Kaffee kommt bei Renate Wacker eher selten in die Tasse. Die Illustratorin trinkt viel lieber Tee. Foto: André Kempner

Leipzig. Morgens früh um 6 trifft man Renate Wacker eher selten an. Da liegt die Illustratorin noch gemütlich in ihrem Bett. Die Hauptfigur ihres neuen Buches ist da hingegen längst auf den Beinen. Denn für ihre neueste Veröffentlichung hat die 45-Jährige den beliebten Abzählreim über den Tagesablauf einer kleinen Hexe ausgewählt. „Morgens früh um sechs kommt die kleine Hex. Morgens früh um sieben schabt sie gelbe Rüben. Morgens früh um acht wird Kaffee gemacht. …“ Nicht allein Kindern ist diese Geschichte nur allzu bekannt. Warum sich Wacker genau dafür entschieden hat? „Ich wollte mal was Niedliches machen.“

Einfach von der Hand geht so ein Buch dennoch nicht, egal wie zauberhaft die Geschichte auch ist. „Manchmal schaue ich nach der Mittagspause auf meine Arbeit und stelle fest, dass sich mein Blick geändert hat. Dann bin ich unzufrieden mit mir und unglücklich, dass ich es nicht so hinbekommen habe, wie ich möchte.“ Und doch sagt sie: „Als Illustratorin kann ich die zwei Dinge vereinen, die ich am liebsten mache: zeichnen und lesen. Ich könnte mir keinen anderen Beruf wünschen.“

„Morgens früh um 6“ hat einen langen Weg hinter sich. Bis zur jetzigen Form seien Jahre vergangen, sagt Wacker. Jahre, in denen die gebürtige Neubrandenburgerin Zeichentechniken ausprobierte, Ideen verwarf, die Geschichte in eine andere Zeit und nach England verlagerte, einzelne Bausteine wie die Einrichtung und die in Großbritannien geläufigen Türklopfer und Fenster recherchierte.

All das passiert in ihrem Atelier im Leipziger Westen – einem Raum ohne Computer, ohne Internet. „Da sitze ich stundenlang und zeichne vor mich hin“, erzählt sie. Zur Recherche geht sie in die Bibliothek, ihre Mittagspause verbringt sie zu Hause.

Ihr Zuhause, das liegt seit 2001 in Leipzig. Hierhin zog sie nach ihrem Studium an der Fachhochschule für angewandte Kunst in Heiligendamm, das sie 2001 mit einem Diplom in Grafikdesign abschloss. Obwohl Renate Wacker als Kind viel zeichnete und bastelte („Ich war ständig damit beschäftigt.“), gingen ihre beruflichen Vorstellungen in eine andere Richtung. „Als Kind wollte ich Bio studieren“, erinnert sie sich. „Ich war gerne in der Natur, habe beobachtet, gesammelt, geangelt.“ Während ihrer Schulzeit an einem naturwissenschaftlich geprägten Gymnasium interessierte sie sich besonders für Mikrobiologie, wollte später einen ähnlichen Weg einschlagen wie ihre Mutter, die ein Labor leitete.

Doch als dann das Abitur geschafft war, wendete sich das Blatt. „Meine Schwester schlug vor, dass ich Grafikdesign studiere.“ Das tat sie dann auch. Und ging nach dem Studium in Heiligendamm noch weiter – an die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, wo sie nach dem Grundstudium die Fachklasse Illustration besuchte. Ein Selbstläufer war das nicht. Denn Wacker musste den Professor im persönlichen Gespräch überzeugen. „Das war nicht einfach. Ich war froh, dass er mich genommen hat“, sagt sie heute. Nach ihrem Diplom in Illustration 2005 schloss sie ein Meisterschülerstudium für Illustration an, das sie 2009 abschloss. Ihre Prüfungsarbeit: die Illustration des Märchens „Mascha und der Bär“.

Bis zur finalen Fassung, erzählt Wacker, gab es mehrere Varianten. Bleistift, Buntstift auf farbigem Papier – die Illustratorin probierte sich aus, entwickelte ihr Projekt Stück für Stück weiter. Schließlich landete sie bei einer „krasseren Art der Umsetzung“, die auf starke Farben setzt.

Überraschung und Staunen

Ihre verworfenen Skizzen wegzuwerfen, kommt dabei nicht infrage: „Ich trenne mich höchstens von Kleinigkeiten. Ansonsten hebe ich alles auf.“ Wenn sie dann aber doch mal etwas wie beispielsweise eine Figur entsorgt, dann richtig. „Wenn ich etwas wegwerfe, zerreiße ich die Figur ganz und gar, damit sie nicht mehr lebt.“

In ihrem Diplombuch – dem Kunstmärchen „Undine“ – setzte Wacker auf Bleistift und Aquarell, in der satirischen Erzählung „Die Methode Dr. Thaer und Prof. Fedders“ von Edgar Allan Poe auf Farbkleckse ähnlich dem Rohrschachtest. Buntstiftzeichnungen prägen „Morgens früh um 6“.

Neben diesen vier veröffentlichten Werken verwahrt Wacker noch zwei weitere in ihren Schränken, für die sie aktuell noch einen Verlag sucht: den Roman „Tragödie der Kindheit“ und die Erzählung „Das Kristall-Ei“, in dem sie sich Gouache, einem wasserlöslichen Farbmittel aus grob gemahlenen Pigmenten unter Zusatz von Kreide, bedient und damit erneut eine ganz andere Anmutung erschafft. Wie sie ihren Stil beschreiben würde? „Ich habe keinen wiedererkennbaren Stil. Ich möchte mich selber überraschen und staunen, was da passiert.“

International ausgezeichnete Arbeiten

Mit ihren Arbeiten konnte Wacker bereits nationale und internationale Jurys überzeugen. So erhielt sie 2014 den Sächsischen Staatspreis für Design, 2015 die Plakette der Biennale der Illustrationen Bratislava, 2017 den German Design Award und den in New York verliehenen Merit Award. „Durch letzteren wurde ich auch internationaler wahrgenommen“, sagt sie und Stolz schwingt in ihrer Stimme mit.

Neben Büchern arbeitete Wacker in der Vergangenheit auch an Illustrationen für Zeitschriften. „Die möchten aber nicht überrascht werden. Die Macher haben ganz konkrete Vorstellungen, wollen schon vorher wissen, was sie bekommen“, stellte sie fest. Für Wacker ein zeitweise spannendes Feld. Ebenso wie Aufträge von Kultureinrichtungen, für die sie Plakate zeichnete, die dann in Leipzig zu sehen waren. Doch die Arbeit an eigenen Projekten liegt ihr mehr.

Bislang hat Renate Wacker ausschließlich Werke anderer Autoren und Autorinnen illustriert. Ob sie auch mal ein komplett eigenes plant? Zu viel verraten will sie niBuch cht, aber: „Ich habe einige Bilder in meiner Schublade, die nur in einem Buch fortbestehen können. Dass ich meine Bilder mit Worten begleite, ergibt sich zwangsläufig.“ Welche Art der Zeichnung dieses Mal zu erwarten ist, bleibt bisher geheim. „Es kann immer anders aussehen.“ Patricia Liebling

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