Die Geschichte von „Dark Eden“ ist ein Stück weit auch ihre Geschichte: Jasmin Herold und Michael Beamish. Foto: S. Komnick

LEIPZIG. Nein, diesen „Bloß-weg-hier“-Impuls gab’s nicht – Jasmin Herold ist ein wenig überrascht: „Das war ja meine Arbeit, da hat sich die Frage nach Flucht überhaupt nicht gestellt.“ Schaut man sich den Dokumentarfilm „Dark Eden“ als Ergebnis dieser Arbeit an, ist man dann aber selbst schon ein wenig erstaunt.

Denn dieser Ort, der da im Fokus steht, dieses Fort McMurray weit draußen im Nirgendwo der kanadischen Provinz Alberta ist schon ein Schock – auch auf der Leinwand. „Es war unbedingt eine apokalyptische Erfahrung“, erzählt die Regisseurin, die an eben diesem Ort gut zwei Jahre gelebt hat: „Mein erster Flug über die Ölfelder – ich dachte, ich bin nicht mehr auf der Erde. Und dann dieser Smog, dieser Gestank und dieser ölige Film, der auf allen Sachen lag …“ Denn an diesem Ort wird Fracking betrieben, die Gewinnung von Erdöl aus Teersand, mit aufwendigen und gefährlichen Methoden. Aber unterm Strich war ihr eben klar: „Man braucht einfach diesen langen Atem.“ Auch, weil sie es sich eben nicht einfach machen wollte mit ihrem ersten Dokumentarfilm – was schon allein die Tatsache zeigt, dass sie sechseinhalb Jahre in „Dark Eden“ investiert hat – mit ihrem Co-Regisseur Michael Beamish, den sie gefunden hat in dem apokalyptischen Fort McMurray, als Mitstreiter und große Liebe.
„Man hätte eine Freakshow machen können, die Leute dort vorführen können“, überlegt Jasmin Herold: „Oder einfach nur mit Aktivisten und den CEOs Interviews machen. Ganz einfach.“ Aber sie wollte mehr, sie wollte gewissermaßen „reinkriechen“ in das Leben jener Menschen, die in diesem irrsinnigen Ort Fort McMurray leben und arbeiten. „Mann, da habe ich wirklich viel Lehrgeld bezahlt“, erinnert sie sich: „Es war wahnsinnig anstrengend, die Protagonisten für den Film zu finden.“ Mit mehr als 600 Menschen hat sie gesprochen, immer mit wachem Verstand und offenem Ohr. Eine Reise in die Welt so unterschiedlicher Lebensentwürfe, die diesem Dokumentarfilm gleichermaßen eine spürbare Tiefe wie auch Ambivalenz gibt. Ganz nach dem Credo – keine einfachen Antworten. Oder, um es klar zu sagen: „Ich hatte und habe keine Zeit und keine Lust auf irgendwelche Befindlichkeiten.“
Dabei kam Jasmin Herold zufällig zum Dokumentarfilm: Eigentlich, erzählt sie, kam sie 2007 nach Leipzig, um am Literaturinstitut zu studieren. Einen ersten Roman hat sie noch unfertig in der Schublade liegen, „der soll aber unbedingt noch abgeschlossen werden“, erzählt sie: „Dinge nicht fertig zu machen, fühlt sich nicht richtig an.“ Langer Atem eben. Aber dann kamen immer mal wieder andere Projekte dazwischen – ein erstes Drehbuch für einen Kurzfilm, dann die Regie für ein Kameramann-Diplom in Kanada: „Da waren wir drei Wochen – und vor Ort habe ich schon gemerkt: Ich muss jetzt sehen, wie das hier weitergeht.“ Es war nämlich in Calgary, als dieser apokalyptische Ort Fort McMurray erstmals in ihr Leben trat. „Ich habe zur Jahrtausendwende dort in einem Obdachlosenheim gearbeitet – und da habe ich zum ersten Mal von diesem Ort gehört: In dem Heim waren auch Menschen, die dort unheimlich viel Geld verdient haben, damit aber überhaupt nicht klargekommen sind und völlig durchgerutscht sind.“ Die geweckte Neugier sollte nie mehr nachlassen – auch nicht nach den ersten Recherchetrips ins kanadische Nirgendwo. Im Gegenteil.
„Letzlich geht es darum, die Perspektiven von ganz unterschiedlichen Menschen einzufangen“, überlegt sie: „Darum, eine Geschichte mit eben diesen Menschen zu erzählen.“ Was auch etwas über die Arbeitsethik der Dokumentarfilmerin Jasmin Herold aussagt – darüber, dass man eben nicht immer vorbestimmen kann, wohin die Reise gehen wird. „Es kommt immer anders als man denkt – die Realität mit echten Menschen kümmert sich nicht um ein klares Konzept. Dies ist das Schwierige, aber auch Spannende am Dokumentarfilm: Dieses ständige Abgleichen der Realität mit der Idee, die man ja mitbringt.“
Gerade „Dark Eden“ ist ein emotional bewegendes Beispiel dafür, wie die Wirklichkeit schmerzlich einschlagen kann – mit der schweren, lebensbedrohlichen Krankheit von Michael Beamish. „Ja, diese persönliche Geschichte steckt da sehr stark mit drin“, überlegt Jasmin Herold: „Lange Zeit stellte sich immer wieder die Frage: Wie kommt Michael wieder auf die Beine?“ In Leipzig ist dieses „Auf-die-Beine-Kommen“ gelungen, aber nicht nur deshalb ist für den Kanadier die Messestadt längst der liebste Ort auf der Welt.
„Als feststand, dass alles gut wird, kam auch die nächste und die übernächste Idee“, das nächste Projekt der beiden ist bereits in Arbeit (mehr kann selbstredend nicht verraten werden – außer dem Ort USA vielleicht). Spannend bleibt es mit Sicherheit, denn die Ideen und Visionen von Jasmin Herold sind durchaus außergewöhnlich: „Der Dokumentarfilm hat aus meiner Sicht ein großes Potenzial, das längst nicht ausgeschöpft ist – jenseits der ewigen „sprechenden Köpfe‘. Ich finde, er sollte auch Kino sein, mit großen Bildern voller Stärke und Kraft.“  J. Wagner
Der Dokumentarfilm „Dark Eden“ erscheint am 24. Oktober auf DVD. 

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