
Toni Kraus sieht ein bisschen zerknautscht aus, als er ein paar Minuten verspätet zum Interview erscheint. Er hat hier keinen Parkplatz gefunden, sagt er entschuldigend und hebt die Hände. Kraus ist Popmusiker. Der 28-Jährige will erzählen – über die Musik, die er heute macht, über seine Pläne und seine Wahlheimat Leipzig. Von hier aus will er neu durchstarten – als TONI, alles groß geschrieben.
Es sind meist sanfte deutsche Popsongs, die aus seiner Feder stammen. Sie heißen „Lieben lernen”, „Ein Versprechen” und „Ich vermisse dich” und sind auf dem vierten Album des Künstlers versammelt, das noch keinen Namen hat. Mit diesen Liedern wird Kraus im März nächsten Jahres mit einer Vier-Mann-Band auf Tour gehen. Ein Management gibt es nicht, er organisiert alles selbst. „Das ist meine erste Tour und das will ich feiern”, sagt er mit diesem ganz speziellen Dialekt, der nur im Erzgebirge gesprochen wird. In Kraus Heimat also, wo er ziemlich bekannt ist. Doch dazu später mehr.
Kontakt zum Publikum ist ihm wichtig
Kraus sagt, er wolle mit den Konzerten in eher kleinen Häusern nicht unbedingt Geld verdienen. Es gehe eher darum, zum Publikum Kontakt aufzubauen. Man muss wissen: Toni stand schon auf sehr großen Bühnen. In der Wuhlheide in Berlin spielte er vor 17 000 Menschen. „Da siehst du eine wogende Masse, aber keine Personen mehr. Das ist super anonym.” Eine kleine Location habe Vorteile.
„Ich liebe es, wenn ich jedem, der da ist, noch in die Augen sehen kann.” Kraus spielt dann querbeet alte und neue Songs. Um den Titel „Sommerregen” wird er wohl nicht herum kommen, denkt er. Den Song hat er mit 16 geschrieben, das war 2013. Er wurde mehrfach geremixt – unter anderem von der Band „Gestört, aber geil” – und zählt dadurch heute wohl zu seinen bekanntesten Liedern.
Obwohl treue Fans darauf warten werden, sagt Toni Kraus ehrlich: „Ich mag den Song nicht mehr.” Im Vergleich zu früher seien seine Lieder „deutlich erwachsener” geworden. Seine alten Titel hätten noch mehr Schlager-Vibes. Inzwischen ist seine Musik poppiger geworden, habe eine deutlich jüngere Hörerschaft. Er singt von großen Gefühlen, Verletzungen, dem Leben in den Zwanzigern und den Herausforderungen, die damit verbunden sind. Toni Kraus thematisiert auch Bindungsängste oder den Wunsch, davon zu laufen. „Ich bin nochmal viel ehrlicher geworden in meinen Texten.”
Im Internet bekommt er auch Kritik ab, einige empfinden manche Songs gar als provokant – etwa den Titel „Ich kenne deinen Blick, wenn du kommst”. Mit Kritik kann er heute besser umgehen, als früher, sagt er. „Damals hatte ich Angst davor, anzuecken.” Kraus bezeichnet sich selbst als „sehr selbstkritisch.” Ihm fallen immer wieder Details auf, die er verbessern könnte. „Ich will nicht perfekt sein, aber ich will meine Sachen gern exzellent machen.”
Neues Album entstand im Studio in Berlin
Wenn Kraus eine grobe Idee für einen Song hat, geht er damit in sein Studio in Berlin und tüftelt mit seinem Produzenten und einer zweiten Songwriterin an dem Grundgerüst. „Wir sitzen dann zu dritt in einem Raum und unterhalten uns erstmal eine Stunde darüber, was jeder mit dem Thema verbindet”, erzählt er. Die drei werfen sich dann die Bälle so lange hin und her, bis der fertige Song im Kasten sei. Die ersten beiden Alben schrieb Kraus allein, die letzten beiden im Team. Dadurch sei die Musik besser geworden, findet er. Und sie ist etwas, das aus ihm herauskommt. Etwas, das er ganz allein in der Hand hat. Und genau das ist neu für ihn.
Toni Kraus wächst in Johanngeorgenstadt im Erzgebirge auf. Er ist der Sohn des ehemaligen Randfichten-Frontmanns Thomas „Rups” Unger. Die Randfichten sind in den Neunzigern in Sachsen in der Volksmusik-Szene bereits ziemlich bekannt. Durch ihren Hit „Lebt denn der alte Holzmichl noch?” bekommen sie 2003 bundesweite Aufmerksamkeit. Toni ist bei den Auftritten seines Vaters oft dabei, wird auch mal auf die Bühne geholt. „Das hat mich schon als kleiner Stift fasziniert.”

Als Sechsjähriger steht er das erste Mal allein für eine Fernsehshow vor der Kamera, hat bald regelmäßige Auftritte bei der Kinderhitparade im MDR. Als „Toni, de klaane Flugficht” singt er sich in die Herzen der Volksmusikzuschauer. Das Honorar seiner Auftritte wandert auf sein Sparkonto. Toni Kraus sagt zum einen: „Ich hab es geliebt, auf der Bühne zu stehen.” Und reflektiert heute auch: „Ich wusste als Kind nicht, was passiert und welcher Apparat dahinter steht.”
Dickes Fell gegen das Mobbing
Seine Auftritte im Fernsehen haben auch eine Schattenseite: Er wird von seinen Mitschülern gemobbt, versucht damals, die Hänseleien zu ignorieren und sich ein „dickes Fell” wachsen zu lassen. Dadurch, sagt Kraus, wirke er noch heute für manchen unnahbar. Doch: „Das war meine Überlebensstrategie viele Jahre.” Als er zwölf ist, soll er eine eigene Sendung im Kinderkanal bekommen, aber seine Mutter – von Beruf Lehrerin – lehnt ab. Das Ganze ließe sich nicht mehr mit der Schule vereinbaren.
Als Jugendlicher entdeckt Kraus er andere Art Musik für sich. Mit 16, 17 spielt er in verschiedenen Schülerbands, will mit der Musik auftreten. Doch viele Veranstalter lehnten ab – wegen seiner Volksmusikvergangenheit. „De klaane Flugficht“ kann sich nicht frei fliegen. Der MDR lädt ihn in seine Talksendung „Riverboot” ein, am liebsten im Doppelpack mit seinem Vater.
Die Reporter fragen ihn fast ausschließlich über seine Vergangenheit als Kinderstar aus. Darauf hat Toni Kraus irgendwann keine Lust mehr. „Ich mache seit zwölf Jahren eigene Musik”, sagt er. „Ich will nicht mehr als ’Sohn von’ wahrgenommen werden.” Auch wenn das viele glauben: Sein Vater hatte auf seine Musik keinen Einfluss, betont er. „Das habe ich mir selbst erarbeitet. Ich bin da hineingewachsen.” Sein Vater könne mit seinem Musikstil heute wenig anfangen und dies sei umgekehrt auch so – und aus seiner Sicht auch völlig okay.
Nine-to-five-Job ist nicht sein Ding
Nach dem Abitur veröffentlicht Kraus 2016 sein erstes Album. Er studiert Medienmanagement, arbeitet zwei Jahre lang in einer Werbeagentur und später im Marketing. Doch ein Nine-to-five-Job ist nicht sein Ding. „Ich war froh, dass ich wieder kündigen konnte.” Heute lebt er von seiner Musik. Lieder zu schreiben, das hilft ihm dabei, seine Erlebnisse zu verarbeiten. „Das ist wie in Brief an dich selbst oder wie ein Tagebucheintrag.”
„Ich will nicht mehr als ’Sohn von’ wahrgenommen werden.”
2020 erlebt Kraus eine harte Zeit. Seine Freundin trennt sich von ihm. „Das hat mich komplett aus der Bahn gekickt.” Eines Morgens wacht er auf und stellt fest, dass seine eine Gesichtshälfte gelähmt ist. Er konnte nicht mehr richtig sprechen und nicht mehr singen. „Ich habe an dieser Stelle meine Berufung hinterfragt”, sagt Kraus. Doch ihm wird klar: Auf der Bühne stehen und singen, das ist es, was er will. Die Lähmung verschwindet wieder. Toni Kraus sortiert sich neu und veröffentlicht 2021 das Album „Tag X” – in dem sich das Erlebte widerspiegelt. Seither habe für ihn eine neue Zeitrechnung begonnen.
Glaube an Gott als Kraftquelle
Und noch etwas verändert sich: Als er an der Lähmung erkrankt, bittet er zum ersten Mal Gott um Hilfe. Er fängt an zu beten, liest in der Bibel und ändert seinen Lebensstil. Heute sagt Kraus: „Ich glaube fest an Gott und habe das als Anker und Kraftquelle erlebt.” Durch den Glauben habe sich auch seine Einstellung zur Musik verändert.
„Früher wollte ich, dass mich die Leute anhimmeln.” Heute wolle er sich mehr in den Hintergrund rücken. „Ich will Menschen dienen.” Inzwischen gehe es ihm vielmehr darum, dass das Publikum eine gute Zeit hat mit seiner Musik. „Ich will Hoffnung weitergeben, Leute trösten und mit ihnen zusammen weinen und feiern.”
Und wohin soll die Reise gehen? Im Moment konzentriert sich Kraus auf das neue Album und die geplante Tour. Privat wünscht sich der Single, irgendwann eine Familie zu gründen. „Ich träume davon, mit einer Person alt zu werden.” Da sei er sehr romantisch veranlagt. Was den Beruf angeht, ist er dagegen eher lebenspraktisch eingestellt. „Wenn es musikalisch nicht mehr klappt, dann schmier ich auch gern Brote bei Subway und mache Musik wieder als Hobby”, lautet sein Plan B. Gina Apitz
TONIs Tour startet am 5. März 2026 im Neuen Schauspiel in Leipzig und führt ihn auch nach Dresden und Chemnitz. Weitere Infos: www.toni-musik.de