Rulo Lange ist einen Institution, ebenso wie die Zentrale des Freundeskreis Buchkinder e.V. in der Connewitzer Wiedebach-Passage. Stolz präsentiert er die Bücher, die unzählige Buchkinder im Verein gestaltet haben. Foto: Christian Modla

Leipzig. In der Wiedebachpassage in Leipzig-Connewitz gibt es ein Ladenlokal mit großen Fenstern zur Straße hin. Darin befindet sich die Zentrale des Freundeskreis Buchkinder e. V., die gleichzeitig Werkstatt, Kursraum, Laden und Büro ist. Wer beim Vorbeigehen hineinschaut, blickt auf zahlreiche Tische, deckenhohe Regale, Farbflaschen, Bücher – und sehr häufig auch auf einen 64-jährigen Mann mit wallender weißer Lockenmähne, der, so macht es den Eindruck, ebenfalls zum Inventar zu gehören scheint. Ob frühmorgens oder spätabends, meistens ist auch Ralph-Uwe „Rulo“ Lange da. „Ich habe kein Privatleben“, gibt der 64-Jährige lachend zu, „ich bin wie der Weihnachtsmann“.

Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums erzählt er die Geschichte des Vereins, die eng mit seinem Leben verwoben ist. Jeder in Leipzig und Umgebung hatte wohl schon einmal ein Buch oder eine Postkarte von einem Buchkind in den Händen. Zu farbenfrohen gedruckten Bildern gesellen sich Geschichten, die gerade durch ihre abenteuerliche Rechtschreibung und wilden Schriftbilder berühmt geworden sind. Hinter diesen lustigen Kunstwerken steckt eine Idee, die Rulo in den 1990er-Jahren entwickelt hat.

Sein Leben in der DDR hatte dabei großen Einfluss auf seine pädagogische Arbeit nach der Wende. Der gebürtige Leipziger, Jahrgang 1957, wächst im Stadtteil Schönefeld auf. Wie viele seiner Klassenkameraden macht er ab dem 16. Lebensjahr eine Ausbildung zum Maschinenanlagenmonteur bei dem dort angesiedelten Chemieanlagenbau. Der Weg des jungen Mannes scheint geebnet. „Hätte ich nicht meinen Klassenkameraden Klaus Möckel gehabt, wäre ich wohl in dieser Blase geblieben“, erinnert sich Rulo. Möckel übezeugt ihn, an der Abendschule das Abitur nachzuholen. Ein Schlüsselmoment: „Wenn da Leute sind, die auf einen achten, so wie er auf mich, kann man was im Leben erreichen. Das hat Klaus mir gezeigt“.

Diese Erkenntnis ist wohl der Grund für einige folgenreiche Entscheidungen in Rulos Leben und führt ihn zu seinem Wunschberuf Lehrer: „Ich wollte anders als meine Lehrer sein.“ Nach mehrfachen Ablehnungen wird er schließlich doch zum Lehramtsstudium Deutsch und Geschichte an der Leipziger Karl-Marx-Universität zugelassen. 1988 bekommt er eine Stelle in Böhlen, bricht aber nach wenigen Monaten wieder ab. „Das Schulsystem machte es schwierig, neue pädagogische Ansätze auszuprobieren, das war eine Unterdrückungsmaschinerie für Kinder“, schildert Rulo. Nach der Wende beschäftigt er sich mit reformpädagogischen Modellen und baut die Freie Schule in Connewitz mit auf. Bei seiner Arbeit mit den Erst- und Zweitklässlern bemerkt er immer wieder, „dass Kinder gerne malen und Geschichten dazu erzählen. Ich fand es bemerkenswert, wie sie vom Bildern zu witzigen Texten kommen. Und dann habe ich Leute gesucht, die mit mir ein Buch umsetzen“.

1995 gründet er den Bleilausverlag im Haus Steinstraße gemeinsam mit Katrin Kunert, damals Malerei-Meisterschülerin an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB). Die Buchkinder-Idee wird wichtiger Bestandteil des Kursangebotes. Viele Bücher entstehen, und 1998 ist der Verlag erstmals mit einem eigenen Stand auf der Leipziger Buchmesse vertreten. Doch Rulo sieht in seinem Konzept großes Potenzial, das sich nicht mit ein paar Nachmittagskursen im soziokulturellen Zentrum ausschöpfen lasse. Kurzum gründet er im August 2001 den Freundeskreis Buchkinder e.V., in dem er bis heute als Pädagogischer Leiter fungiert. „Ich habe in meiner Wohnung Kurse gegeben, das fand meine damalige Freundin nicht so gut“, erinnert er sich.

Über die Jahre wächst der Verein aus mehreren Räumlichkeiten heraus und richtet sich schließlich eine Druckerei und Werkstatt in einem 1000 Quadratmeter großen Keller in der Hans-Poeche-Straße ein. Die Buchkinder-Projekte finden bundesweit Beachtung, der Verein erhält viele Preise, Rulo selbst bekommt 2008 die Ehrennadel der Stadt Leipzig verliehen. Nach dem Konzept, das er mit Christine Klemig (damals Direktorin an der Freien Schule Gohlis) entwickelt, wird überdies ein Buchkindergarten in Lindenau verwirklicht.

Der Erfolg des Vereins führt jedoch nicht nur zu großer Freude aller Beteiligten, sondern 2009 zu „einem Richtungsstreit“, wie Rulo es nennt. Wer ihn erlebt hat, weiß, dass er immerzu ein wohlwollendes Weihnachtsmann­lächeln auf den Lippen hat – nur nicht dann, wenn er von diesem Streit erzählt. Es bilden sich im Verein zwei „Lager“, erzählt er niedergeschlagen: „Die einen sahen in der Buchkinder-Idee ein Geschäftsmodell, standortgebunden, etabliert und mit sicherer Förderung. Und ich wollte, dass die Buchkinder-Idee eine Bewegung bleibt.“

Während das andere „Lager“ als Buchkinder e.V. den Kindergartenbau und die sichere Förderung übernahm, fängt Rulo 2010 neu an, mit der Reanimation des Freundeskreis Buchkinder e.V. – wieder in seiner Wohnung.. Doch diesmal kann er auf ein vorhandenes Netzwerk aufbauen und gibt schnell wieder Kurse, darunter in mehreren Leipziger Schulen und Kindergärten. Nach zwei Umzügen findet der Freundeskreis sein Domizil in Connewitz in der Wiedebachpassage.

Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage: Woher nimmt ein Mensch die Energie, immer wieder von vorn anzufangen? Wie kann eine Idee so eine große Motivation rechtfertigen? In Rulos Fall ist es wohl die Freude, die ihm die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen seit über 30 Jahren bereitet. „Ich finde es so faszinierend, was die Kinder zu sagen haben, die bringen die unmöglichsten Ideen. Anders als Erwachsene haben sie kaum Erfahrungen“, so der Pädagoge, „um also die Welt zu erklären, müssen sie sich die Dinge zusammenreimen. Dadurch entsteht unendlich viel Witz.“

Seine Rolle bei der Entstehung der Bilder und Texte sieht er darin, die Kinder bestmöglich zu unterstützen. Viele der Teilnehmenden sind im Vorschulalter und können noch nicht lesen und schreiben. Darum schreiben Rulo und seine Kolleginnen und Kollegen im Laufe des Projekts auf, was sie zu ihren Bildern zu sagen haben. Wenn die Geschichte nach mehrmaligem Vortragen und „Erproben“ von den Kindern für gut befunden wird, beginnt der eigentliche Zauber: Mithilfe von Lauttabellen, Bildern und Spielen leiten sich die Kinder die Buchstaben und Silben her. Der Klang und nicht die Rechtschreibregeln geben den Ausschlag für das geschriebene oder gemalte Wort. Parallel dazu gestalten sie in Form von Linolschnitten die Druckvorlagen.

Das Team hat mit dem Freundeskreis Buchkinder e.V. in den letzten zehn Jahren Rulos Idee in vielen Projekten weitergetragen. Über 120 Bücher sind in Kitas bereits entstanden. Neben den Kursangeboten in Connewitz ist der Verein montags bis freitags in Leipzig und Umgebung unterwegs, vor allem in Kitas und Schulen. „Das ist der Unterschied zu dem anderen Buchkinderverein der eine feste Station hat, wir sind mobil. Wir müssen aktiv sein, weil wir ausschließlich Projektförderungen bekommen“, so Rulo. „Wir sind mit unserem Bus in Leipzig an zwölf Standorten, aber auch in Colditz und Dürrweitzschen unterwegs. In Pegau gibt es seit fünf Jahren eine Buch- und Schreibwerkstatt.“ Doch besonders freut er sich über die Kinderkulturwerkstatt, die sein Verein im Stadtgut in Grimma seit drei Jahren aufbaut. „Im Stadtgut hat sich auch ein Buchbinder mit eingerichtet. Ich wünsche mir, dass unsere neuen Standorte mit den Orten zusammenwachsen“, sagt der Pädagogische Leiter. In Grimma werden mittlerweile nicht nur Bücher gestaltet. Es gibt auch Film- und Theaterkurse, ein offenes Atelier und vieles mehr. Beim Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus wurde außerdem eine halbe Verwaltungsstelle für den Landkreis beantragt, die für das Vorjahr schon einmal bewilligt wurde. Schwieriger sei die aktuelle Situation aber in Leipzig, so Rulo. Das Connewitzer Büro „platzt aus allen Nähten“, es gibt keinen festen Mitarbeitenden, der sich um organisatorische Aufgaben kümmern kann. Der Verein ist Träger der städtischen freien Jugendhilfe, doch es gebe viele Projektanfragen, die aus finanziellen und aus Kapazitätsgründen nicht umgesetzt werden könnten. „Wir würden gerne mehr Ganztagsangebote an Leipziger Schulen anbieten, schaffen es aber nicht.“

Und dann ist da noch ein Problem, dem sich der Freundeskreis Buchkinder e.V. stellen möchte: Die namentliche Abgrenzung zum anderen Verein, dem Buchkinder e.V. „Wir machen die ganze Arbeit, aber oft verwechseln die Leute unsere Vereine und die anderen heimsen dann die Lorbeeren ein“, ist Rulos Eindruck. „Um uns besser abzuheben, suchen wir einen neuen Vornamen.“ Wer eine gute Namensidee hat, kann sich gerne bis zur Leipziger Buchmesse melden. Für den besten Vorschlag gibt es 10 Bücher der Wahl.

Zum Schluss soll noch ein letzter Versuch unternommen werden, Rulo abseits der Buchkinder zu betrachten. Da muss es doch noch etwas geben? „Ich habe eine Sammelleidenschaft für alte Fahrräder, aktuell besitze ich 25 Stück“, gibt er schließlich preis. Auch ein paar Träume und Wünsche hat er für die Zukunft: „Klar, ich hätte gern einen Grund, ein Privatleben zu haben.“ Und dann kommt er doch wieder auf die Buchkinder zu sprechen: „Ein großer Traum, der aber vielleicht nicht mehr in Erfüllung geht, wäre ein eigener echter Buchkindergarten und daraus könnte sich eine Buchkinderschule entwickeln. Und natürlich hoffe ich, irgendwann Nachfolgerinnen und Nachfolger zu finden“. Pauline Szyltowski

Weitere Informationen: www.buki-leipzig.de

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