Tierpräparator Markus Ranft neben seinem neuesten Werk – einem kleinen Sikahirsch. Foto: Stella Weiß

Leipzig. Markus Ranft hält ein Messer in der Hand mit einer „ganz stabilen Klinge”, wie er sagt. Vor ihm steht ein kleiner Hirsch, genauer gesagt, ein Sikahirschkalb. Es ist eine der jüngsten Arbeiten des Tierpräparators des Leipziger Naturkundemuseums, der heute in sein Reich eingeladen hat. In Folie gewickelte Bisonschädel hängen an der Wand der Werkstatt, auf einem Schrank liegt der Kopf eines Krokodils. Im Nebenraum wabert die Haut einer Eule in einer Schüssel mit Flüssigkeit. Sie wird gerade gegerbt und später eingefroren. Markus Ranft – Schnauzer, rote Hose, weißes T-Shirt mit Comic-Fuchs-Aufdruck – sitzt auf einem Drehstuhl und redet über seinen Job.

Präparator ist Frühaufsteher

Meistens ist der 46-Jährige schon morgens ab 6.30 Uhr in der Werkstatt des Museums anzutreffen. Ranft gehört zur Spezies der Frühaufsteher. Die Spezies, die er bearbeitet, denen verhilft er – man kann es so sagen – zu beinahe ewigem Leben. Einige Jahrhunderte können gut gearbeitete Präparate überdauern, erklärt er. Sehr schön sieht man das an den Exponaten des Präparators Herman ter Meer, von denen das Museum 240 Stück besitzt. Von 1907 bis zu seinem Tod 1934 arbeitete der Niederländer am Zoologischen Institut der Uni Leipzig. „Er hat die Präparation seiner Zeit revolutioniert”, sagt Markus Ranft. Der Präparator führte damals neue Methoden ein – „vom Ausstopfen zum Bildhauerischen”. Auch wenn seine Techniken inzwischen überholt seien, so sei ter Meer für ihn nach wie vor ein Vorbild, weil er „fleißig und innovativ” war.

Heutige Präparate halten – bei guter Pflege – locker über 200 Jahre, zumindest wenn sie nicht berührt werden. Wichtig sei außerdem keine direkte Sonneneinstrahlung, sonst bleichen die Haare aus, eine gleichbleibende Temperatur von etwa 20 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von idealerweise 50 Prozent. Zu den Feinden des Präparators zählen winzige Schadinsekten: Kleidermotten, Federlinge und Speckkäfer können den ausgestopften Objekten zusetzen.

Exakte Präparation ist wichtig

Wenn Markus Ranft erklärt, wie ein Tier genau präpariert wird, tut er das sehr akkurat und detailgetreu. Bevor es losgeht, sei es wichtig, das Tier exakt zu vermessen – etwa den Umfang der Gliedmaßen, des Halses, des Kopfes. „Diese Daten sind ganz, ganz wichtig für das spätere Aufstellen.” Dann wird die Haut abgezogen und meist zuerst ge- salzen, um sie vor dem Verfall zu bewahren. „Das verschafft uns Zeit.” Ein Gerber bearbeitet die Tierhaut weiter. Wird sie nicht sofort verwendet, landet sie in einer der riesigen Gefriertruhen des Museums. Dort lagern die Häute – und warten darauf, irgendwann einmal weiterverarbeitet zu werden. Ist es soweit, fertigt Markus Ranft vom Körper des Tieres eine Negativform an. Diese wird dann mit PU-Schaum, einer Art Bauschaum, aufgefüllt. Die Oberfläche des Präparats raut er im Anschluss mit Schmirgelpapier an, damit der Klebstoff besser darauf hält. Dann geht es darum, die Haut möglichst faltenfrei und sorgsam auf den Körper zu kleben. Das Problem: Tierhaut trocknet sehr schnell. Nur solange sie nass ist, lässt sie sich biegen.

Anstelle der echten kommen Glasaugen zum Einsatz. Das Museum hat gleich mehrere Schachteln, in denen Vogelaugen und solche für Säugetiere ordentlich sortiert liegen. Auf einem Fach steht „Waschbär”. Andere eignen sich für Mufflon oder Dammhirsch, zeigt Markus Ranft. „Augen machen das Wesen des Präparats aus – das ist richtig, aber nur ein Teil des Ganzen.” Wenn die Haut nicht sorgfältig aufgebracht sei, wirke das Tier ebenfalls nicht lebensecht.

Und wo liegt für ihn die größte Schwierigkeit? Das variiere, sagt der Experte. Ist die Haut kurz vor der Verwesung, dann sei das Abziehen die Herausforderung, aber auch die Größe eines Tieres könne entscheidend sein. „Das größte Tier, was ich mitbearbeitet habe, war ein 15 Meter langer Pottwal”, erzählt er. Das gewaltige Tier wurde an der Nordseeinsel Pellworm angespült – und sollte im Museum in Stralsund als Skelett ausgestellt werden. Markus Ranft und ein Team weiterer Präparatoren schnitten vor Ort das Fleisch von den Knochen des Wals. „Da kommen einige Tonnen zusammen”, erinnert er sich, wie er mit Wathose und Werkzeug den Riesen bearbeitete. „Das übrige Gewebe wurde in Stralsund kontrolliert faulen gelassen, damit nur die Knochen übrig bleiben.” Außerdem wurden die Knochen angebohrt und entfettet. „Das stinkt gewaltig.” Markus Ranft gibt zu, dass man in seinem Beruf nicht allzu zart besaitet sein sollte. „Ich war schon in Situationen, wo es grenzwertig war und es dann in Übelkeit übergeht.”

Umzug des Museums steht bald an

Wie viele Tiere Markus Ranft pro Jahr präpariert, ist unterschiedlich – je nachdem, ob eine Sonderausstellung ansteht. Schon bald aber wird Ranft, genau wie sein Chef René Diebitz und die Auszubildende Louisa Bosse, die das Team seit einer Weile verstärkt, einiges zu tun haben. Für den neuen Standort des Museums im ehemaligen Bowlingtreff auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz werden mit Sicherheit viele neue Exponate benötigt. In den Kühltruhen lagern dutzende Häute – zum Beispiel von Tigern, Löwen, Gnus und Rentieren, die darauf warten als Exponate gezeigt zu werden.

Tatsächlich war der Umzug des Museums in ein neues Haus entscheidend für Markus Ranft, seinen alten Job aufzugeben und nach Leipzig zu wechseln. Zuvor war er Präparator am Naturkundemuseum in Münster, zuletzt dort sogar Werkstattleiter. Seit drei Jahren ist er nun beruflich in der Messestadt. „Hier warten große Aufgaben”, sagt er. Und zwar solche, „wo man kreativ werden kann”. Auch wenn der Umzugstermin noch längst nicht feststeht: Die Ausstellung am neuen Standort muss schon bald vorbereitet werden. Ranft ist in die Planungen involviert und wird Vorschläge unterbreiten, welche Exponate künftig dort zu sehen sein werden.

Ranft wurde in Sachsen geboren

Was man beim Sprechen nicht hört: Ranft ist gebürtiger Sachse – und wollte in die alte Heimat zurück. Als er davon erzählt, fängt er plötzlich an, leicht zu sächseln, wohl um zu zeigen: Ich kann es noch. Nach 23 Jahren in den alten Bundesländern, von Süddeutschland bis zum Westerwald, ist er nun froh, wieder in der Heimat angekommen zu sein, sagt er. Dabei hat der Präparator so einige spannende Stationen hinter sich. Eine Zeit lang bearbeitet er aus Jagdtrophäen von Privatpersonen. „Ich habe alles präpariert, was man jagen durfte”, sagt er und zählt auf: Steinböcke, Agalischafe, neuseeländische Hirsche, Wasserbüffel, Antilopen, Großkatzen, Wüstenluchse, Hyänen.

Dass Markus Ranft Tierpräparator geworden ist, hängt maßgeblich mit seiner Herkunft zusammen. „Ich komme vom Land”, sagt der gebürtige Meißner. Seine Mutter ist Floristin („von ihr habe ich vielleicht das Künstlerische”), der Vater gerbt zu DDR-Zeiten nebenberuflich Schaffelle. In seinem Elternhaus gibt es keine „Streicheltiere”. Katzen sind dazu da, Mäuse zu fangen, Kaninchen werden geschlachtet – mit Tierblut kommt er schon in jungen Jahren in Berührung. Als Kind angelt er und versucht, seine Fische länger zu erhalten. Ein Trophäenkult, der nicht lange anhält, aber doch den Weg bereitet zu seiner jetzigen Profession. Es gehe darum „den Reiz herauszufinden, wie man eine Haut haltbar macht und eine Form reinbringt”, umschreibt er seine Faszination für das Präparieren. Ranft gibt zu, dass er nicht besonders gut zeichnen könne. Die Vorstellung des Objektes entsteht stets in seinem Kopf – und wird dann in die Realität übertragen. Es geht ihm darum, sich eine eigene Form zu überlegen, diese zu modellieren – und das Objekt damit zu „erschaffen”.

Wenn Markus Ranft die Werkstatt nachmittags verlässt, dann sitzt er zumindest im Sommer gern an einem Teich und angelt. „Ich bin ein Draußen-Mensch”, sagt er. „Aus dem Angeln ziehe ich viel Kraft.” Die Fische, die er aus dem Wasser zieht, werden übrigens nicht präpariert, sondern gegessen. Gina Apitz

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