Altenburg. Von Wegzug, Glückssuche andernorts und Bevölkerungsrückgang ist des Öfteren zu lesen und zu hören, er aber ging den entgegengesetzten Weg: Steven Ritter fand im Altenburger Land eine neue Heimat, genauer gesagt in der altehrwürdigen Skat- und Residenzstadt Altenburg. Seit mehr als einem Jahr lebt er hier – und ist längst heimisch geworden an diesem Ort. Vor allem auch wegen jener neuen beruflichen Herausforderung, die ihn hierher führte. Im renommierten, weithin geschätzten und traditionsreichen Lindenau-Museum betreut er seit Januar 2020 die Bereiche Presse und Marketing.
1990 geboren in Erfurt und aufgewachsen im Ländlichen am Rande der Landeshauptstadt studierte Steven Ritter ab 2010 an der Jenaer Friedrich-Schiller-Universität Kunstgeschichte und Filmwissenschaften sowie im Nebenfach Geschichte. Im Jahr 2017 erwarb er seinen Masterabschluss.
Das Lehmbruck-Museum in Duisburg, Zentrum für Internationale Skulptur war seine erste berufliche Station, hier absolvierte er ein wissenschaftliches Volontariat im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Von dort führte ihn sein weiterer Weg ab September 2019 nach Bremerhaven ins dortige Deutsche Auswandererhaus, wo er für die kommenden vier Monate bis Dezember des genannten Jahres als Mitarbeiter im Presse- und Marketingbereich agierte.
„Doch Bremerhaven war weit weg von der Familie, immer wieder waren lange Distanzen zu überwinden, wollte man sich sehen. Da habe ich die Stellenausschreibung für das Lindenau Museum Altenburg gesehen und dachte mir: das passt.“ Das Bewerbungsverfahren durchlief Steven Ritter erfolgreich, und so konnte er sich ab Jahresbeginn 2020 seiner neuen Aufgabe stellen. Ein Glücksfall. „Hier in der Region habe ich viele Freunde und auch die Entfernung zu meiner Familie ist nun wieder deutlich kürzer geworden“, wie unser Gesprächspartner anmerkt.
Dass es den studierten Kunsthistoriker in diesem Fall wie in seinen vorherigen Tätigkeiten immer wieder in die Pressearbeit zog, dies hat sich anfangs eher zufällig so ergeben, erwies sich letztlich aber den persönlichen Neigungen und Fähigkeiten entsprechend. „Nach dem Studium der Kunstgeschichte könnte man sich in die kuratorische Richtung entwickeln oder wissenschaftlich arbeiten oder aber in den Pressebereich gehen. Ich hatte während des Studiums verschiedene Praktika absolviert, bei einem Verlag unter anderem und bei einem kleinen regionalen Fernsehsender, testete aus, ob die Medienwelt oder ein Museum besser zu mir passen könnten. Wobei die Waage zu letzterem tendierte. Und ich bemerkte zudem, dass die Affinität zu jener Pressearbeit überwog.“ So also dürfte die vom Lindenau-Museum offerierte Stelle, in der sich Museumsarbeit im weitesten Sinne und eine breit gefächerte Öffentlichkeitsarbeit eng verknüpft verbinden, just jenen Vorstellungen und Ambitionen des 30-Jährigen als ideale Form einer neuen Herausforderung darstellen, an der er nunmehr wachsen kann. Denn ausreichend Betätigungsfeld dürfte sich in den kommenden Jahren ausgiebig bieten, befindet sich das Lindenau-Museum derzeit doch in der wohl größten Umbruchphase seiner mehr als 150-jährigen Geschichte.
Während das Haus in der Gabelentzstraße derzeit geschlossen ist für eine mehrjährige umfassende Sanierung, Modernisierung und eine grundlegende inhaltlich-konzeptionelle Neugestaltung, läuft der Museumsbetrieb im Interimsquartier in der Kunstgasse 1 im Herzen der Skatstadt weiter. (Wenn auch derzeit coronabedingt hinter verschlossenen Türen.) So werden aktuell gleich drei Ausstellungen vorbereitet.
Im Rahmen des Gemeinschaftsprojektes „Grünes im Quadrat“, gemeinsam realisiert mit dem Residenzschloss Altenburg, dem Naturkundemuseum Mauritianum und dem Museum Burg Posterstein, stellt das Lindenau-Museum ab Ende Mai bis Oktober mit „Gärten vor der Linse – Die Gartenstadt Altenburg“ Gärten des Adels und des Bürgertums vor. Dafür hat das Lindenau-Museum Fotografen eingeladen, die ihre heutige Sicht auf die Altenburger Gärten festgehalten haben. Die Arbeiten von Claus Bach, Margret Hoppe, Bertram Kober, Jörg Neumerkel, Carsten Schenker und Jens Paul Taubert werden historischen Ansichten gegenübergestellt. Ausstellungsort hierfür ist das Residenzschloss Altenburg.
Offerte Numero zwei: Anlässlich der Verleihung des Altenbourg-Preises 2020 an die Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt präsentiert das Lindenau-Museum im Prinzenpalais des Residenzschlosses Werke der Berliner Künstlerin – darunter auch ihre berühmten Typewritings.
Und drittens dürfen sich Besucher auf eine Ausstellung im Rahmen des im vergangenen Jahr neu ins Leben gerufenen Bernhard-August-von-Lindenau-Förderpreises im Prinzenpalais des Schlosses freuen. Hier präsentieren sich die besten jungen Kunstschaffenden der Metropolregion Mitteldeutschland. Diese Exposition sollte bereits im November 2020 eröffnet werden, der Termin musste aber aus pandemiebedingten Gründen inzwischen mehrfach verschoben werden.
Vor allem aber, und dieser Teil der Tätigkeit beschäftigt Steven Ritter in diesen Monaten in großem Umfang, ist das Team des Lindenau-Museums gemeinsam mit den verantwortlichen Bauplanern vom Landratsamt, Denkmalschützern, Architekten, Ausstellungsgestaltern und anderen Experten wie Klimatechnikern oder Elektronikern derzeit intensiv mit der Planung des „neuen“ Lindenau-Museums befasst. Nach dem Abschluss von diversen technischen Untersuchungen im seit Januar 2020 leer geräumten Museumskörper hat nunmehr die Zeit der konkreten Überlegungen begonnen, wie sich welche Bereiche des Hauses künftig den Besuchern präsentieren sollen.
Einhergehen mit diesem „neuen Zeitalter“ eines altehrwürdigen Museums werden auch ein gleichermaßen neues Corporate Design, mit dem sich der kulturelle Leuchtturm an der Blauen Flut präsentieren wird und eine neue Website, wie Steven Ritter erzählt. „All das muss frühzeitig angegangen und entwickelt werden – und Barrierefreiheit steht künftig nicht nur im Haus selbst ganz oben auf unserer Agenda“, so der Pressereferent.
Ein ganzes Haus und das komplexe Drumherum eines Museumsbetriebs samt Marketing vollkommen neu in den Blick zu nehmen, das beschert dem jüngsten Mitarbeiter des Lindenau-Museums nahezu tagtäglich prickelnde Erlebnisse und Erkenntnisgewinn zuhauf. So bietet sich Steven Ritter immer wieder neu die willkommene Gelegenheit, während all dieser Überlegungen und Austauschrunden die Sammlungen des Hauses genauer kennenzulernen und zugleich vielerlei Chancen, sich selbst und auch bislang gesammelte Erfahrungen aus anderen Häusern mit einzubringen. Und das in einer Atmosphäre, die zu Kreativität, Ideenreichtum und stetig neuen Inspirationen förmlich einlädt: „Ich bin von den Kollegen sehr gut aufgenommen worden. Und für mich erweist es sich als großes Potenzial, das es hier im Lindenau-Museum eine ganz gute Mischung im Team gibt. Zum einen sind da jene Kollegen, die seit Jahrzehnten hier tätig sind und einen ungeheuren Erfahrungsschatz mitbringen. Zum anderen sind es junge Leute, die ihre Vorstellungen einer anderen Generation einbringen. Und als großen Vorzug sehe ich es ebenso an, dass es hier Menschen gibt, die in unterschiedlichsten Bereichen gearbeitet haben, also aus vielen verschiedenen Fachrichtungen kommen. Das ist oftmals sehr spannend. Hier bei uns im Lindenau-Museum diskutiert man offen und in fairer Weise miteinander, es herrscht eine sehr angenehme Gesprächskultur.“
Während nach außen hin während der zurückliegenden Monate seit der Schließung des Stammhauses des Lindenau-Museums und seit Beginn der Corona-Pandemie im März des vergangenen Jahres, die den öffentlichen Museumsbetrieb und auch die Arbeit des Studios Bildende Kunst über Monate hinweg zum Erliegen brachte (von ganz wenigen Wochen des Nicht-Lockdowns abgesehen), also der Eindruck entstehen könnte, Stillstand beherrsche den Alltag, sieht es hinter den Kulissen ganz anders aus. „Hier ist sehr viel in Bewegung“, fasst unser Gesprächspartner zusammen und kann zu all dem vorstehend Gesagten noch manches hinzufügen. So hat der Referent für Presse und Marketing inzwischen bereits mehrere Veranstaltungskalender (mit) erarbeitet, zuletzt den ersten gemeinsamen der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft der Altenburger Museen (KAG), in der das Schloss- und Spielkartenmuseum und das Lindenau-Museum seit dem vergangenen Jahr neue Wege der intensivierten Zusammenarbeit beider Einrichtungen gehen.
Darüber hinaus oblag Steven Ritter die Verantwortung für die Organisation und technische wie inhaltliche Gestaltung mehrerer Online-Videokonferenzen, die in Pandemiezeiten die herkömmlichen Pressegespräche vor Ort ersetzt haben. Dieser Form der Öffentlichkeitsarbeit und des Austauschs mit Medienvertretern gibt der junge Mann auch nach dem Ende der jetzigen Ausnahmesituation eine Zukunftschance: „Wir waren meines Erachtens die zweite Kultureinrichtung in Thüringen überhaupt, die einen solchen Schritt gegangen ist. Und ich bin mir sicher, so fallen unsere bisherigen Erfahrungen aus, dass wir mit solchen Formen mehr, vor allem weiter reichende Aufmerksamkeit und Resonanz erfahren. Denn damit haben auch Medienkollegen aus entfernteren Regionen die Gelegenheit, von unseren Plänen, Ausstellungen und Veranstaltungsaktivitäten Kenntnis zu nehmen, diese Informationen aufzuarbeiten und weiterzureichen und so potenzielles Besucherpublikum für uns zu interessieren.“
Innerlich, emotional „angekommen“ zu sein in Altenburg, das heißt im Falle von Steven Ritter neben der ihn erfüllenden und fordernden Arbeit im und für das Lindenau-Museum (und die KAG) auch ein Wohlfühlen in einer Region, die ihm – obgleich er aus Thüringen stammt – zuvor recht unbekannt war. „Ich habe Altenburg und die Umgebung der Stadt inzwischen ganz gut erkundet, oftmals mit dem Fahrrad oder per pedes. Und habe dabei viele reizvolle Ecken entdeckt in dieser Stadt mit ihren alten Beständen an Bausubstanz. Den historischen Friedhof finde ich ebenso reizvoll wie das Schloss, das ein sehr reizvolles Ensemble darstellt. Es macht Spaß, sich all dies anzuschauen und zu erobern. Wie auch die gemütlichen Ecken rund um den Großen Teich oder im Stadtwald. Hier kann man sich wirklich wohlfühlen“, so sein Resümee nach 16 Monaten als Neubürger der Skat- und Residenzstadt.
Auch (neue) Freunde und Kontakte sind mittlerweile gefunden, unter anderem in der Goethe Gesellschaft Altenburg, deren Mitglied Steven Ritter wurde. „Und ich liebe es auch, mir in Museen in Leipzig oder Chemnitz (oder andernorts) etwas anzuschauen, aus persönlichem Interesse, aber gleichermaßen für unsere Arbeit. Das gehört ja zum Geschäft, zu schauen, welche Aktivitäten andere Einrichtungen entwickeln und wie sie an ihre Besucher herantreten. Auch schaue ich mir sehr gern andere Orte an, kurzum: ich bemühe mich, nicht allzu ignorant durch die Welt zu gehen.“
Hinzu gesellt sich neben besagter Vorliebe fürs Fahrradfahren „ein bisschen Sport wie Laufen oder Schwimmen, aber das geht ja gerade nicht“. Doch der nahende Sommer wird auch das bald wieder möglich machen – wie hoffentlich vieles andere. Ralf Miehle