Beim Frühstück gibt es bei Anier, Sergio, „Kiko“ und Alfredo (v. l.) ganz unterschiedliche Interessen. Den starken kubanischen Kaffee mögen sie indes alle. Foto: JF

Salsa, Son und Tropicana – Kuba-Touristen schwärmen gern von der Musik mit Karibik-Flair. Ganz anders kommen die Töne der Band Tendencia daher, der bekanntesten Vertreter des Hardcore-Genres, einer Spielart von Punk und Metal.

Zumindest gewöhnungsbedürftig ist für ungeübte Ohren, was die sechs Jungs im Alter zwischen 27 und 49 Jahren auf die Bühne bringen, zu hören demnächst übrigens auch in Leipzig. Denn der „Ethno Metal“, wie die Musiker aus Pinar de Rio aus dem  weltberühmten Tabakanbaugebiet ihre Musik selbst definieren, ist laut und rau, manchmal böse, immer dominiert vom Gesang, oder sagen wir, der schreienden, brüllenden, an alle Grenzen gehenden Stimme von Sänger Anier (34).

Die Fangemeinde für diese Spielart des Punk und Metal ist groß, die Bands sind populär – auch in Kuba: „Wir spielen regelmäßig vor bis zu 2 000 Leuten“, sagt Bandleader „Kiko“ (49), der eigentlich José Ernesto Mederos heißt. Es gibt Konzerte, Touren und Platten, die Band war bereits in Spanien, den USA, Mexiko, Kolumbien, Equador und Venezuela unterwegs – doch die jetzige Deutschland-Tour ist der absolute Höhepunkt der Bandgeschichte. Möglich gemacht haben die Tour wohl an ein Dutzend deutscher Unterstützer.

Einer davon ist Alex aus Berlin. Er erzählt von den Anfängen: „Wir haben uns in Kuba kennengelernt, Matze von der Hardcore-Band Cor hatte sogar schon mal mit den Jungs ne Tour in Kuba“. Hinzu kam Daniel, der in einem Reisebüro arbeitet. Sie riefen ein Crowdfunding-Projekt ins Leben, sammelten über 5 000 Euro ein und der Traum wurde wahr. Die Einladung zum „With Full Force“-Festival kam als Nächstes, dann wurde eine Tour zusammengestellt. Die letzte CD wurde in Deutschland nochmals remastert und gepresst, sodass die Fans auf den Konzerten auch etwas zum Mitnehmen haben.
Und auch aus Leipzig kam Hilfe. Die Ü-40-Mannschaft des „Roten Sterns“ lieferte 70 Tour-Shirts. „Wir haben gesammelt und dann in Absprache mit der Band die Shirts hergestellt“, erzählt Tim. Kennengelernt hatte er die Musiker bei einer Kuba-Reise durch puren Zufall, als ihn „Kiko“ auf sein „Slayer“-Shirt ansprach.

Für die sechs Musiker ging damit ein Traum in Erfüllung. „Um beim ‚With Full Force‘-Festival zu spielen, hätten wir unter der Brücke geschlafen“, versichert „Kiko“. Die Flüge finanzierte das kubanische Ministerium für Kultur. Das aber haben sich Tendencia hart erarbeitet. „Wir sind sehr ernsthaft und verfolgen unsere Ziele sehr seriös – wir saufen nicht, wir machen keine Faxen, sind diszipliniert“, zählt „Kiko“ auf.
Also keine karibische Leichtigkeit, keine Sonne-Strand-Rum-Romantik. „Wir arbeiten vor allem nachts“, sagt Basser Alfredo Carballo (39). Da wird das nach wie vor schneckengleich arbeitende Internet durchforstet nach Terminen, Anregungen und Ideen, werden Anrufe getätigt, Leute getroffen, Musik gemacht, Cover designt – alles, was normalerweise ein Management so macht. Tendencia vermarkten sich selber – in Kuba bis auf die großen Acts eine Selbstverständlichkeit.

Die Fähigkeiten, die man dafür braucht, lehrte sie das Leben und der tägliche Kampf auf der sozialistischen Karibikinsel – und ihre Berufe. Denn hier spielen nicht einfach sechs Typen mit langen Haaren zusammen, sondern sage und schreibe drei Professoren (für Mathematik, für Ökonomie und einer für Musik), ein Englischlehrer und ein Tätowierer. „Kiko“ war darüber hinaus noch Präsident des Künstlerverbandes „Hermanos Saiz“, Lead-Gitarrist Sergio Direktor des Hauses für junge Künstler und stellvertretender Vorsitzender des Künstlerverbandes in Pinar. Deshalb sehen sie auch die Verpflichtung als Repräsentanten ihres Landes, sowohl nach außen als auch nach innen. „Wir tun viel für unsere Jugend, helfen Nachwuchsmusikern, geben etwas von unserer Erfahrung ab“, sagt „Kiko“. Das Land zu verlassen, wie so viele andere vor ihnen, kommt nicht infrage: „Was soll denn werden, wenn alle gehen? Wir sind gewohnt, zu kämpfen.“
Von der Tour durch Deutschland nehmen sie viele neue Freunde und Eindrücke mit. Alfredo ist sich sicher: „Es gibt uns die Zuversicht, dass alles möglich ist, wenn man Schritt für Schritt geht. Das gibt uns viel Zuversicht. Wir sind aber auch menschlich gereift.“
Nächstes Jahr feiern sie ihr 25-jähriges Bestehen, doch Ziele haben sie wie junge Heißsporne: „Eine neue Platte, die etwas internationaler werden soll, vielleicht singen wir dann auf Englisch oder sogar Deutsch“, sagt „Kiko“, und Alfredo ergänzt: „Weltweit bekannter zu werden, damit uns mehr Leute kennenlernen können.“ Und nach Deutschland zurückkommen wollen sie, am besten gleich 2019. Jens Fuge

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