Sie hat in London den Frieden mit dem sächsischen Dialekt gemacht: Die Leipziger Autorin Kati Naumann. Foto: André Kempner
Sie hat in London den Frieden mit dem sächsischen Dialekt gemacht: Die Leipziger Autorin Kati Naumann. Foto: André Kempner

Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg kennen so gut wie alle. Seit Jahrzehnten begeistern die Hörspiele Kinder. Noch nicht ganz so lange, aber immerhin auch schon seit 15 Jahren kriecht die kleine Schnecke Monika Häuschen durch den Hörspiel-Garten. Ihre Geschichten sind ein Spaß mit Lern-Effekt für kleine, aber auch große Zuhörer und Zuhörerinnen. Was viele nicht wissen: Die Schnirkelschnecke und ihre Freunde, der Regenwurm Schorsch und Gänserich Herr Günter, sind eine Erfindung der Leipzigerin Kati Naumann.

Vor 60 Jahren in Leipzig geboren, verbrachte Kati Naumann bis zum Schulbeginn viel Zeit bei ihren Großeltern im thüringischen Sonneberg. „Die beiden hatten ein wahnsinniges Naturwissen. Mein Großvater hob jedes Insekt auf und konnte genau erklären, welcher Schmetterling aus welcher Raupe erwächst oder welche Funktion selbst ein kleiner Ameisenhaufen im großen Ökosystem hat. Das hat mich sehr geprägt“, sagt sie heute.

Visitenkarten für ein kreatives Kind

Eingeprägt haben sich auch erste Erfahrungen im Schreiben. Das konnte Kati Naumann bereits mit fünf Jahren. Und sie tat es gerne. In der zweiten Klasse etwa erfand sie für eine Geschichte ein Land mit einer eigenen Sprache. „Mein Vater hat mir Visitenkarten gemacht – Diplomdichterin Kati Naumann“, erinnert sie sich und lacht.

Die Sehnsucht nach dem Licht ist einer der Romane von Kati Naumann.
Die Sehnsucht nach dem Licht ist einer der Romane von Kati Naumann.

Doch obwohl das Schreiben die gebürtige Leipzigerin von klein auf begleitete, führte sie ihr beruflicher Weg erst einmal an die Museen der Stadt, wo sie als Museologin im Deutschen Buch- und Schriftmuseum und im Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig arbeitete. 1998 schrieb sie dann zusammen mit ihrem Mann, dem Prinzen-Sänger Tobias Künzel, das Musical „Elixier“, das in der Musikalischen Komödie aufgeführt wurde. „Es war das erste Stück, das ich geschrieben habe“, erinnert sie sich.

Ein Mammut-Projekt. Ballett, Orchester, Schauspieler – das Auftragswerk verlangte nach Aufgaben für jeden Einzelnen. „Es waren wahnsinnig viele Rollen. Über 100 Leute haben da mitgemacht“, blickt Kati Naumann zurück. Jeden Tag musste sie spontan und vor Ort Szenen neu oder umschreiben. Dazu ihr Job im Museum und zwei kleine Kinder – das war irgendwann nicht mehr zu schaffen. Eine Entscheidung musste her.

Eine Kündigung mit Folgen

„Während der Proben am Musical habe ich gekündigt und nachdem diese Arbeit beendet war, meinen ersten Roman geschrieben“, erzählt Kati Naumann. Eine Familiengeschichte. Bis sie dafür einen Verlag fand, vergingen Jahre. Denn die Autorin entschied sich bewusst für ihren Mädchennamen als Pseudonym und gegen das Nutzen der Kontakte ihres berühmten Mannes. Inzwischen hat Kati Naumann acht Bücher veröffentlicht, mit der Verlagsgruppe HarperCollins einen Hausverlag gefunden – und ihren Schwerpunkt verlagert.

Heute schreibt sie historische Romane. Eingebettet in eine Erzählung lässt sie ihr Publikum Hunger, Vertreibung und Versöhnung miterleben, behandelt Fragen nach Schuld und Verlust, aber auch nach Hoffnung und Neubeginn. Die Orte ihrer Erzählungen sind allesamt im Osten Deutschlands zu finden. Ihre Geschichten erzählen von den Zeiten des Bergbaus und eines geteilten Deutschlands. Die Recherche: akribisch. Und doch sind es keine Fachbücher.

Dennoch: Die Fakten müssen stimmen. Denn ihre Leserschaft schaut genau hin. Es sind ihre Geschichten, die Kati Naumann erzählt. Ihre Gefühle, ihre Schicksale halten Einzug in das Werk. „Ich komme den Zeitzeugen sehr nahe und sie werden mir sehr wichtig. Kurz vor der Veröffentlichung frage ich mich, ob sie sich in meinem Roman wiederfinden, ich ihnen eine Stimme geben konnte. Das lässt mich nicht schlafen“, erzählt sie.

Heimat aus einer neuen Perspektive

Ihren Durchbruch schaffte Kati Naumann 2019 mit dem Spiegel-Besteller „Was uns erinnern lässt“, in dem sie das bewegende Schicksal zweier Frauen vor dem Hintergrund deutsch-deutscher Geschichte schildert. Ihre Heimatregion hinter sich zu lassen – für Kati Naumann keine Frage. Nicht allein, weil ihre Geschichten hier spielen, sie die Orte des Geschehens aufsucht, eine Zeit lang in ihnen lebt, Zeitzeugen trifft.

„Ich habe so lange gekämpft, von diesem Beruf leben zu können, also Ruhestand wäre echt dämlich jetzt.“

Weil sie sehen, hören, riechen und spüren möchte, was die Menschen ihr schildern. Auch, weil sie die Mentalität der Leipziger schätzt. „Wir sind immer Messestadt gewesen, mussten offene Arme haben, uns auf fremde Kulturen und andere Menschen einlassen. Das mag ich sehr gerne. Und natürlich auch den Dialekt, der uns verbindet.“ Dabei war das nicht immer so.

Naumann wollte nicht der Ossi sein

„Als die Wende kam, stand mir die DDR bis hier, ich wollte davon nichts mehr hören, wollte nicht immer der Ossi sein. Ich hatte das Gefühl, dass man in eine Schublade einsortiert wurde, in der ich nicht sein wollte“, erinnert sie sich. Ihr Blick änderte sich, als sie vor etwa 15 Jahren mit ihrer Tochter nach London ging. Die interessierte sich für Fotografie und hatte einen Studienplatz am City of Westminster College bekommen. „Zu DDR-Zeiten hatte ich keine Möglichkeit, ins Ausland zu gehen. Und als die Wende kam, hatte ich kleine Kinder. Ich hatte das Gefühl, das ist meine letzte Chance. Also habe ich zu meiner Tochter gesagt: Kannst du machen, aber ich komme mit.“

In London angekommen, klappte erst einmal nichts. „Wir standen mit den Koffern auf der Straße.“ Eine neue Wohnung suchen, Strom und Gas anmelden – Kati Naumann sprang ins kalte Wasser, kämpfte sich durch die Hotlines, besuchte eine Sprachschule. Mit Erfolg. „Als Ostdeutsche, wo man viele Dinge nie kennengelernt hat, war das eine gute Schule“, sagt sie und erinnert sich, wie sich ihr Blick auf ihre Heimat änderte. „Wir hatten mal britische Freunde zu Gast und die hörten, wie meine Tochter und ich uns auf Deutsch unterhielten. ‚Ich fand Deutsch immer eine schreckliche Sprache‘ sagte der Freund, ‚aber wenn ihr beide euch unterhaltet, klingt das wunderschön, so weich und so melodisch‘. Und da dachte ich: Eigentlich stimmt das. Es hat mich versöhnt mit meinem sächsischen Dialekt; seitdem mag ich ihn wieder.“

Weltberühmte Schauspieler und selbst gebackenes Brot

London wurde für Kati Naumann ein zweites Zuhause – doch Heimat wurde es nie. Nach einem Jahr ging sie zurück nach Leipzig. Die Familie behielt zwar lange Zeit eine Wohnung in der britischen Hauptstadt, pendelte regelmäßig, doch ihr Herz schlug immer und schlägt weiterhin für Sachsen. Für alle von ihnen. Die inzwischen erwachsenen Töchter – eine Fotografin und eine Toningenieurin – verschlug es zwischenzeitlich nach Dresden und Frankfurt. Doch auch sie leben mittlerweile wieder im beschaulichen Leipziger Umland.

Kati Naumann genießt diese Gegensätze. Immer schon. Weltberühmte Schauspieler und Bands hautnah auf Londons Bühnen erleben, Shops, die rund um die Uhr geöffnet haben, der Trubel der Großstadt sind für die 60-Jährige ebenso inspirierend wie ihr gemütliches Heim auf dem Dorf bei Taucha. Wo sie vom Schreibtisch aus auf eine Trauerweide schaut, Spaziergänge unternimmt und ihr Brot selbst backt – umgeben von ihrer Familie und den Themen, die Einzug halten in ihre Bücher und Hörspiele.

Unvorhergesehener Erfolg und lange Nächte

Im vergangenen Jahr feierte „Die kleine Schnecke Monika Häuschen“ 15-jähriges Jubiläum. „Ich wollte damals eine Naturserie machen, die sich mit Tieren vor unserer Haustür befasst, bei denen man erst mal denkt: Ih, eklig! Dass wir damit so erfolgreich werden, war nicht abzusehen.“ Doch die Schnecke und ihre Freunde – viele von ihnen werden von bekannten Persönlichkeiten wie Tobias Künzel, Steffen Lukas, Ulla Meinecke oder Olaf Schubert gesprochen – kommen an. Und das im gesamten deutschsprachigen Raum. Inzwischen auch als gedrucktes Buch.

Gerade aber sitzt Kati Naumann an einem Roman, der sich der Schifffahrt im ostdeutschen Raum widmet. Die Zeit rennt. Anfang April ist Abgabeschluss für das neue Manuskript. Die Veröffentlichung ist für Anfang 2025 angesetzt. „Aktuell bin ich in der heißen Phase“, sagt die Autorin, „da arbeite ich die Nächte durch.“ Wie es nach diesem Buch weitergeht, ob der Ruhestand seine Schatten vorauswirft? „Ich habe so lange gekämpft, von diesem Beruf leben zu können, also Ruhestand wäre echt dämlich jetzt.“ Patricia Liebling

www.katinaumann.de

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