommt aus einer sehr musikalischen Familie. Sein Opa war Gesangs- und Gitarrenlehrer und brachte ihm das Klavierspielen bei. Der 21-Jährige sang lange im Chor und nimmt jetzt wieder Gesangsunterricht. „Ich singe den ganzen Tag“, sagt er, „wenn ich Fahrrad fahre, in der Bahn oder wenn ich draußen herumlaufe.“ Damians Vater ist Musikwissenschaftler und spielt hauptberuflich Klavier, sein Bruder ist Schlagzeuger in einer Punkband. Die Liebe zu den Trommelstöcken hat ihn schon als Kind ergriffen. Zeitweise spielte der 24-Jährige zeitgleich in sechs verschiedenen Gruppen. „Musik spielt neben dem Studium bei mir die Hauptrolle“, sagt er.
Sebastian bringt auf den Punkt, was die anderen beiden unterschreiben würden: „Das ist kein reines Spaßprojekt mehr.“ Anfang September will das Trio sechs neue Songs veröffentlichen. Seit einer Weile haben die drei eine Managerin, und sie wollen künftig mit einer Booking-Agentur zusammenarbeiten. „Vor eineinhalb Jahren haben wir nur Quatsch gemacht, und jetzt ist es schon fast wie ein Beruf“, beschreibt Oliver die Entwicklung der Band.
Im Herbst steht für die drei ein straffes Programm an: Für zwölf Konzerte sind sie als Vorband gebucht, dazu kommen 15 eigene Auftritte in ganz Deutschland. „Es wird noch ganz viel passieren“, ist sich Sebastian sicher. Alle drei freut es sehr, dass sie im nächsten Jahr beim „Oben-ohne-Open-Air“ in München dabei sein können. Ihr größter Traum aber wäre ein Auftritt bei einem anderen Event – beim Highfield-Festival am Störmthaler See. Gina Apitz