Für die australische Regisseurin und Kuratorin Lindy Hume ist es eine Rückkehr in ein vertrautes Haus: Zum dritten Mal inszeniert sie an der Leipziger Oper – diesmal Georges Bizets „Carmen“. Foto: J. Wagner

LEIPZIG. Irgendwie braucht dann doch jeder Mensch ein kleines bisschen Zuhause, überlegt Lindy Hume und erzählt mit einem Lächeln: „Ich finde es wunderbar, wenn ich schon weiß, wo es gute Restaurants gibt. Und wenn ich bekannte Gesichter wiedersehe.“
Nun, in dieser Hinsicht ist Leipzig schon jenes kleine bisschen Zuhause für die australische Opernregisseurin – immerhin bringt Lindy Hume nun mit Georges Bizets „Carmen“ ihr drittes Stück auf die Opernbühne in der Messestadt. Dabei erzählt sie ebenfalls mit einem herzlichen Lächeln vom ersten Besuch in dem Haus, gemeinsam mit ihrem langjährigen Bühnendesigner Dan Potra (der auch bei „Carmen“ natürlich wieder dabei ist): „Damals inszenierten wir ‚Don Pascquale‘ und dies mit ganz vielen Gags. Vorher haben wir uns ‚Elektra‘ angesehen und das Publikum um uns herum war ganz ernst und konzentriert.“ Da – dies gibt sie zu – habe sie doch darüber nachgedacht, ob ihre Inszenierung am richtigen Platz sein würde.

Nun, diese (Selbst-) Zweifel sind längst verflogen. Nicht zuletzt, weil sie sich freuen konnte auf das erwähnte Wiedersehen mit bekannten Gesichtern. Auf Wallis Giunta, die in der Titelrolle singen wird, und auf Olena Tokar. „Wenn man sich schon kennt, kann man bei einer Inszenierung von einer viel besseren Position starten“, überlegt die Regisseurin: „Da geht es eben auch im Vertrauen und dies in beide Richtungen.“ Es sind also sehr gute Bedingungen, unter denen sich Lindy Hume an die Inszenierung eines Stückes geht, das sie eigentlich ihre gesamte Karriere hindurch begleitet hat.

Es ist diese Rolle der Carmen, die sie immer wieder aufs Neue fasziniert. „Es gibt so viele Klischees rund um Carmen – der Vamp beispielsweise. Die Femme fatale. Dabei kann uns dieses Stück so viel erzählen über Frauen und Männer, über die Freiheit, über das Leben und den Tod“, überlegt Lindy Hume und gibt einen kleinen, aber feinen Ausblick: „Für mich ist der Tod ein Statement der Freiheit …“ An dieser Stelle kommt übrigens jenes Vertrauen ins Spiel, von dem sie gesprochen hatte – speziell das Vertrauen zu Wallis Giunta: „Ich liebe es, wenn Sängerinnen und Sänger eigene Ideen mitbringen – und diese dann auch noch besser sind als meine eigenen. Und Wallis überrascht mich jeden Tag aufs Neue. Sie hält mich damit in Bewegung.“

Diese bemerkenswerte Haltung hat Lindy Hume wohl nicht zuletzt der australischen Heimat zu verdanken. Der Mutter, die sie als „starke Feministin“ beschreibt. Und der Vater, der ihr die Liebe zum Jazz mitgegeben hat. „Man kann in einem schäbigen Pub wunderbare Musik entdecken – und in schreckliche Musik in einem prunkvollen Opernhaus erleben“, bringt sie ihr Credo auf den Punkt. Und erzählt von einem 500-Seelen-Dorf in der Heimat, nur ein paar Steinwürfe weg die Straße runter (im australischen Maßstab, wohlgemerkt, „da sind zehn Prozent der Einwohner Musiker. Da habe ich so viel entdeckt“. Und dann spricht sie noch voller Begeisterung von Heath Cullen, einem australischen Musiker, der mit den Imposters, der Band von Elvis Costello, eine Platte aufgenommen hat.

Es verwundert nicht, dass sich Lindy Hume nicht allein als (Opern-) Regisseurin versteht. Ihre Karriere kennt so viele Stationen und nicht alle haben mit der Oper zu tun – so als Kuratorin des Sydney Festivals („Dafür braucht man vor allem ein ziemlich dickes Buch mit vielen Telefonnummern!“). Und ebenso nicht alle immer nur mit der künstlerischen Seite der Dinge – etwa als künstlerische Leiterin der West Australien Opera. Da klingt dann auch schon mal eine gleichermaßen spannende wie beinahe nüchterne Analyse durch: „Das Beste, was ich als Künstler tun kann, ist doch, die Menschen glücklich zu machen.“ Nein, bei Lindy Hume sind Unterhaltung und künstlerischer Anspruch keine sich ausschließenden Gegensätze – eher schon zwei Seiten der gleiche Medaille.

„Ja, ich bin ein sehr glücklicher Mensch“, überlegt sie: „Ich lebe in einer Gegend, die ich von ganzen Herzen liebe. Und ich kann Städte wie Seattle oder Leipzig erkunden.“ Und sie erzählt von jenem Moment, an dem sie erstmals Leipzig erkundete. „It blast my mind!“ Diese unzähligen authentischen Stätten der Musikgeschichte! Diese lebendige Kultur! Andererseits ist sie wahrlich keine Frau, die sich von Traditionen erdrücken lässt: „Ich bin überhaupt kein Fan von der Tradition um der Tradition willen. Auch die Tradition muss schon genau analysiert werden“, erklärt sie gerade auch mit Blick auf die oftmals stereotypen Frauenrollen in der Oper.

Eines kann man aber mit Gewissheit sagen: Lindy Hume glaubt mit vollen Herzen an das Positive in der Kunst. An das Überwindende, das Grenzen hinter sich lässt. Daran, dass auch ein ehrwürdiges Haus wie die Oper Leipzig ein Treffpunkt ist, an dem möglichst viele unterschiedliche Menschen kommen. Um vielleicht auch einen solchen Moment der Magie zu erleben wie jenen, der sie einst so befeuerte. Als junge Tänzerin („Eigentlich komme ich ja vom Tanz – eher noch vom zeitgenössischen Tanz als vom Ballett.“), die sich unvermittelt auf der Opernbühne wiederfand, gerade mal zwei Meter entfernt von Dame Joan Sutherland: „Mir klappte tatsächlich der Unterkiefer runter, als sie begann zu singen. Diese Kraft! Dieser Sound!“ Und dieses Erlebnis führt dann zu eben jener Erkenntnis, die Lindy Hume bis heute beflügelt: „Musik muss einen etwas fühlen lassen – so kann man gute von schlechter Musik unterscheiden …“

Nun arbeitet sie intensiv daran, mit ihrer neuen Inszenierung von „Carmen“ diese magischen Momente zu kreieren – mit jener Oper. Die sie einst von 26 Jahren erstmals auf die Bühne der West Australian Opera gebracht hat. Und die sie heute wieder ganz anders interpretiert und erforscht. „Es gibt diesen Luxus, seine Vorstellungen zu ändern“, überlegt Lindy Hume: „Manchmal muss man die Effizienz ausschalten und Experimente zulassen. Und einfach auch mal seinem Instinkt vertrauen …“ J. Wagner

Termine
Die „Carmen“-Inszenierung von Lindy Hume feiert am Freitag, 30. November, die Premiere an der Oper Leipzig. Außerdem wird die Oper aus der Feder von Georges Bizet in diesem Jahr noch am 15., am 22. und am 27. Dezember aufgeführt.

 

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