Tilo Urban verpasste dem traditionsreichen Motorradclub in den 90ern einen gelungenen Neustart: Heute sind die „Käfer“ wieder auf ihren Bikes europaweit unterwegs. Foto: J. Fuge

GRIMMA. Für die DDR-Behörden waren sie einst „Halbstarke“ und „Konterrevolutionäre“, für ihr Umfeld galten sie als rebellisch und wild – Zustandsbeschreibungen im Spannungsfeld zwischen Politik und Erwachsenwerden. Als die „Kartoffelkäfer“ im Jahr 1958 gegründet wurden, sah vieles in der Welt noch anders aus. Jetzt feierten sie mit über 2 500 Gästen ihr 60. Jubiläum.

Es war einmal eine Gruppe übermütiger Jugendlicher, die auf ihren AWOs, MZs und Jawas durch die Gegend bretterte und den Mädels an der Eisdiele schöne Augen machte. Diese Gruppe gründete den Verein in jenem Jahr, als in der DDR die Lebensmittelkarten abgeschafft wurden. Bei einem Rennen auf der Halle-Saale-Schleife im Jahr 1959 sahen die jungen Biker den Schweden Lennart Hedlund mit dessen schwarz-gelb angemalten Sturzhelm. Das gefiel allen so gut, dass sie diese Marotte kopierten und seither mit dem typischen Kopfschmuck durch die Gegend fuhren.

Von den charakteristischen Farben rührte dann auch ihr Name her, den ihnen der Volksmund schließlich verpasste: die „Kartoffelkäfer“. Nicht ganz ohne einen vom Staat vermuteten subversiven Einschlag, stand man doch in der gleichen Zeit hilflos einer Plage gegenüber, welche die Ernte auf den Feldern bedrohte. Der „Leptinotarsa decemlineata“, ein bis zu 15 Millimeter großes Insekt aus der Gruppe der Blattkäfer, vernichtete da ziemlich große Teile der Ernte. Die DDR-Propaganda machte dafür die Amerikaner verantwortlich, welche die Kartoffelkäfer angeblich aus Flugzeugen abgeworfen hätten, um die DDR zu sabotieren. Mit der Namensgleichheit kamen prompt die Probleme, man verdächtigte die Gruppe, konterrevolutionärer Aktivitäten im Schilde zu führen. Letztlich ging es glimpflich aus, die erste Generation fuhr bis Ende der 60er-Jahre, die zweite bis Mitte der 70er. 1996 startete die heutige Generation durch.

Tilo Urban (57), der die „Käfer“ als Kind durch die Straßen Grimmas fahren sah, nahm mit einigen Gleichgesinnten Kontakt zu den alten „Käfern“ auf und fragte an, ob man nicht unter dem alten Namen wieder zusammen fahren könne. Die Reaktion fiel positiv aus, und seither sind die „Käfer“ wieder aktiv. Erlaubt sind Motorräder aller Marken, selbst Trikes fahren mit. Auch Frauen tragen die „Kutte“, also das Allerheiligste für einen Biker, und engagieren sich im Club. Tilo ist seit 1996 Präsident des Clubs und sehr stolz auf das, was sich entwickelt hat: „Mit fünf Mann haben wir damals angefangen, jetzt sind wir 46. Wir bekommen viel Zuspruch, das jüngste Mitglied ist 30 Jahre und das älteste 75.“ Seit 2008 betreiben sie ihr Domizil, das historische Torhaus, welches ihnen die Stadt zur Nutzung überließ. Drei Jahre harter Arbeit steckten die Biker in Umbau und Sanierung des Hauses.

Die große Party zum Jubiläum stieg Mitte September, über 1 200 Motorräder und Trikes wurden gezählt, an die 2 500 Leute waren da – aus ganz Deutschland. Eine besondere Freundschaft verbindet die Grimmaer mit dem Harley-Club aus Prag, der mit 60 Leuten angereist war. Die „Käfer“ fahren aber auch sehr viel, waren schon in Polen, Norwegen, Frankreich, auf dem Balkan, Mallorca und Österreich, von den unzähligen Besuchen bei befreundeten Clubs ganz abgesehen. Die Partys, die sie seit 16 Jahren am Münchteich veranstalten, sind legendär. Einmal kam ein neuer Gast, der so begeistert war, dass er verkündete, er wolle noch länger bleiben und hole jetzt schnell seine Frau. Was sich erst später herausstellte: Der gute Mann kam von Rügen – und zog die Nummer wirklich durch. J. Fuge

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