Chefrestaurator Rüdiger Beck im Bildermuseum in Leipzig
Chefrestaurator Rüdiger Beck im Bildermuseum in Leipzig

Manchmal schaut er sich ein Gemälde einfach nur fasziniert an, wenn es auf seiner Staffelei steht, erzählt Rüdiger Beck. Und genau diese Momente der unmittelbaren Nähe zur Kunst sind es, die auch nach vier Jahrzehnten im Berufsleben für das gewisse Kribbeln sorgen. Und die damit das Feuer, die Leidenschaft lebendig halten – ja, er ist mit Leib und Seele Restaurator. Genauer gesagt Chefrestaurator am Museum der bildenden Künste in Leipzig (MdbK) und er steht damit gewissermaßen auf Du und Du mit den Alten Meistern.

An eben diesen Alten Meister hängt schon sein Herzblut – daraus macht Rüdiger Beck mit einem Lächeln eigentlich keinen Hehl. Weil es für ihn immer wieder eine Freude ist, diese Gemälde beim Betrachten auf der Staffelei zu erkunden: Mit welcher Technik wurde gearbeitet? Wie sind diese Details und diese Lichtspiele entstanden? Welche Kniffe und Tricks – im absolut positiven Sinne, wohlgemerkt! – hatten sie eigentlich drauf, die Maler vom Range eines Lucas Cranach dem Älteren? Nun, er weiß es ganz genau: Zum einen, weil er schon Bilder wie „Die Dreifaltigkeit, verehrt von Maria und dem heiligen Sebastian“ aufwendig restauriert hat. Und zum anderen, weil er es eben auch gelernt hat.

Leidenschaft für die Kunst

Rückblende in den Harz, zurück in die Zeiten der DDR: Rüdiger Beck wächst in Quedlinburg auf, schaute dabei zu, „wie diese Stadt nach und nach verfiel“ und entdeckte früh seine Leidenschaft für die Kunst. Was schon auch ein wenig in der Familiengeschichte verankert war, sein Vater war Malermeister und zwar einer der alten Schule: „Die kannten sich damals noch aus mit Ornamenten, mit Schriften und mit Techniken wie dem Vergolden. Heute nennt man dies nicht mehr Malermeister, sondern Restaurator im Handwerk“, erzählt er mit einem Lächeln und ergänzt: „Ja, ich hing mit den Augen geradezu an seinen Händen, wenn mein Vater arbeitete.“ Womit dann auch schnell eines klar war: In Zukunft wollte Rüdiger Beck ebenfalls mit seinen Händen tätig sein – und es sollte Kunst sein, die dabei entstehen würde.

Chefrestaurator Rüdiger Beck an seinem Arbeitsplatz im Bildermuseum.
Chefrestaurator Rüdiger Beck an seinem Arbeitsplatz im Bildermuseum.

Das Bemerkenswerte dabei: Schon in jungen Jahren erkannte er seine Grenzen. „Da fehlte mir etwas“, überlegt er im Rückblick auf seine ersten Schritte in der Malerei, auf seine Abendkurse an der Burg Giebichenstein und den Zeichenkurs bei einem Künstler. Und weil dieses Etwas fehlte, kam ein – ziemlich abgefahrener – Zufall gerade richtig. Ein Zufall, der mit der National-Demokratischen Partei Deutschlands zu tun hatte, der NDPD, die von 1948 bis 1990 in der DDR existierte; mit dem Vater Beck als Parteimitglied. „In der Parteizeitung stand ein Artikel über den Studiengang Restaurierung an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste. Und nachdem ich mir den genau durchgelesen hatte, habe ich einen Brief dorthin geschrieben.“

Zeichnerisches Talent sprach sich rum

Der Rest ist – wie man so schön sagt – Geschichte: Im Februar 1976 machte sich Rüdiger Beck auf den Weg zur Eignungsprüfung, im Gepäck die Giebichenstein-Mappe als überzeugendes Argument. „Bestanden, Abitur gemacht und dann ging es zur Armee“, sagt er lächelnd und berichtet von einem ziemlich bemerkenswerten Wehrdienst in der Besenkammer: Das zeichnerische Talent sprach sich bei der Einheit der Grenztruppen, zu der Rüdiger Beck, eingezogen wurde, schnell herum: „Also habe ich in der Besenkammer Plakate zum Weltraumflug von Siegmund Jähn gemalt. Und der Grenzgang blieb mir erspart.“

Dieses (sich anschließende) Studium in Dresden – da ist sich Rüdiger Beck sicher – wirkt bis zum heutigen Tag nach, auch nach vier Jahrzehnten im Beruf. Auch wenn der Wechsel von der Provinz in die Großstadt im Allgemeinen und der von den Grenztruppen an eine Kunsthochschule im Besonderen eine echt große Nummer war. „Klar hatte ich am Anfang meine Probleme mit der Umstellung. Aber es roch überall nach Farbe. Die Leute redeten freier und waren ganz anders gekleidet“, überlegt er und ergänzt nach einer Weile: „Das war für mich die schönste Zeit.“ Allerdings auch eine mit Schattenseiten – heute weiß er, dass mit der Einladung zur Eignungsprüfung an die Hochschule für Bildende Künste auch seine Stasi-Akte angelegt wurde.

Der Drang, selbst wie ein Maler zu denken

„Tolle Lehrer, tolle Dozenten, tolle Ausbildung“, bleibt dennoch sein Dresden-Fazit. Weil da so viel mitgegeben wurde, dass ihn bis heute prägt. Da ist zum Beispiel dieser Drang, auch selbst wie ein Maler zu denken – in den Techniken, im Farbempfinden, im ganz praktischen Malen an der Leinwand. „Davon zehre ich bis heute. Bis zum heutigen Tag kann ich ein Fußgewölbe zeichnen“, meint Rüdiger Beck: „Und genau dieses Verständnis für das Malen und Zeichnen ist für das Restaurieren von Gemälden ganz wichtig.“ Mit einem Lächeln ergänzt er: „Ich weiß genau, wie ein Alter Meister gemalt wird. Diese Technik ist die Basis.“

Unterm Strich war es genau dieses Kunstverständnis im Verbund mit einem ordentlichen Maß an Hingabe, das ihn nach Leipzig führte. „Die meisten meiner Mitstudierenden sind in die Freiberuflichkeit gegangen. Da hatte man in der DDR einen ziemlichen Freifahrtsschein“, erzählt Rüdiger Beck: „Aber ich wollte schon als junger Mensch vor allem gute Kunst um mich herum haben und die gab es nun mal in den Museen.“ Besser gesagt in den großen Museen und da rangiert einst in der DDR das Haus in Leipzig nach Dresden und Berlin auf dem dritten Rang – womit klar war, dass er sich einst, vor gut vier Jahrzehnten, umgehend auf eine freie Stelle in der Messestadt bewarb. „Geh doch da mal hin, die haben eine tolle Sammlung – hatte man mir gesagt“, blickt er zurück auf diesen Schlüsselmoment.

Das Privileg der unmittelbaren Nähe

Diese Beschäftigung mit der Leipziger Sammlung lässt ihn bis heute nicht los. Einschließlich jener Augenblicke, in denen er sich Gemälde auf einer Staffelei einfach nur anschaut – „was für ein Privileg“. Um zu verstehen, wie sie gemalt wurden. Und dabei ins Schwärmen zu kommen: „Es gibt einen wichtigen Grund, warum die Alten Meister so lange halten: Die Technik ist einfach perfekt. Ja, diese Bilder haben schon immer begeistert mit ihrer Brillanz und Meisterschaft.“

„Ich weiß genau, wie ein Alter Meister gemalt wird. Diese Technik ist die Basis.“

Was dann eine Restaurierung zu einer anspruchsvollen, aber machbaren Herausforderung macht, sagt der Mann, der einst von dem erwähnten Gemälde „Die Dreifaltigkeit, verehrt von Maria und dem heiligen Sebastian“ von Cranach dem Älteren nur noch die reine Farbschicht auf seinem Tisch lag – ohne die Holztafel. „Das hat richtig Spaß gemacht“, sagt der MdbK-Chefrestaurator und zeigt auf jene neun dicken Aktenordner, in denen der ganze Prozess festgehalten ist – ach ja, einen Film gibt es dazu übrigens auch.

Beim Restaurieren eines alten Gemäldes kommt es auf jedes Detail an.

Mit der modernen Kunst sei es da schon etwas komplizierter. Manchmal, sagt Rüdiger Beck, stoße man da einfach an die Grenzen des Möglichen und er erzählt von Andreas Slominski oder besser gesagt von dessen Installation eines mit Plastiktüten behängten Tandems: „Manchmal muss man als Restaurator die Segel streichen – wie in diesem Fall: Die Plastiktüten lösten sich einfach auf. Und natürlich gab es diese Tüten schon lange nicht mehr – wir haben sogar versucht, diese dann zu reproduzieren.“ Und nach einer Pause sagt er einen Satz über die Endlichkeit der Dinge: „Dann muss man zugeben, dass man mit seinem Latein am Ende ist.“

Die Endlichkeit der Dinge

Die Endlichkeit der Dinge gilt allumfassend. Dessen ist sich Rüdiger Beck bewusst – auch für die geliebten Alten Meister. Umso größer die Lust und der Ehrgeiz, am Erhalt der (Kunst-)Dinge mitzuwirken – wie bei der jüngsten Restaurierung von Max Klingers Monumentalwerk „Das Urteil des Paris“. Ein nicht nur ob seines Umfangs ein außergewöhnliches Projekt, auch die Tatsache, dass er mit seinem Team gewissermaßen unter den Augen der Besucher arbeitete, war gleichermaßen bemerkenswert wie willkommen: „Eine gute Sache, unsere Arbeitsweisen mal öffentlich zu machen.“

Das Denken muss immer vorausschauen

Weil sich da auch das ein oder andere abschauen kann – zum Beispiel in Sachen Detailverliebtheit, aber eben auch beim vorausschauenden, strategischen Denken. „Ein Bild wird nicht einfach auf eine Staffelei gestellt. Man bindet es auch fest, damit es nicht runterfallen kann. Diese Dinge gehen einem in Fleisch und Blut über“, sagt Rüdiger Beck und erzählt von dem Kugelschreiber, den man niemals, auf gar keinen Fall und in keiner vorstellbaren Situation in die Hemdtasche stecken sollte: „Ist mir trotzdem passiert und dies als junger Mann ausgerechnet dann, als mein Professor vom Studium im Atelier war. Zum Glück ist nix passiert.“ Was durchaus im Bereich des Möglichen gewesen wäre – man stelle sich nur mal ein Schreibgerät aufrecht steckend in einem Hunderte Jahre alten Gemälde vor …

Fehler wie dieser Kugelschreiber in der Hemdtasche passieren nur einmal – war zumindest bei Rüdiger Beck so. Wobei er genau weiß, dass man auch als gestandener MdbK-Chefrestaurator vor Fehlern nicht gefeit ist und man manchmal auch ein gewisses Risiko in der Arbeit eingehen muss. „Wenn ich allerdings Mist baue, weiß ich ganz genau, dass ich dafür verantwortlich bin“, sagt er und bedauert zugleich, dass er inzwischen nicht mehr so viel Zeit für die Restaurierung an der Leinwand habe wie gewünscht. Seine Meinung ist wichtig – wenn es um das Klima im Bildermuseum geht oder darum, ob und wie man Kunstwerke auf die Reise zu anderen Ausstellungen schicken kann.

Ein wenig Ausgleich findet er daheim. Im eigenen Atelier, an der eigenen Staffelei – nein, die Kunst lässt ihn einfach nicht los. „Ich muss dies machen“, sagt er ehrlich. Und blickt sich um in seiner Werkstatt und schon mal voraus auf die Zeit, in der nach vier Jahrzehnten sein Berufsleben zu Ende gehen wird: „Diesen Umgang mit Bildern werde ich richtig vermissen. Die Tatsache, dass ich dieser ganzen schönen Kunst so nahe kommen kann.“

Jens Wagner

Infos: www.mdbk.de

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