Ein Abschied mit einem letzten Kaffee und einem Lächeln: Thorsten Wolf blickt auf die Zeit nach der „Funzel“ Foto: André Kempner
Ein Abschied mit einem letzten Kaffee und einem Lächeln: Thorsten Wolf blickt auf die Zeit nach der „Funzel“ Foto: André Kempner

Manchmal muss man einfach loslassen können. Oder wie es Thorsten Wolf – seines Zeichens Leipziger Kabarett-Urgestein – formuliert: „Nach 32 Jahren muss man auch mal etwas Neues wagen.“ Das hat er gemacht, seine „Funzel“ abgeschlossen, das Inventar erfolgreich an die Frau und an den Mann gebracht. Jetzt warten neue Erfahrungen, auch neue Aufgaben und Herausforderungen: Reinschauen möchte er in die (neue) Leipziger Kultur, es warten wieder die Rollen als Zoo-Tierpfleger und Stadtführer. Und am liebsten möchte er streiten für eine möglichst lebendige, möglichst breite kulturelle Szene …

„Ich will etwas bewegen für die Leipziger Kultur“

„Das ist ein Ansatz für mich“, überlegt der gebürtige Leipziger: „Ich will etwas bewegen für die Leipziger Kultur. Und da gerade auch für all jene Dinge, die eher an den Rändern stattfinden.“ Da hat er die Initiativen an der Basis im Auge, die kleinen Theater in den Stadtteilen, die Comedy-Shows in Clubs und Kellern – all die Sachen, die nachwachsen im Schatten der etablierten Häuser, von denen es in Leipzig auch eine ganze Menge gibt.

Es ist die Neugier, die ihn antreibt und auch das Interesse daran, den eigenen Horizont mal zu erweitern. Bedingungslos, wie er unterstreicht: „Ich habe Lust auf diese neuen Formate. Und wenn ich darüber nicht lachen kann, alle anderen, jungen Leute ihre Freude daran haben, ist es auch gut.“ Mit einem Lächeln bringt Thorsten Wolf seine Idee auf den Punkt: „Lieber einmal etwas mit eigenen Augen sehen als 1000 mal etwas darüber hören.“

Drang zum Experiment

Die Lust auf Neues, der Drang zum Experiment und ja, auch zum Risiko hat ihn Zeit seines (Künstler-)Lebens begleitet. Nur zu Erinnerung, eigentlich ist Thorsten Wolf ja gelernter Klempner, „in der Ostvorstadt habe ich in den Wohnungen die Durchbrüche gemacht. Aber eigentlich wollte ich tatsächlich immer Künstler sein – auch wenn alle anderen Leute über diese Idee gelacht haben“.

Diese Haltung „Das kann doch nicht alles sein im Leben“ führte dazu, dass er zunächst Teil der damaligen „Baufunzel“ wurde in den 80-er Jahren und mit dem Jahr 1990 zum jüngsten Theaterdirektor Deutschlands. Schlanke 26 Jahre war er damals alt, „das war schon eine Hausnummer. Selbst Kurt Biedenkopf war bei der Eröffnung am Start“.

 Thorsten Wolf in seiner Funzel-Paraderolle als Klomann Willi. Er hat seine Klobürste versteigert und übergibt sie an Sebastian Lehmann. Foto: André Kempner
Thorsten Wolf in seiner Funzel-Paraderolle als Klomann Willi. Er hat seine Klobürste versteigert und übergibt sie an Sebastian Lehmann. Foto: André Kempner

Womit man eigentlich schon wieder beim „Etwas-Bewegen“ ist – denn natürlich kennt sich der Kabarettist, Theaterchef und Schauspieler nach mehr als drei Jahrzehnten „Leipziger Funzel“ ganz schön gut aus. Dank „learning by doing“ gewissermaßen. „Ich habe damals die gleichen Fehler gemacht, die viele jungen Künstlerinnen und Künstler heute auch machen“, sagt er mit einem Lächeln.

Wie ziehe ich ein Theater auf?

Und deutet umgehend an, da gern auch helfen zu wollen mit dem nötigen Know-how zu dem Thema „Wie ziehe ich ein Theater auf?“ Wieder lächelt Thorsten Wolf charmant: „Vielleicht hat da draußen jemand Interesse daran, was jemand sagt, der 32 Jahre Erfahrung mit diesem Thema hat.“ Der darf – so die klare Ansage – immer gern fragen.

Und der 59-Jährige wird da gern mal grundsätzlich. Wie sieht’s eigentlich aus mit der Beratung für Kulturschaffende in der Stadt Leipzig? Gibt es da jemanden, der sich mal Visionen, Ideen und Projekte anschaut, um sie mal auf Machbarkeit abzuklopfen? Und der auch mal eine neue Perspektive aufmacht? Irgendwie ist es eine Rolle, in die er wohl zu gern schlüpfen würde. „Wie baue ich eine Firma im kulturellen Bereich auf?

Niemand weiß im Vorfeld, wie man dies angehen soll“, überlegt er und ergänzt: „Dabei kann das Know-how, aber auch eine Vernetzung so überlebenswichtig sein. Das beste Beispiel ist da für mich das Clown-Museum: Das war ja vor ein paar Jahren faktisch platt, inzwischen steht es dank unserer gemeinsamen Initiative mit Kultur und Wirtschaft besser da denn je. Wir haben gezeigt, dass es funktioniert.“

Das Stöbern im Archiv

Wobei man sagen könnte – gezeigt hatte es Thorsten Wolf ja schon mit seiner „Funzel“. Beim Stöbern in den Archiven und im Fundus wurde dem einstigen Theaterchef eines nachhaltig klar: „Wenn man sich mal die ganzen Bilder anschaut, merkt man erst mal, wie lange man dies wirklich gemacht hat.“

Und es waren aufregende Zeiten, mit Höhen und Tiefen. Mit schweren Rückschlägen wie dem Tod von Bruder Tobias Wolf, mit dem er einst das Kabarett-Theater nach der Friedlichen Revolution in der Heimatstadt aufgebaut hatte. Aber auch mit begeisternden Abenden auch mit Gast-Prominenz. Schaut man sich die erwähnten Bilder mal an, weiß man genau – es war wirklich jeder da, jeder, der sich in Sachen Humor in diesem Land tummelt.

Thorsten Wolf in seiner Rolle als Tierpfleger Conny in der ARD-Serie Tierärztin Dr. Mertens. Foto: Steffen Junghans
Thorsten Wolf in seiner Rolle als Tierpfleger Conny in der ARD-Serie Tierärztin Dr. Mertens. Foto: Steffen Junghans

Und trotzdem kam im vergangenen Jahr – für viele überraschend – der Entschluss, die „Funzel“ zu schließen. Und das war absolut kein Schnellschuss, sondern das Ergebnis langer Überlegungen. Gewissermaßen ein Abgang mit Applaus und keiner nach einem schier endlosen Niedergang: „Ich wollte nie mit fliegenden Fahnen und einem überalterten Ensemble nebst Publikum zugrunde gehen.

Die 32 Jahre waren eine geile Zeit, aber eigentlich gibt es diese Idee des Ensemble-Kabaretts nicht mehr. Und außerdem haben sich die Ansprüche vom Publikum geändert – es geht vielmehr hin zu Gastro-Events, zu Dinnerbuffets und Brunchshows. Das muss man akzeptieren, aber es ist nicht mehr meine Sache.“

Das gute Gefühl ist geblieben

Das gute Gefühl ist geblieben, auch wenn das Kapitel „Funzel“ vor Wochen endgültig abgeschlossen wurde – der Mietvertrag für den Keller in der Strohsackpassage ist inzwischen abgelaufen. Weil die Dinge geordnet sind: Die über drei Jahrzehnte angesammelten Devotionalien haben via Flohmarkt neue Besitzerinnen und Besitzer gefunden.

Die „First Whisk(e)y Bar“ konserviert im Erdgeschoss ein Stückchen „Funzel“ ebenfalls weiter für die Zukunft. Und die eigene Kabarett-Familie – Thorsten Wolf wählt diesen Begriff ganz bewußt für sein (Ex-)Ensemble nebst „Funzel“-Team – hat durchweg eine neue berufliche und künstlerische Heimat gefunden in Leipzig. „Ja, bei uns ging es immer um eine Familie als Begriff für ein echtes Miteinander“, überlegt er: „Deshalb war mir auch wichtig, dass alle in den Einzelgesprächen gesagt haben: Ja, du hast es richtig gemacht.“

Mit der nunmehr vorhandenen Zeit weiß er ohnehin immer etwas anzufangen. Wie schon gesagt – die Leipziger Kultur ruft. „Angeschaut habe ich mir schon jede Menge: Ich war in der Musikalischen Komödie und bei den academixern, auch die freien Kabaretts waren schon dran. Als nächstes kommt die freie Szene“, mit einem klar formulierten Ziel – bis Ende des Jahres möchte Thorsten Wolf einen Überblicj darüber haben, was in Leipzig so alles geht. Vor-Ort-Recherche in absoluter Reinform gewissermaßen.

Vor-Ort-Recherchen in absoluter Reinform

Eines ist ihm aber schon jetzt klargeworden – und vermutlich war es ihm schon immer klar: „Es ist ein Fluch und ein Segen zugleich, wenn man in einer Stadt mit so einer vielfältigen Kulturszene zu Hause ist.“ Das Problem liegt auf der Hand: Das Angebot ist riesig, das Publikum endlich: „Da muss man sich über viele Dinge Gedanken machen.“ Und wenn man ihn so anschaut, weiß man genau – der einstige „Funzel“-Chef ist längst dabei, sich diese Gedanken zu machen.

Nicht für sich selbst, Gott bewahre: „Ich bin ziemlich frei von Angst. Ich habe das alles über drei Jahrzehnte gemacht, das gibt mir Sicherheit.“ Neben den ganzen Terminen in der Leipziger Kulturszene gibt es für Thorsten Wolf immer noch genug zu tun: Von Mai bis Dezember steht er wieder vor der Kamera für die neue Staffel von „Tierärztin Dr. Mertens“ und die Vorfreude auf das Team ist auch dem gestandenen Künstler deutlich anzumerken. Dann sind da ja auch noch seine „Film ab“-Touren durch das Leipziger Stadtpark und den Markkleeberger Wildpark – auf den Spuren der Drehorte der erwähnten ARD-Serie: Die einen im Stadtbad beginnen am 6. April, die anderen unter freiem Himmel am 18. Mai.

„Ich finde es – vorsichtig gesagt – sehr schade, dass es für ein Programm zu 70 Jahren Pfeffermühle keine Förderung von der Stadt gibt. Da stellt sich für mich die Frage: Will Leipzig noch eine Kabarett-Stadt bleiben?“

Durchgeplant ist trotzdem nix bei Thorsten Wolf – außer vielleicht noch ein (Sonntags-)Frühstückstermin in ein paar Monaten: „Im Dezember setze ich mich dann mal mit einem Stück Stollen hin und denke über das Jahr 2025 nach“, erzählt er mit einem Augenzwinkern: „Man sollte ja niemals nie sagen – es kann schon auch passieren, dass ich dann bei der ein oder anderen Produktion auch wieder auf der Bühne stehe.“ Klar, diese Bretter, die die Welt bedeuten, lassen einen eben niemals wirklich gehen …

„Will Leipzig noch eine Kabarett-Stadt bleiben?“

Deshalb verliert der Kabarettist durch und durch bei einem Thema dann doch ein wenig von seiner Ausgeglichenheit – der Zustand vom Kabarett in Leipzig beschäftigt Thorsten Wolf nachhaltig. Wobei es da eher darum geht, wie erwähntes Kabarett in Leipzig unterstützt wird: „Ich finde es – vorsichtig gesagt – sehr schade, dass es für ein Programm zu 70 Jahren Pfeffermühle keine Förderung von der Stadt gibt. Da stellt sich für mich die Frage: Will Leipzig noch eine Kabarett-Stadt bleiben?“ Und weil er gerade ein wenig in Fahrt ist, legt er nach: „Mir fehlt in der Kulturpolitik oft der Mumm, auch mal Verantwortung zu übernehmen und eine Entscheidung zu treffen.“

Ein guter Rat fürs Leben

Wie ist er eigentlich als „Funzel“-Chef mit diesem Problem umgegangen? Nun, da kommt das Lächeln wieder und zwar begleitet von einem guten Rat: „Ich bin ein Mensch, der immer eines gesagt und gelebt hat: Wer gibt, der bekommt auch etwas zurück. Und eines habe ich ebenfalls gelernt: Das Erfolgsgeheimnis ist nette Penetranz mit der Betonung auf nett.“ Sagt es und verspricht: „Auch wenn die ’Funzel’ geschlossen ist, lebt sie weiter. Und ich bin nicht aus der Welt: Manchmal kann man mich auch mal auf einen Whisky in der Bar treffen, die als ein kleines Stückchen ’Funzel’ bleiben wird.“ Jens Wagner

Informationen zu den Terminen und zum Ticketkauf zu den „Film ab!“-Touren mit Thorsten Wolf findet man auf der Webseite vom Leipziger Central Kabarett: www.central-kabarett.de

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