Die Leipzige Künstlerin Paula Wolber hat in ihrem Atelier an de Plexiglasschriftzug
Die Leipzige Künstlerin Paula Wolber hat in ihrem Atelier an de Plexiglasschriftzug "NeinDoch" gearbeitet. Foto: Matthias Ritzmann/Kunststiftung

NeinDochNeinDoch­NeinDoch – der Schriftzug wirkt endlos. Genauso wie jene mehr oder weniger sinnlosen Streitgespräche. Die Wörter „Nein” und „Doch” fassen den Inhalt jener Dispute zusammen und überspitzen ihn zugleich. Aus Plexiglas wurden die Buchstaben erschaffen, die die Wörter formen. Noch steht ein Teil davon im Leutzscher Atelier der Leipziger Künstlerin ­Paula Wolber.

Die 38-Jährige blickt auf ihre Arbeit und ­lächelt. 23 Mal „Nein“ und ebenso oft „Doch“ hat sie erschaffen. Der übertriebene Dialog wurde schon der Öffentlichkeit präsentiert. Er ist Teil eines Kunstparcours, den die Kunststiftung Sachsen-Anhalt ins Leben gerufen hat. Am 17. Mai wurde er im kleinen Ort Allstedt bei Sangerhausen eröffnet. Anlass sind „500 Jahre Deutscher Bauernkrieg und der 500. Todestag Thomas Müntzers“. Der ­Reformator hielt 1524 seine ­berühmte Fürstenpredigt in Allstedt.

Das Oberthema des künstlerischen Parcours lautet „Gerechtigkeit”. „Ich hab mich gefragt, was verbinde ich eigentlich mit Gerechtigkeit und kann man das messen?”, sagt Paula Wolber. Sie kam zu dem Schluss, dass man nur in einem Gespräch miteinander herausfinden könne, was jeder für gerecht hält, in einem Dialog also. So kam es zur Idee des Streitgesprächs „NeinDoch”. Wobei: „Eine Klärung des Gesprächs gibt es nicht”, sagt Wolber und lächelt.

40 Meter langes Kunstwerk in Allstedt

Auf einem langen Garagenkomplex wurde das 40 Meter lange Kunstwerk inzwischen installiert. Die Garagen haben die Allstedter in den 70er-Jahren eigenhändig gebaut, erzählt die Künstlerin, die sich vor Ort mehrfach umschaute und mit den Besitzern ins Gespräch kam. Sie redete mit älteren Männern, die diese teils mitgebaut haben, und jüngeren Leuten, die heute ihre Autos dort abstellen. Dabei erfuhr sie mehr über die Beschaffenheit des Komplexes und sie fragte die Menschen dort, was sie sich für ein Kunstwerk wünschten.

Paula Wolbers Kunstwerk "NeinDoch" ziert bis Oktober die Garagen in Allstedt. Foto: Matthias Ritzmann/Kunststiftung

Paula Wolbers Kunstwerk „NeinDoch“ ziert bis Oktober die Garagen in Allstedt.
Foto: Matthias Ritzmann/Kunststiftung

Diese Frage habe die meisten überfordert, gibt Wolber zu. Einige würden gern mal einige Wände die streichen. Die meisten reagierten höflich auf die Idee mit dem Kunstprojekt. Andere stellten dessen Sinn infrage und manch einer war skeptisch, ob die Dächer wohl ein Kunstwerk aushalten würden. Nach den Gesprächen war Wolber klar: „Ich darf denen nichts vor die Tür setzen, was extrem ab­strakt ist.”

Sie wollte etwas finden, zu dem möglichst viele Menschen einen Zugang haben. Sprache schien das Passende zu sein, damit es möglichst greifbar ist. „Die Leute sollen vorbeifahren, drüber nachdenken und vielleicht merken, das Gespräch hatte ich heute auch schon.” ­Jeder gelange mehrfach am Tag in solche Nein-Doch-Situationen in der Familie, ist sich Wolber sicher. Es gebe die Debatten aber auch auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. „Sie sind sehr einseitig, keine Seite rückt ab.”

Fluoreszierendes Plexiglas

Ursprünglich sollte der Schriftzug aus Aluminium gestaltet werden. Am Ende entschied sich Paula ­Wolber aber für ein fluoreszierendes ­Plexiglas mit Kanten, die unter UV-Licht leuchten. Die Buchstaben werfen zudem einen roten Schatten. Über Monate hat Wolber alle Teile dafür selbst hergestellt, die runden Buchstaben wurden unter Wärme gebogen. Manche waren schief und wurden aussortiert. Dann hat sie sie miteinander verklebt und nochmal in einem Spezialofen verfestigt. Das Konstrukt wurde Ende April auf die Allstedter Garagen gesetzt.

Einblick im Atelier von Paula Wolber. Foto: Gina Apitz

Einblick im Atelier von Paula Wolber.
Foto: Gina Apitz

Wie viele Stunden Arbeit in dem Schriftzug stecken, kann Wolber nicht beziffern. Es sei eine Art Fließbandarbeit gewesen, habe aber auch einige ­Herausforderungen mit sich gebracht. Die Künstlerin hatte noch nie mit Plexiglas gearbeitet. Sie musste das Material erst einmal kennenlernen.

Einige Versuche misslangen

Dazu gehörte auch, dass einige Versuche misslangen und sie Ausschuss produzierte. Für Paula Wolber ist es der erste Auftrag in dieser ­Dimension. Einer, der sie über Monate hinweg beschäftigte und auf den sie sich komplett konzentrierte. Sie hofft, darüber einen Fuß in die Tür zu bekommen für weitere Aufträge im ­Bereich „Kunst am Bau”. ­Möglicherweise fungiert die sachsen-anhaltische Kunststiftung als Sprungbrett.

In ihrem Atelier im Leipziger Westen stehen noch weitere ihrer freien Arbeiten. Auch diese enthalten häufig einen Moment, der absurd oder witzig ist, „um eine Strenge aufzulösen”, sagt sie. In drei nebeneinanderstehenden Eimern sprudelt Wasser von einem Gefäß in das andere. „Füttern sie sich gegenseitig, oder mogeln sie dem anderen etwas unter?”, fragt Wolber. Was aussieht wie ein Perpetuum Mobile, ist keines. Die Eimer füllen und und leeren sich nur scheinbar von selbst. Strom und ein Tunnelsystem unter ihnen sorgen dafür, dass das Ganze funktioniert und dass dieser Eindruck entsteht. Doch auf einmal will das fragile Kunstwerk heute nicht mitspielen. Eine Pfütze ­bildet sich plötzlich unter den Eimern. Wolber holt einen Wischlappen und schaltet den „Eimerbrunnen” aus.

Alltagsgegenstände und wenig Material

Bei ihrer Arbeit verwendet die Künstlerin möglichst wenig Material und nutzt vor allem Alltagsgegenstände. An einer Wand steht ein Turm aus grünen Eurokisten. Ganz oben scheint ein Taschentuch in der Luft zu schweben. Es dreht sich dabei um die eigene Achse. Wolber erschafft einen Irritationsmoment – und diesen mit einem Alltagsgegenstand, der oft unachtsam zu Hause herumliegt. Zauberei? Das Ganze funktioniere durch Magnetismus, erklärt Paula Wolber. Der nicht sichtbare Magnet im Taschentuch stößt den anderen in der Kiste ab, dadurch schwebt das Taschentuch.

Bei dieser Arbeit „schwebt“das Taschentuch über dem Kistenturm. Foto: Gina Apitz
Bei dieser Arbeit „schwebt“
das Taschentuch über dem
Kistenturm. Foto: Gina Apitz

Auch hier geht es um das Überwinden einer Hürde, ein Thema, das sich durch viele ihrer Arbeiten zieht. In Bezug auf dieses Kunstwerk sagt Wolber: „Da steckt relativ viel technische Arbeit drin.” Generell aber habe sie kein ausgeprägtes technisches Wissen, betont sie. Wenn sie einen Prozess verstehen will, recherchiert sie im Internet oder fragt einen befreundeten Handwerker.

Ihre Arbeiten geht Paula ­Wolber generell sehr strukturiert an. Normalerweise kommt sie gleich morgens ins Atelier, nachdem sie ihre sechsjährige Tochter in die Kita gebracht hat. Am Abend vorher hat sie bereits einen Plan, was sie tun will. „Ich arbeite dann meine Liste ab.” Seit drei Jahren teilt sie sich das Atelier in einer ehemaligen Fabrik in der Franz-Flemming-Straße mit drei weiteren Künstlern. Vorher arbeitete sie im Nachbarhaus. „Es macht Spaß, hier zu arbeiten”, sagt sie. Die vier Kreativen verstehen sich gut, oft ist Wolber auch ganz allein in dem weitläufigen Raum unterm Dach – und kann ganz in Ruhe an ihren Projekten feilen.

Studium an der Burg Giebichenstein

Paula Wolber wächst in Berlin auf und tüftelt schon als Kind an eigenen Projekten. „Ich hab schon immer gern nach Lösungen für technische Probleme gesucht.”

Nach dem Abitur wird sie an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle angenommen und studiert Kunst­pädagogik. Nach ihrem Abschluss arbeitet sie nebenher in der Kunstvermittlung, auch im Jugendarrest in Halle, einer Vorstufe zum Gefängnis. In den Kunstkursen, die sie leitet, merkt sie, dass viele Jugendliche noch nie etwas selbst mit der Hand hergestellt haben.

Dass es ihnen gelingt, in einer bestimmten Zeit etwas zu Ende zu bringen, sei für viele ein sichtbares Erfolgserlebnis. „Das konnte sehr viel Stolz auslösen.” Auch bei einer anderen Tätigkeit in einer Rehaklinik für Menschen mit psychischen Erkrankungen geht es bei den Kunstprojekten um Selbstwirksamkeit.

Als ihre Tochter zur Welt kommt, reduziert Wolber ihre Jobs. Heute erstellt sie für eine Getränkefirma Etiketten, bearbeitet Aufträge und widmet sich ihrer eigenen Kunst. Davon kann sie leben – auch dank einer recht günstigen Wohnung, sagt sie. Zeit für weitere Hobbys findet Paula Wolber neben Arbeit und Kind nicht. Doch das stört sie nicht. „Es geht viel Kraft, Zeit und Denken in meine künstlerische Arbeit.” Die Kunst bestimme ihren Alltag – das sei gut so. Gina Apitz

Der Kunstparcours ist noch bis Oktober in Allstedt zu sehen. Weitere Infos: www.gerechtigkeyt1525.de und www.paulawolber.de

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