Erfreut über die Resonanz auf die geleistete Arbeit: Felix Eckerle. Foto: privat

Altenburg. Eigentlich wäre es jetzt in aller Munde, in vieler Munde zumindest: das Buch zum 150. Geburtstag des Altenburger Theaters, herausgegeben vom Chefdramaturgen des Bühnenverbunds Altenburg-Gera, Felix Eckerle, und Harald Müller vom Verlag Theater der Zeit. Eigentlich. Denn lebten wir in normal-gewohnten Zeiten, dann läge jetzt nicht schon langwährend das Kulturleben vollkommen brach, dann gäbe es auch in der Skatstadt den gewohnten Rhythmus von Premieren, Matineen, Vorstellungen und Konzerten auf den Brettern des Theatertempels, der derzeit sein Domizil im Interim auf dem Großen Festplatz bezogen hat. Dort träfen sich fast allabendlich Theaterbegeisterte zum Genuss dieser und jener Offerte und hätten vor und nach den Aufführungen sowie in den Pausen ausgiebig Zeit, sich just über jene Publikation auszutauschen, die dem Jubiläum der Altenburger Bühne gewidmet ist und einen einzigartigen Ritt durch die bewegte Geschichte des Hauses unternimmt.

Doch besagte „normale Zeiten“ sind noch nicht wieder Realität – und so musste nicht nur die große Gala zum Geburtstagsfeste am 16. April als Aufzeichnung ins regionale Fernsehen und ins Internet verlagert, sondern auch die Buchpremiere als Pressekonferenz in kleinstem Rahmen für nur wenige Journalisten beschränkt werden. Und der Austausch über jene Festschrift zum 150. vollzog und vollzieht sich noch immer gleichermaßen in bekannten kleinen Rahmen, beim kurzen Austausch (natürlich mit Abstand) auf der Straße – oder bei etwas längeren Telefonaten beziehungsweise unter Nutzung anderer moderner Kommunikationswege.

Dass das Buch aber im Gespräch ist unter Theaterfreunden, das lässt sich sehr wohl erfreut feststellen. Besonders erfreuen dürfte diese Tatsache einen der Autoren und Herausgeber, Felix Eckerle: „Ja, persönliche Begegnungen gab es derzeit nicht, aber da und dort habe ich Rückmeldungen erhalten“, sagt der Chefdramaturg. Und verweist ebenso auf ein positives Presseecho, nicht nur vor Ort in den Lokalzeitungen, sondern beispielsweise auch vom MDR. Und mehr noch: „Es verkauft sich richtig gut, sowohl in den hiesigen Buchläden wie auch im Versandbuchhandel.“ Mitherausgeber Harald Müller vom Verlag „Theater der Zeit“ habe ihm bestätigt, dass sich dieses Buch unter den Verlagsprodukten der letzten Zeit großen Zuspruchs erfreut.

„Es ist ein Buch für Altenburg, aber auch eine Werbung für Altenburg“, merkt unser Gesprächspartner an, der sich zusätzlich erfreut darüber zeigt, dass die bewusst gewählte Orientierung auch auf eine überregionale Wahrnehmung hin funktioniert. So habe er selbst am Vorabend des Theaterjubiläums Mitte April die Gelegenheit gehabt, im Deutschlandfunk ein Interview geben zu können, in dem das Buch zum Geburtstag natürlich eine tragende Rolle spielte.

Überregional gestaltet sich auch die illustre Schar der teils namhaften Autoren, die für die reich bebilderte Festschrift gewonnen werden konnten: So kommen unter anderem der einst hier als Musikdirektor wirkende, bis heutige legendäre Dirigent Peter Sommer, Regisseur Peter Konwitschny oder der Schriftsteller Ingo Schulze und der Antiken-Spezialist Professor Ulrich Sinn sowie Ulrich Khuon, bis 2020 Präsident des Deutschen Bühnenvereins zu Wort. Ihnen zur Seite stehen bekannte einheimische Experten aus dem Gebiet der Kultur- und Stadtgeschichte, wie Museumsdirektor Roland Krischke, Verleger Klaus-Jürgen Kamprad oder Geschichtsforscher Christian Repkewitz und auch Zeitzeugen. Insgesamt sind es 22 Autorinnen und Autoren, die sich zum Thema aus verschiedensten Blickwinkeln äußern – und viele, viele mehr hätten es werden können, wie Felix Eckerle bestätigt. „Noch eine ganze Reihe anderer potenzieller Kandidaten gäbe es, die man befragen müsste, um Erinnerungen zu bewahren, es gäbe darüber hinaus sehr viele Dinge, bei denen es sich lohnen würde, tiefer nachzubohren“, so sein Eindruck, nachdem er selbst so breitgefächert eingetaucht ist in die Altenburger Theatergeschichte. Da blieb nicht nur so einiges offen, von dem der Autor und Herausgeber hofft, dass auch andere – Heimatforscher, (Kultur-)Wissenschaftler, Journalisten – in Fortsetzung seiner Arbeit die dankbaren Themen aufgreifen, weiterspinnen und Spannendes, womöglich Unbekanntes zutage befördern.

Denn auch für Theatermann Eckerle gab es faustdicke Überraschungen im Ergebnis seiner akribischen Recherchen. „Beispielsweise die große Wagner-Tradition an der hiesigen Bühne, die hatte ich in diesem Umfang nicht erwartet, auch wegen der Größe des Hauses und des Orchestergrabens unter anderem. Und von Altenburg aus starteten einige später weithin gefeierte Wagner-Sänger ihre Karrieren, so Hermann Winkelmann (1847-1912), der 1882 in Bayreuth die Titelpartie in der Uraufführung des „Parsifal“ sang oder Elise Kutscherra (1867-1945), die an europäischen Spitzenopernhäusern und auch an der Met in New York bewundert wurde. Auch etliche Musiker aus dem hiesigen Orchester spielten noch bis in die 1950er Jahre bei den jährlichen Bayreuther Festspielen mit, um nur einige Beispiele zu nennen.“

Solcherlei „Überraschungen“, wie sie Felix Eckerle im Zuge seiner Erarbeitungen zu dieser Publikation erlebte – und einen immensen Erkenntnisgewinn zuhauf –, bietet sich auch dem Leser der Festschrift. In einer bewundernswerten, höchst mühseligen Kleinarbeit hat der Chefdramaturg (beinahe) sämtliche Premieren, die seit der Eröffnung des Hauses im Jahr 1871 über die Bühne des Musentempels gingen, zusammengetragen und aufgelistet. Und das trotz teils schwieriger Materiallage und unter den starken Einschränkungen der Corona-Pandemie. Teils über Monate hinweg waren wichtige Quellen, aus denen er schöpfen konnte, wie das Staatsarchiv und das Kreisarchiv für den Publikumsverkehr geschlossen. Gelungen ist ihm das Meisterstück dennoch.

Mit welchem Ergebnis? Welche Komponisten, welche Autoren erfreuten sich im Verlauf dieser 150 Jahre der größten Beliebtheit? „In Bezug auf das Musiktheater gibt es einen klaren Sieger“, so Felix Eckerle in seiner Bilanz. Der vorstehend bereits benannte Richard Wagner führt mit seinen Werken die Rangliste an. Seine Opern wurden mit Abstand am häufigsten inszeniert, das heißt, rund 90 Mal. Allen voran erweist sich dabei der „Tannhäuser“ in der Gunst von Theaterschaffenden und wohl auch Publikum als ausgesprochener Favorit, er erlebte in Altenburg im Laufe dieser anderthalb Jahrhunderte insgesamt 15 Neuinszenierungen. Mit nicht allzu großer Distanz folgt Giuseppe Verdi, dessen in Altenburg beliebteste Oper „Rigoletto“ ist, die zwölf Premieren verzeichnete. Mit deutlicher Distanz finden sich dahinter liegend nahezu gleichauf Wolfgang Amadeus Mozart, Johann Strauß und Franz Lehár, wobei wiederum die „Zauberflöte“ (13 Neuinszenierungen) „Die Fledermaus“ (15) und die „Lustige Witwe“ (elf) am häufigsten neu inszeniert wurden. Beim Schauspiel liegen Schiller und Shakespeare mit je 70 Inszenierungen klar in Führung. Goethe kommt auf Platz zwei mit 49 Inszenierungen, dafür war sein „Faust I“ mit 16 Premieren das meistinszenierte Stück.

Rund anderthalb Jahre hat Felix Eckerle an diesem Buch zum Theatergeburtstag gearbeitet – wohlgemerkt zusätzlich zu seinen übrigen weitläufigen Verpflichtungen als Chefdramaturg des Hauses. Wobei sich in diesem Falle die über viele Monate hinweg währende Langzeitspielpause des Theaters seit dem Frühjahr 2020 – und damit einhergehend auch der Wegfall oder die Verschiebung manch geplanter Produktion – als ein kleiner Vorzug in diesen für das Kulturleben so schwierigen Zeiten erwies. „Durch Corona hatte ich deutlich mehr Zeit als sonst, fand auch sehr viel Unterstützung gerade bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Archiven, konnte aber eben, gerade als ich so richtig loslegen wollte, jene Einrichtungen über Monate nicht besuchen.“

Wie ist er ansonsten vorgegangen bei der Konzeption des Buches? „Die Geschichte schlechthin abbilden kann man sowieso nicht. Also haben Harald Müller und ich eine Auswahl getroffen, in dem wir Wert darauf legten, diese 150 Jahre breit gefächert zu beleuchten – und auch in der Absicht, bei den Autoren eine ausgewogene Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern walten zu lassen.“

Herausgekommen ist ein höchst stattlicher Band, nicht nur wegen seiner Formatgröße und seines beachtlichen Gewichtes von anderthalb Kilogramm, sondern vor allem wegen seines Inhalts, der unterschiedlichste Facetten der Altenburger Theatergeschichte beleuchtet. Und dies nicht in Manier einer jubelnden und geglätteten Festschrift im Sinne einer Lobhudelei, sondern unter Einbeziehung auch all jener Brüche, Widersprüche und kleinen oder größeren Katastrophen, die der Bühne (und deren Ensemblemitgliedern) im Laufe der Jahrzehnte widerfuhren. Differenziert und kritisch der Blick auf die Vorgänge schon gleich zu Beginn des Theaterneubaus in der Stadt, dessen Eröffnung sogleich in weltpolitische Turbulenzen geriet. Als man am Herzoglichen Hoftheater zu Altenburg ursprünglich bereits im Herbst des Jahres 1870 die Einweihung feiern wollte, kam der Deutsch-Französische Krieg dazwischen. Nicht nur die Verschiebung der Eröffnung, auch die Ausbreitung der Pockenepidemie in Deutschland brachte der Krieg damals mit sich. Und so dauerte es noch etliche weitere Monate bis zum 16. April 1871, ehe der Bühnenbau mit der Premiere von Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“ tatsächlich feierlich eröffnet werden konnte.

Nicht minder umstritten aus heutiger Sicht – obgleich ästhetisch von Bedeutung für die Rezeption späterer Jahrzehnte, politisch aber höchst fragwürdig – die Inszenierung von Wagners „Der Ring des Nibelungen“ durch Wieland Wagner in den Jahren 1943/1944, zu der das Buch erstmals überhaupt Bildmaterial veröffentlichen kann.

Auch Seitenblicke nach Gera werden geworfen. Mit dem Theater der Nachbarstadt ist das Altenburger Theater bereits zum dritten Mal (1876/77, 1927/28 und nunmehr seit 1995) fusioniert. Welche Wunden diese letzte Vereinigung beider Bühnen schlug, wie sie vollzogen wurde, welche Folgen sie hatte und welche „Kinderkrankheiten“ der Verbund über Jahre hinweg auszukurieren hatte, auch darüber schweigen sich die Autoren nicht aus, sondern thematisieren dieses fast jüngste Kapitel der Geschichte des Stadttheaters. Dass dabei die Ausführungen des damaligen „Fusions-Intendanten“ Michael Schindhelm – auch 25 Jahre nach dem eigentlichen Vereinigungsprozedere – noch als höchst provokant angesehen werden, dürfte kaum überraschen. Es ist gewiss derjenige Beitrag, so war und ist in manchen Gesprächen während der letzten Wochen seit Erscheinen des Buches zu vernehmen, der unter den Altenburger Theaterfreunden mit am meisten zu Diskussionen führt.

Während die kultur- und regionalgeschichtlich Interessierten im Allgemeinen und die Kunstenthusiasten im Besonderen also für diese derzeit leider noch „theaterlosen“ Zeiten reichlich Stoff und Entdeckungsmaterial in besagter Festschrift zum 150. Geburtstag ihres Theaters finden, hat sich Felix Eckerle längst wieder seinem Alltagsgeschäft, seinen eigentlichen Kernaufgaben zugewandt.

Sein Blick schweift hoffnungsvoll in die neue Saison 2021/2022, die natürlich inhaltlich-organisatorisch längst durchgeplant ist und deren Spielplan im Spätsommer im Detail vorgestellt werden soll. Aktuell warten er und seine rund 300 Kolleginnen und Kollegen, die am Theater Altenburg-Gera in der Gegenwart noch beschäftigt sind, darauf, endlich wieder loslegen zu können, wenn es denn die Inzidenzen und die nächsten Bundes- wie Landesverordnungen erlauben. Am liebsten gleich Anfang Juni, so der Wunsch aller Akteure des Theaterverbunds – mit einer Sommer-Saison im Altenburger Theaterzelt, wenn möglich in Lumpzig an der Bockwindmühle und in Gera auf einer soeben fertiggestellten Freilichtbühne neben dem Theatergebäude. Ralf Miehle

Das Buch „150 Jahre Theater Altenburg“ (260 Seiten, Hardcover) ist in einer Auflage von 3000 Stück erschienen und kann unter anderem im örtlichen Buchhandel erworben werden; ISBN 978-3-95749-346-0.

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