Mit den (patentierten) Stoffpostkarten macht Judith Herschel seit 2016 auf sich aufmerksam: „Das sind alles Unikate, die ich auch höchstselbst hergestellt habe.“

LEIPZIG. Manchmal braucht es einfach etwas Zeit, damit die Dinge zueinander finden. Und manchmal auch einen Anstoß, einen Katalysator – wie beispielsweise einen leeren Raum. Denn in genau diesem leeren Raum fand Judith Herschel ihre Idee, alten Stoffen in Form von Postkarten ein neues Leben zu geben …

„Ich bin ja quasi mit der Kreativität groß geworden. Mit der Nähmaschine und mit den Stoffen“, erzählt sie lächelnd von der eigenen Kindheit – mit der Mutter als Grafikerin, die seit vier Jahrzehnten das Märchenland auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt gestaltet (und eben aus diesem Grund viele, viele Stunden an erwähnter Nähmaschine verbrachte) und mit dem Vater als Maler und Grafiker. Das ist aber „nur“ die eine Seite – die andere ist die Liebe zum Schreiben. Und da ganz speziell zum Schreiben von Briefen, von Postkarten: „Aus jedem Urlaub schreibe ich davon mindestens 40 Stück. Und wenn ich in eine Kneipe gehe, führt der erste Gang an den Postkartenständer.“

Doch damit diese Dinge zusammenfinden, braucht es eben manchmal einen Katalysator. Diesen leeren Raum. Der war in der eigenen Wohnung plötzlich da, als Tochter Antonia nach dem Abitur ausgezogen war: „Dann stand ich in diesem leeren Raum mit dem Gedanken: Das wird ein Atelier! Ich möchte etwas ausprobieren!“ Und weil Judith Herschel mit diesem Begriff „Old School“ eine Menge anfangen kann (was sie lächelnd bestätigt inklusive einer ausgeprägten Zuneigung zum Haptischen), lag der Ausgangspunkt auf der Hand: „Ja, irgendwie ‚Upcycling‘, auch wenn ich diesen Begriff nicht so mag. Aber ich nähe aus alten Stoffen neue Sachen.“

Erste Station Postkarte: Ja, das war die erste Idee. Naheliegend aus den erwähnten Gründen, aber dann doch gar nicht sooo einfach in die Realität umzusetzen. Denn sie wollte ohne Tricks und doppelten Boden arbeiten, ohne Hilfsmittel wie Klebstoffe oder so etwas – nur das Papier, der Stoff und der Faden. Das brauchte schon ein paar Anläufe, „inzwischen benötige ich für eine Stoffpostkarte alles in allem eine halbe Stunde. Das ist mittlerweile meine klassische Abendunterhaltung: Ich setze mich an die Nähmaschine, lege los und es macht saumäßigen Spaß.“

Womit die Triebkraft, die Motivation bestens beschrieben wäre – Spaß. Auch wenn das „Kind“ inzwischen einen Namen hat – „Stoffpost“, gefunden im Brainstorming mit ihrem geduldigen Mann im mehrfach erwähnten leeren Raum mit Rotwein-Unterstützung – und die erste Station längst nicht mehr die einzige ist – Judith Herschel hat auch ein haptisches Bildpaar-Spiel entworfen, das auch von blinden Menschen gespielt werden kann. Aber letztlich geht es eben immer um den Spaß an der kreativen Arbeit. „Ich war schon immer der praktische Typ. Nicht quatschen, machen.“

Der Erfolg gibt Judith Herschel recht: Zu den „Designers Open“ hat sie im Jahr 2017 ihr „Kind“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Und mittlerweile muss sie sogar über die Zukunft nachdenken – allerdings mit einer klaren Tendenz. „Ich möchte, dass die Postkarten, die Bildpaare, die Schlüsselanhänger auch weiterhin meine ‚Babys‘ bleiben. Es sind nunmal alles Unikate, die ich auch selbst genäht habe, und dies soll einfach auch so bleiben.“ Die nötige Unabhängigkeit hat sie allemal – dafür sorgt die Selbstständigkeit als Marketingberaterin. Die ihrerseits wiederum zu wichtigen Lebenserfahrungen in Köln oder Frankfurt geführt hat: „Ich habe es geliebt, woanders zu sein. Und andererseits hatte ich immer Heimweh.“ Inzwischen ist die Entscheidung gefallen und zwar für die Heimat Leipzig. „Die Karli ist mein Therapeut – da muss ich nur mal spazieren gehen, um mich richtig gut zu fühlen.“

Damit hat sich in so mancher Hinsicht der Kreis geschlossen – zurück in der so oft vermissten Heimatstadt, zurück in jener haptischen Kreativität, mit der sie im Elternhaus aufgewachsen ist. „Am Ende des Tages geht es darum, glücklich zu sein“, überlegt Judith Herschel und ergänzt: „Da habe ich ganz viel aus meiner Familie mitgenommen.“ Mit manchmal überraschenden Ergebnissen, wie das Nachdenken über Langeweile zeigt: „Das ist für mich Luxus! Man muss diese Langeweile zulassen, denn daraus entsteht dann etwas Besonderes – wie bei mir.“

Übrigens: Diese Leidenschaft für alte Stoffe („Unfassbar, was ich da schon für wunderbare Schätze gefunden habe! Und ja, ich habe ein Faible für die 60er-, die 70er-Jahre.“), für das Rattern der Nähmaschine möchte Judith Herschel jetzt auch unbedingt weitergeben. Beispielsweise an Leipziger Kinder, mit denen sie gemeinsam Stoffpostkarten herstellen möchte.

J. Wagner

www.stoffpost.de
Ach ja – diverse „Stoffspenden“ (also beispielsweise Säcke mit alten Stoffen) sind nach wie vor gern gesehen.

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