Kräuterfrau Daniela Kahrens ist am liebsten im Volkspark Kleinzschocher unterwegs. Foto: André Kempner
Kräuterfrau Daniela Kahrens ist am liebsten im Volkspark Kleinzschocher unterwegs. Foto: André Kempner

Ein warmer Januartag am Rande des Volksparks Klein­zschocher. Die Sonne blitzt verhalten zwischen den Wolken hervor. Daniela Kahrens stapft in Wanderschuhen über eine Wiese und hält vor einem Strauch voller Hagebutten an. „Lust auf einen Quetschie to go?”, fragt sie und zupft eine der roten Früchte ab. Vorsichtig drückt sie das Mus mit zwei Fingern heraus. Es schmeckt säuerlich, steckt aber voller Vitamin C.

Daniela Kahrens kennt sich damit aus. Seit über sieben Jahren beschäftigt sich die Wahlleipzigerin mit Wildkräutern. Doch eine Kräuterwanderung im Januar, ist das eine gute Idee? Die 32-Jährige lächelt. „Natürlich”, sagt sie. „Man kann das ganze Jahr über draußen etwas finden.” Der Volkspark Klein­zschocher ist ihr bevorzugtes Sammelrevier.

Vielzahl an essbaren Kräutern

Das Gebiet sei optimal, denn es gebe Wiesen, Bäume, einen Fluss und Hecken. Diese Vielfalt bedeute auch eine Vielzahl an essbaren Kräutern – vorausgesetzt man weiß, was man sich in den Mund stopfen darf. Auf den ersten Blick wirke der Winter karg, sagt Kahrens. Doch bei genauerem Hinsehen entdeckt sie einige Farbtupfer – etwa die Taubnesseln mit ihren lila Blüten. „Sowas erfreut doch das Herz”, sagt die Kräuter­expertin und schwupps hat sie die Blüte in der Hand und erklärt, dass diese aus einer Ober- und Unterlippe besteht.

Blätter und Blüten seien essbar. „Die Taubnessel ist eine tolle Teepflanze”, erklärt sie, während

sie kaut. Die Blätter könne man auch einfach in den Salat geben. Sie wirken entkrampfend, entspannen und seien gut für den Magen-Darm-Trakt. Wer in die Welt der Wildkräuter eintauchen will, kann die Fachfrau auf einer Tour durch den Volkspark begleiten. Die Zahl an essbaren Pflanzen ist riesig. Ihre Empfehlung lautet deshalb: sich erstmal mit nur einer Pflanze beschäftigen. „Man sollte das Kraut kennenlernen, mal ein Rezept mit ihm ausprobieren, einen Tee trinken – und so Stück für Stück in die Pflanzenwelt gleiten.”

Beim Sammeln gebe es einige Grundregeln, die Kahrens beherzigt:

  • Regel 1: Man sollte nur Pflanzen sammeln, die man sicher bestimmen kann. Dabei helfen Bestimmungsapps auf dem Handy in Kombination mit einem Buch.
  • Regel 2: Man sollte keine Pflanzen sammeln, die unter Naturschutz stehen.
  • Regel 3: Nur Kräuter einpacken, von denen viele Exemplare da sind.
  • Regel 4: Nicht dort sammeln, wo viele Hunde Gassi geführt werden und möglichst nicht ­direkt an der Straße, wegen der vielen Abgase.

Die Sicherheit gehöre dabei zu den wichtigsten Punkten, betont Kahrens. Verwechslungen sind nämlich nicht ausgeschlossen, etwa bei der Wilden Möhre, die dem gefleckten Schierling ähnlich sieht. „Der kann aber tödlich giftig sein.” Auch beim Bärlauch, der im Frühjahr aus der Erde sprießt, ist Vorsicht geboten. Besser sei es, Blatt für Blatt zu sammeln, um nicht aus Versehen die ähnlich aussehenden Maiglöckchen einzupacken. Und: Nicht jede Pflanze ist komplett essbar. Beim Holunder etwa können die Blüten bedenkenlos zu Sirup verarbeitet werden. Die dunklen Beeren sollten jedoch nur geköchelt verzehrt werden. Blätter und Rinde jedoch sind giftig.

Jahresbaumwiese ist Lieblingsplatz

Daniela Kahrens ist an der Jahresbaumwiese angekommen, einem ihrer Lieblingsplätze. Etwa 20 Jahre lang wurde hier der Baum des Jahres gepflanzt. Entstanden ist ein sehr diverser Baumbestand, „ein schöner, ruhiger Ort”. Die Hügel, auf denen die Bäume wachsen, werden im Sommer nicht gemäht. Dort gebe es einen großen Bestand an Kräutern, freut sich Kahrens. Einige Meter weiter entdeckt sie ein winziges platt getretenes Gänseblümchen. „Die Pflanze blüht fast das ganze Jahr über”, weiß die Expertin. „Sie streckt sich auch im Winter dem Licht entgegen.” Das unscheinbare Blümchen zeigt zudem das Wetter an: eine geöffnete Blüte verheißt Sonnenschein, eine geschlossene Regen. Die Blüte und die eiförmigen Blätter sind essbar. Sie erinnern mit ihrem leicht säuerlichen Geschmack an Feldsalat.

Die Blüten seien als Tee verzehrbar, man könne auch Tinkturen aus ihnen machen und sie als Gesichtsmaske verwenden. Das Gänseblümchen wirkt antibakteriell, helfe bei Hautproblemen und sei außerdem ein Hustenstiller und Immunstärker. „Ein völlig unterschätztes Wildkraut, obwohl es eine tolle Heilkraft besitzt”, fasst Kahrens zusammen. Außerdem sei das Gewächs aus ihrer Sicht „eine mutmachende Pflanze”. Immerhin richtet es sich wieder auf, auch wenn es mal platt getreten wird.

Unscheinbare Pflanzen entdecken

Daniela Kahrens scannt die Wiese ab – und nimmt weitere unscheinbare Pflanzen ins Visier. Der nächste Snack ist die Vogelmiere, deren eiförmige Blätter ebenfalls essbar sind. Eine Haarleiste am Hauptstengel sei das wichtigste Erkennungsmerkmal der Pflanze, die im Frühsommer eine weiße, sternförmige Blüte ausbildet. Wer das Blatt zerkaut, bemerkt einen Geschmack nach Erbse oder Mais. „Vogelmiere kann man in den Salat geben oder ein Pesto draus machen.” Wer die Pflanze in Olivenöl auszieht, bekomme ein wunderbares Hautöl.

Hagebutten sind ein super "Quetschie to go", weiß Daniela Kahrens. Foto: André Kempner
Hagebutten sind ein super „Quetschie to go“, weiß Daniela Kahrens. Foto: André Kempner

Aus dem, was sie sammelt, stellt Daniela Kahrens Salben und Säfte her. Einen Großteil ihrer Kosmetik produziert sie selbst aus den Pflanzen, die in ihrer direkten Umgebung wachsen. So vermeidet sie Plastikmüll und: „Ich weiß genau, was drin ist.” Die Kräuterfrau mag es, draußen an der frischen Luft unterwegs zu sein. Bei Regenwetter nutzt sie einen Arbeitsplatz in einem Co-Working-Space in der Oeserstraße.

In dem Studio gibt sie auch Kräuterkurse, etwa zum Thema Räuchern. Daniela Kahrens hat festgestellt: „Das Interesse an Wildkräutern wird größer.” Immer mehr Menschen wollen heute raus gehen und „selbst für die eigene Gesundheit verantwortlich sein”. Kräuterkunde sei auch in der Großstadt möglich. „Man kann auch im stressigen urbanen Alltag wieder zu den alten Traditionen zurückkehren.”

Großeltern hatten großen Bauernhof

Die Wahlleipzigerin hat sich ihr Wissen autodidaktisch erarbeitet. Naturverbunden war sie schon immer, sagt sie. Ihre Großeltern hatten einen großen Bauernhof in der Lüneburger Heide in Niedersachsen. „Doch die Natur wurde eher benutzt, um Ernten einzufahren und Gewinne zu machen.” Das Gefühl, „sich mit den Pflanzen zu verbinden“, die Idee, sie nachhaltig zu nutzen, das habe sie erst nach und nach gelernt.

„Jetzt darf ich draußen in der Natur sein, bin eine Vermittlerin zwischen der Pflanzenwelt und der Welt der Menschen.”

Nach der Schule zieht die junge Frau nach Magdeburg und schreibt sich für Germanistik und anglistische Kulturwissenschaften ein. Doch das Studium ist nicht das Richtige. Sie bricht ab und beginnt eine Ausbildung zur Logopädin, arbeitet acht Jahre lang in dem Beruf. In ihren Zwanzigern entdeckt sie ihre Liebe zu den Kräutern. Zu dieser Zeit fängt Daniela Kahrens an, sich vegan zu ernähren, sie werkelt in ihrem Kleingarten und beschäftigt sich mit den Themen Permakultur und Selbstversorgung. „Dieser Weg führte automatisch zu den Wildpflanzen.”

Das Ganze entwickelte sich zu einem Sog. Sie merkte, was sie alles noch nicht kannte – und lernte immer mehr über die Pflanzenwelt. Im Dezember vergangenen Jahres kündigte sie ihren Job und konzentriert sich nun komplett auf die Selbstständigkeit als Kräuterfrau. Kahrens sagt, sie verstehe sich als Sprachrohr der Pflanzen. „Das erfüllt mich total.” Der Schritt ist auch eine Befreiung von einem zuvor stressigen Arbeitsalltag. Als Logopädin saß Kahrens den ganzen Tag in der Praxis, hatte kaum Pausen. „Jetzt darf ich draußen in der Natur sein, bin eine Vermittlerin zwischen der Pflanzenwelt und der Welt der Menschen.”

Spaziergänge gehören zum neuen Alltag

Heute geht sie täglich draußen spazieren, mit wachem Auge, versteht sich. Im Frühjahr ist sie dann häufig in ihrem Kleingarten anzutreffen, in dem sie gemeinsam mit ihrem Partner in der Erde wühlt, vorzugsweise im Kräuterbeet. Wenn Kahrens nach Hause kommt, warten dort ihre beiden betagten Kater auf Streicheleinheiten. Neben dem Wald fühlt sie sich übrigens auch im Wasser pudelwohl, „das zweite Element, in dem ich zu Hause bin”. Kahrens liebt es, zu tauchen – und die Unterwasserwelt Malaysias oder Griechenlands zu entdecken.

Die Kräuterfrau nähert sich wieder dem Schleußiger Weg, der Stadtlärm ist nun wieder wahrnehmbar. „Das ist für mich immer ein kleiner Schockmoment.” Doch Kahrens hat ihre Methode, wie sie sich ein Stück Natur bewahrt. „Wenn man sich die gesammelten Kräuter beim Abendbrot auf die Schnitte legt, dann schafft man einen Übergang von der wilden Natur zum städtischen Alltag.” Eine bleibende Erinnerung an die schöne Zeit draußen. Momentan sei Leipzig für sie die beste Wahl. Doch vielleicht zieht sie irgendwann auch raus aufs Land, überlegt sie. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, in einem kleinen Hexenhäuschen mit Garten alt zu werden. Das wäre der ultimative Traum.”  Gina Apitz

Mehr Infos zu den Kräuterwanderungen und Kursen von Daniela Kahrens gibt es online unter: www.lautes-kraut.de

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