Wort-Training nach Schlaganfall beim Sprachtherapeuten. Foto: Adobe Stock
Wort-Training nach Schlaganfall beim Sprachtherapeuten. Foto: Adobe Stock

René Goldschmidt war 27 Jahre alt, als er während der Arbeit einen Schlaganfall erlitt. Die Folge: Aphasie, eine Sprachstörung aufgrund einer Hirnschädigung. Danach saß er im Rollstuhl. „In der Reha musste ich alles von vorne neu lernen: laufen, reden, schreiben“, berichtet er. Das sei nicht leicht gewesen, es gab Rückschläge. „Aber mein Vater hat mich immer wieder motiviert.“ Es habe viel Kraft gekostet, aber lohnte sich. Er fand seinen Weg zurück ins Leben und kann heute fast alles wieder so machen, wie vorher. Auch dank regelmäßiger Sprach-, Ergo- und Physiotherapie.

Neuer Alltag im Aphasiker-Zentrum

Allerdings führte sein Weg nicht zurück in den alten Job. „Ich glaubte wieder fit zu sein, aber die Belastung war doch zu hoch. Im Büro stapelten sich die Akten und in der Freizeit absolvierte ich noch alle möglichen Therapien.“ So ging es nicht weiter.

„Eine neue Chance erhielt ich im Aphasiker-Zentrum Nordsachsen. Mit kleinen Schritten konnte ich ohne Leistungsdruck am Computer Geburtstagbriefe an Betroffene verfassen sowie Einladungen schreiben“, erinnert er sich. Irgendwann wagte er sich sogar, Telefonate anzunehmen und selbst zu telefonieren. Er wuchs an seinen Aufgaben, begann kleine Reden zu halten – in Selbsthilfegruppen oder bei der Vereinsgründung des Aphasiker-Zentrums. „Für mich entwickelte sich so ein neuer ‚Büroalltag‘, der mich glücklich machte.“

Etablierung eines Aphasie-Zentrums

2000 gründete sich in Bad Düben ein Aphasie-Stützpunkt, genauer gesagt am Mediclin Reha-Zentrum. Treibende Kraft war laut Karin Bolduan der Aphasie-Stützpunkt Nordbayern. „Dadurch, dass viele Patientinnen und Patienten zur Reha nach Bad Düben kamen und man hier einen Bedarf an Hilfe sah, wollte man das Zentrum gründen“, berichtet sie.

Zwei Jahre später machte sich der Bad Dübener Aphasie-Stützpunkt selbstständig und führt seither die Aufgaben und Projekte als Aphasiker-Zentrum Nordsachsen e.V. fort. Seit 2004 ist Karin Bolduan im Verein tätig und unterstützt damit René Goldschmidt, seit 2002 Vereinsvorsitzender, bei den alltäglichen Aufgaben. „Wir arbeiten komplett ehrenamtlich und tragen uns aus Mitgliedsbeiträgen, Fördermitteln und Spendengeldern“, betont sie. Aus diesem Grund wird auch nach neuen Vereinsmitgliedern gesucht, um eine stetige Weiterentwicklung des Vereins zu gewährleisten.

Wichtiger Erstkontakt

Nach der Devise „Vielleicht spachlos? Aber nicht ratlos und allein!“, helfen beide nicht nur Aphasie-Betroffenen weiter, sondern auch Betroffenen neurologischer Erkrankungen (wie Halbseitenlähmung, Sehstörungen, kognitive Störungen). „Wir sind durch unsere Anbindung ans Mediclin Reha-Zentrum erster Ansprechpartner für die Menschen“, erklärt Karin Bolduan. Bereits in der Reha nehmen sie Kontakt auf, um mit den Betroffenen gemeinsam zu besprechen, wie der Alltag geregelt werden kann.

Netzwerkkoordinatorin Tina Läuter. Foto: Demenznetz Delitzsch
Netzwerkkoordinatorin Tina Läuter. Foto: Demenznetz Delitzsch

„Betroffene und Angehörige geleichermaßen haben sich das Leben anders vorgestellt. Sie sind überfordert mit der Diagnose und können sich nicht vorstellen, wie es weitergeht“, weiß René Goldschmidt ja aus eigener Erfahrung. Daher sei der Erstkontakt auch so wichtig. „Wir können aufklären über die Krankheit und erläutern, was es zu tun gibt.“ Auch wenn er ehrlich zugeben muss, dass es doch viele Menschen gibt, die ihre Krankheit nicht richtig einschätzen wollen. „Viele glauben, sie machen eine Therapie und alles ist wieder ganz normal.“ Doch leider sehe die Realität anders aus.

„Deshalb helfen wir den Patienten und ihren Angehörigen bereits während und nach Abschluss der Reha bei der Bewältigung der mit der Erkrankung einhergehenden Problemen und Schwierigkeiten“, betont René Goldschmidt. „Wir beraten Betroffene dabei, was im häuslichen Umfeld getan werden muss, um das Leben zu Hause zu erleichtern – dazu gehören auch bauliche Veränderungen.“ Dazu vermittelt das Aphasiker-Zentrum Kontakt zu Behörden, sozialen Diensten, niedergelassenen Therapeuten sowie Selbsthilfegruppen. Zudem unterstützt das Team bei der Geltendmachung und Beantragung von Ansprüchen auf Sozialleistungen wie Pflegegeld, Sozialhilfe oder Behindertenausweis.

Selbsthilfegruppe als Perspektive

Die Rückzugstendenzen, also sich bewusst aus zwischenmenschlichen Kontakten und sozialen Aktivitäten zurückzuziehen, sei bei Aphasie-Patienten sei sehr hoch, meint René Goldschmidt. „Es fällt ihnen schwer sich zu öffnen und die Erkrankung anzunehmen.“ Daher sei die Selbsthilfegruppe eine Option, besser mit sich und Erkrankung klarzukommen

Er selbst habe ein Jahr nach seiner Reha die Aphasie-Selbsthilfegruppe in Eilenburg besucht. „Anfangs war ich davon gar nicht so überzeugt, weil ich meine Freizeit nicht nur mit ‚älteren‘ Leuten verbringen wollte“, sagt er. Doch zu seiner eigenen Überraschung hatte er bei den verschiedenen Aktivitäten und Gesprächen so viel Spaß, dass er keinen Nachmittag mehr versäumen wollte. Nach kurzer Zeit übernahm er sogar selbst die Leitung der Gruppe.

„Viele glauben ja, in einer Selbsthilfegruppe sitzen die Menschen nur zusammen und jammern über ihre Situation. Doch das ist einfach falsch“, betont der Vereinsvorsitzende. „Hier findet man Gleichgesinnte, Menschen, die ihren Weg gefunden haben und Anregungen geben können.“ Außerdem gebe es regelmäßige Veranstaltungen, um raus und damit unter Menschen zukommen. „Da sind zum Beispiel gemeinsame Sportnachmittage, Tagesausflüge und Informationsveranstaltungen zu sozialrechtlichen Themen. Im März fahren wir zusammen sogar eine Woche an die Ostsee. Dank der Selbsthilfegruppe habe ich viele neue Freunde gefunden“, so René Goldschmidt. Nannette Hoffmann

Mehr Infos unter www.aphasiker-zentrum-nordsachsen.de

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here